Noth zu steuern vermochte -- und nach einer Stunde, als vielleicht auf ihr junges Haupt der beste Segen des Himmels von den Armen erfleht wurde, hörte ich selbst aus ihrem Munde die Worte: ,Die Dürftigkeit ist nicht poetisch, ich habe nie an die glückliche Armuth geglaubt, sie ist nur armselig und pauvre.' -- Und ich sollte daran denken, sie in ein kleines Pfarr- haus zu führen, das ihr armselig und pauvre erschiene? -- O niemals, niemals!"
Und wieder entstand eine lange und trau- rige Pause, bis die Pfarrerin endlich sagte, in- dem sie ihren Arm um ihren Sohn schlang: "Mein armer Gustav! es ist leider manches Wahre an Dem, was Du sagst, und doch scheint es mir, Du thust Jenny Unrecht mit Deinem Urtheil. Ihr Herz ist gut, sie liebt Dich, und viele ihrer Fehler, die ich nicht verkenne, ihr flatterhaftes, unstätes Wesen, ihre Putzsucht würden sich verlieren, wenn sie in der Ehe
8**
Noth zu ſteuern vermochte — und nach einer Stunde, als vielleicht auf ihr junges Haupt der beſte Segen des Himmels von den Armen erfleht wurde, hörte ich ſelbſt aus ihrem Munde die Worte: ‚Die Dürftigkeit iſt nicht poetiſch, ich habe nie an die glückliche Armuth geglaubt, ſie iſt nur armſelig und pauvre.‘ — Und ich ſollte daran denken, ſie in ein kleines Pfarr- haus zu führen, das ihr armſelig und pauvre erſchiene? — O niemals, niemals!“
Und wieder entſtand eine lange und trau- rige Pauſe, bis die Pfarrerin endlich ſagte, in- dem ſie ihren Arm um ihren Sohn ſchlang: „Mein armer Guſtav! es iſt leider manches Wahre an Dem, was Du ſagſt, und doch ſcheint es mir, Du thuſt Jenny Unrecht mit Deinem Urtheil. Ihr Herz iſt gut, ſie liebt Dich, und viele ihrer Fehler, die ich nicht verkenne, ihr flatterhaftes, unſtätes Weſen, ihre Putzſucht würden ſich verlieren, wenn ſie in der Ehe
8**
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0189"n="177"/>
Noth zu ſteuern vermochte — und nach einer<lb/>
Stunde, als vielleicht auf ihr junges Haupt<lb/>
der beſte Segen des Himmels von den Armen<lb/>
erfleht wurde, hörte ich ſelbſt aus ihrem Munde<lb/>
die Worte: ‚Die Dürftigkeit iſt nicht poetiſch,<lb/>
ich habe nie an die glückliche Armuth geglaubt,<lb/>ſie iſt nur armſelig und pauvre.‘— Und ich<lb/>ſollte daran denken, ſie in ein kleines Pfarr-<lb/>
haus zu führen, das ihr armſelig und pauvre<lb/>
erſchiene? — O niemals, niemals!“</p><lb/><p>Und wieder entſtand eine lange und trau-<lb/>
rige Pauſe, bis die Pfarrerin endlich ſagte, in-<lb/>
dem ſie ihren Arm um ihren Sohn ſchlang:<lb/>„Mein armer Guſtav! es iſt leider manches<lb/>
Wahre an Dem, was Du ſagſt, und doch ſcheint<lb/>
es mir, Du thuſt Jenny Unrecht mit Deinem<lb/>
Urtheil. Ihr Herz iſt gut, ſie liebt Dich, und<lb/>
viele ihrer Fehler, die ich nicht verkenne, ihr<lb/>
flatterhaftes, unſtätes Weſen, ihre Putzſucht<lb/>
würden ſich verlieren, wenn ſie in der Ehe<lb/><fwplace="bottom"type="sig">8**</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[177/0189]
Noth zu ſteuern vermochte — und nach einer
Stunde, als vielleicht auf ihr junges Haupt
der beſte Segen des Himmels von den Armen
erfleht wurde, hörte ich ſelbſt aus ihrem Munde
die Worte: ‚Die Dürftigkeit iſt nicht poetiſch,
ich habe nie an die glückliche Armuth geglaubt,
ſie iſt nur armſelig und pauvre.‘ — Und ich
ſollte daran denken, ſie in ein kleines Pfarr-
haus zu führen, das ihr armſelig und pauvre
erſchiene? — O niemals, niemals!“
Und wieder entſtand eine lange und trau-
rige Pauſe, bis die Pfarrerin endlich ſagte, in-
dem ſie ihren Arm um ihren Sohn ſchlang:
„Mein armer Guſtav! es iſt leider manches
Wahre an Dem, was Du ſagſt, und doch ſcheint
es mir, Du thuſt Jenny Unrecht mit Deinem
Urtheil. Ihr Herz iſt gut, ſie liebt Dich, und
viele ihrer Fehler, die ich nicht verkenne, ihr
flatterhaftes, unſtätes Weſen, ihre Putzſucht
würden ſich verlieren, wenn ſie in der Ehe
8**
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/189>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.