Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

sein gequältes Herz. Da brach der Mond
durch die dunkeln Wolken, und glänzte einen
Augenblick in dem Wellengeträufel wieder, das
sich vor den milden Strahlen zu beruhigen und
zu ordnen schien; und der Mond dünkte ihm ein
klares, lichtes, unerforschliches Auge zu sein, das
auf das wilde Meer seines Lebens besänftigend
herniederschaute. Das Herz that ihm unbe-
schreiblich weh, und heiße Thränen flossen aus
seinen Augen. "Gott! Gott!" rief es in ihm,
"warum mußte ich in Verhältnissen geboren
werden, die mir bei jedem Schritte hemmend
entgegentreten? Warum muß ich von Allem,
was meine Seele am glühendsten begehrt, ge-
schieden sein? Warum mir dies Leben des Käm-
pfens und Entbehrens?"

Mit diesen Gedanken warf er sich auf eine
der Bänke, die sich häufig an dem Kai des
Hafens befanden, und sah grollend mit seinem

ſein gequältes Herz. Da brach der Mond
durch die dunkeln Wolken, und glänzte einen
Augenblick in dem Wellengeträufel wieder, das
ſich vor den milden Strahlen zu beruhigen und
zu ordnen ſchien; und der Mond dünkte ihm ein
klares, lichtes, unerforſchliches Auge zu ſein, das
auf das wilde Meer ſeines Lebens beſänftigend
herniederſchaute. Das Herz that ihm unbe-
ſchreiblich weh, und heiße Thränen floſſen aus
ſeinen Augen. „Gott! Gott!“ rief es in ihm,
„warum mußte ich in Verhältniſſen geboren
werden, die mir bei jedem Schritte hemmend
entgegentreten? Warum muß ich von Allem,
was meine Seele am glühendſten begehrt, ge-
ſchieden ſein? Warum mir dies Leben des Käm-
pfens und Entbehrens?“

Mit dieſen Gedanken warf er ſich auf eine
der Bänke, die ſich häufig an dem Kai des
Hafens befanden, und ſah grollend mit ſeinem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0154" n="142"/>
&#x017F;ein gequältes Herz. Da brach der Mond<lb/>
durch die dunkeln Wolken, und glänzte einen<lb/>
Augenblick in dem Wellengeträufel wieder, das<lb/>
&#x017F;ich vor den milden Strahlen zu beruhigen und<lb/>
zu ordnen &#x017F;chien; und der Mond dünkte ihm ein<lb/>
klares, lichtes, unerfor&#x017F;chliches Auge zu &#x017F;ein, das<lb/>
auf das wilde Meer &#x017F;eines Lebens be&#x017F;änftigend<lb/>
hernieder&#x017F;chaute. Das Herz that ihm unbe-<lb/>
&#x017F;chreiblich weh, und heiße Thränen flo&#x017F;&#x017F;en aus<lb/>
&#x017F;einen Augen. &#x201E;Gott! Gott!&#x201C; rief es in ihm,<lb/>
&#x201E;warum mußte ich in Verhältni&#x017F;&#x017F;en geboren<lb/>
werden, die mir bei jedem Schritte hemmend<lb/>
entgegentreten? Warum muß ich von Allem,<lb/>
was meine Seele am glühend&#x017F;ten begehrt, ge-<lb/>
&#x017F;chieden &#x017F;ein? Warum mir dies Leben des Käm-<lb/>
pfens und Entbehrens?&#x201C;</p><lb/>
        <p>Mit die&#x017F;en Gedanken warf er &#x017F;ich auf eine<lb/>
der Bänke, die &#x017F;ich häufig an dem Kai des<lb/>
Hafens befanden, und &#x017F;ah grollend mit &#x017F;einem<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[142/0154] ſein gequältes Herz. Da brach der Mond durch die dunkeln Wolken, und glänzte einen Augenblick in dem Wellengeträufel wieder, das ſich vor den milden Strahlen zu beruhigen und zu ordnen ſchien; und der Mond dünkte ihm ein klares, lichtes, unerforſchliches Auge zu ſein, das auf das wilde Meer ſeines Lebens beſänftigend herniederſchaute. Das Herz that ihm unbe- ſchreiblich weh, und heiße Thränen floſſen aus ſeinen Augen. „Gott! Gott!“ rief es in ihm, „warum mußte ich in Verhältniſſen geboren werden, die mir bei jedem Schritte hemmend entgegentreten? Warum muß ich von Allem, was meine Seele am glühendſten begehrt, ge- ſchieden ſein? Warum mir dies Leben des Käm- pfens und Entbehrens?“ Mit dieſen Gedanken warf er ſich auf eine der Bänke, die ſich häufig an dem Kai des Hafens befanden, und ſah grollend mit ſeinem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/154
Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/154>, abgerufen am 21.11.2024.