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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843.

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wieder Worte gab. "Bei den Männern," sagte
sie, "bei Jenny's Vater, bei Eduard, fällt der
Unglaube nicht störend auf, weil philosophische
Erkenntniß sie auf den richtigen Standpunkt
gestellt, ihnen eine wahre und tiefe Ueberzeu-
gung gegeben hat. Aber Madame Meier selbst
bedauert die Richtung, welche ihre Tochter ge-
nommen hat, denn die Mutter ist ein frommes,
echt weibliches Gemüth; und sage mir ehrlich,
mein Sohn! glaubst Du, Jenny werde jemals
von Herzen Christin sein? Wenn Du nun da-
stehst und mit inniger Erhebung Deiner Ge-
meinde das Abendmahl ertheilst im Namen un-
sers Heilandes, der für uns gestorben ist, wird
Dein Herz nicht bluten bei dem Gedanken, daß
Deine Frau, Dein anderes Ich, der heiligen
Handlung kalt und zweifelnd zusieht und inner-
lich Dich und die Gemeinde bemitleidet, die
Erbauung findet, wo sie ein leeres Formen-
wesen sieht? Hast Du Dir Jenny als die Mut-

wieder Worte gab. „Bei den Männern,“ ſagte
ſie, „bei Jenny's Vater, bei Eduard, fällt der
Unglaube nicht ſtörend auf, weil philoſophiſche
Erkenntniß ſie auf den richtigen Standpunkt
geſtellt, ihnen eine wahre und tiefe Ueberzeu-
gung gegeben hat. Aber Madame Meier ſelbſt
bedauert die Richtung, welche ihre Tochter ge-
nommen hat, denn die Mutter iſt ein frommes,
echt weibliches Gemüth; und ſage mir ehrlich,
mein Sohn! glaubſt Du, Jenny werde jemals
von Herzen Chriſtin ſein? Wenn Du nun da-
ſtehſt und mit inniger Erhebung Deiner Ge-
meinde das Abendmahl ertheilſt im Namen un-
ſers Heilandes, der für uns geſtorben iſt, wird
Dein Herz nicht bluten bei dem Gedanken, daß
Deine Frau, Dein anderes Ich, der heiligen
Handlung kalt und zweifelnd zuſieht und inner-
lich Dich und die Gemeinde bemitleidet, die
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[185/0197] wieder Worte gab. „Bei den Männern,“ ſagte ſie, „bei Jenny's Vater, bei Eduard, fällt der Unglaube nicht ſtörend auf, weil philoſophiſche Erkenntniß ſie auf den richtigen Standpunkt geſtellt, ihnen eine wahre und tiefe Ueberzeu- gung gegeben hat. Aber Madame Meier ſelbſt bedauert die Richtung, welche ihre Tochter ge- nommen hat, denn die Mutter iſt ein frommes, echt weibliches Gemüth; und ſage mir ehrlich, mein Sohn! glaubſt Du, Jenny werde jemals von Herzen Chriſtin ſein? Wenn Du nun da- ſtehſt und mit inniger Erhebung Deiner Ge- meinde das Abendmahl ertheilſt im Namen un- ſers Heilandes, der für uns geſtorben iſt, wird Dein Herz nicht bluten bei dem Gedanken, daß Deine Frau, Dein anderes Ich, der heiligen Handlung kalt und zweifelnd zuſieht und inner- lich Dich und die Gemeinde bemitleidet, die Erbauung findet, wo ſie ein leeres Formen- weſen ſieht? Haſt Du Dir Jenny als die Mut-

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/197>, abgerufen am 21.11.2024.