Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

dieser Stunde gegeben. Er hätte das zarte
Mädchen auf seinem Arm forttragen mögen,
sich durchkämpfend durch eine Welt von Hin-
dernissen, um das süße Kleinod ganz allein zu
besitzen, um es an einen Ort zu bringen, wo
kein begehrender Blick Diejenige träfe, die er
heilig liebte, wie ein Kind seinen Schutz-
geist liebt.

Und als er die Thür der Loge geöffnet
hatte, Jenny sich umwendete, und er das Rau-
schen ihres seidenen Kleides hörte, da wußte er
kein Wort zu sagen, sprach einige gleichgültige
Dinge mit Madame Meier, hörte, wie seine
Mutter sich freute, daß er noch so spät gekommen,
und setzte sich schweigend neben Jenny nieder.

Diese fühlte das Peinliche ihrer Lage; auch
sie war befangener, als jemals, und brachte
endlich stockend die Worte hervor: "Ich habe
Herrn Reinhard schon beim Beginn des zweiten
Actes gesehen."

dieſer Stunde gegeben. Er hätte das zarte
Mädchen auf ſeinem Arm forttragen mögen,
ſich durchkämpfend durch eine Welt von Hin-
derniſſen, um das ſüße Kleinod ganz allein zu
beſitzen, um es an einen Ort zu bringen, wo
kein begehrender Blick Diejenige träfe, die er
heilig liebte, wie ein Kind ſeinen Schutz-
geiſt liebt.

Und als er die Thür der Loge geöffnet
hatte, Jenny ſich umwendete, und er das Rau-
ſchen ihres ſeidenen Kleides hörte, da wußte er
kein Wort zu ſagen, ſprach einige gleichgültige
Dinge mit Madame Meier, hörte, wie ſeine
Mutter ſich freute, daß er noch ſo ſpät gekommen,
und ſetzte ſich ſchweigend neben Jenny nieder.

Dieſe fühlte das Peinliche ihrer Lage; auch
ſie war befangener, als jemals, und brachte
endlich ſtockend die Worte hervor: „Ich habe
Herrn Reinhard ſchon beim Beginn des zweiten
Actes geſehen.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0100" n="88"/>
die&#x017F;er Stunde gegeben. Er hätte das zarte<lb/>
Mädchen auf &#x017F;einem Arm forttragen mögen,<lb/>
&#x017F;ich durchkämpfend durch eine Welt von Hin-<lb/>
derni&#x017F;&#x017F;en, um das &#x017F;üße Kleinod ganz allein zu<lb/>
be&#x017F;itzen, um es an einen Ort zu bringen, wo<lb/>
kein begehrender Blick Diejenige träfe, die er<lb/>
heilig liebte, wie ein Kind &#x017F;einen Schutz-<lb/>
gei&#x017F;t liebt.</p><lb/>
        <p>Und als er die Thür der Loge geöffnet<lb/>
hatte, Jenny &#x017F;ich umwendete, und er das Rau-<lb/>
&#x017F;chen ihres &#x017F;eidenen Kleides hörte, da wußte er<lb/>
kein Wort zu &#x017F;agen, &#x017F;prach einige gleichgültige<lb/>
Dinge mit Madame Meier, hörte, wie &#x017F;eine<lb/>
Mutter &#x017F;ich freute, daß er noch &#x017F;o &#x017F;pät gekommen,<lb/>
und &#x017F;etzte &#x017F;ich &#x017F;chweigend neben Jenny nieder.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;e fühlte das Peinliche ihrer Lage; auch<lb/>
&#x017F;ie war befangener, als jemals, und brachte<lb/>
endlich &#x017F;tockend die Worte hervor: &#x201E;Ich habe<lb/>
Herrn Reinhard &#x017F;chon beim Beginn des zweiten<lb/>
Actes ge&#x017F;ehen.&#x201C;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[88/0100] dieſer Stunde gegeben. Er hätte das zarte Mädchen auf ſeinem Arm forttragen mögen, ſich durchkämpfend durch eine Welt von Hin- derniſſen, um das ſüße Kleinod ganz allein zu beſitzen, um es an einen Ort zu bringen, wo kein begehrender Blick Diejenige träfe, die er heilig liebte, wie ein Kind ſeinen Schutz- geiſt liebt. Und als er die Thür der Loge geöffnet hatte, Jenny ſich umwendete, und er das Rau- ſchen ihres ſeidenen Kleides hörte, da wußte er kein Wort zu ſagen, ſprach einige gleichgültige Dinge mit Madame Meier, hörte, wie ſeine Mutter ſich freute, daß er noch ſo ſpät gekommen, und ſetzte ſich ſchweigend neben Jenny nieder. Dieſe fühlte das Peinliche ihrer Lage; auch ſie war befangener, als jemals, und brachte endlich ſtockend die Worte hervor: „Ich habe Herrn Reinhard ſchon beim Beginn des zweiten Actes geſehen.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/100
Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/100>, abgerufen am 22.11.2024.