wieder Worte gab. "Bei den Männern," sagte sie, "bei Jenny's Vater, bei Eduard, fällt der Unglaube nicht störend auf, weil philosophische Erkenntniß sie auf den richtigen Standpunkt gestellt, ihnen eine wahre und tiefe Ueberzeu- gung gegeben hat. Aber Madame Meier selbst bedauert die Richtung, welche ihre Tochter ge- nommen hat, denn die Mutter ist ein frommes, echt weibliches Gemüth; und sage mir ehrlich, mein Sohn! glaubst Du, Jenny werde jemals von Herzen Christin sein? Wenn Du nun da- stehst und mit inniger Erhebung Deiner Ge- meinde das Abendmahl ertheilst im Namen un- sers Heilandes, der für uns gestorben ist, wird Dein Herz nicht bluten bei dem Gedanken, daß Deine Frau, Dein anderes Ich, der heiligen Handlung kalt und zweifelnd zusieht und inner- lich Dich und die Gemeinde bemitleidet, die Erbauung findet, wo sie ein leeres Formen- wesen sieht? Hast Du Dir Jenny als die Mut-
wieder Worte gab. „Bei den Männern,“ ſagte ſie, „bei Jenny's Vater, bei Eduard, fällt der Unglaube nicht ſtörend auf, weil philoſophiſche Erkenntniß ſie auf den richtigen Standpunkt geſtellt, ihnen eine wahre und tiefe Ueberzeu- gung gegeben hat. Aber Madame Meier ſelbſt bedauert die Richtung, welche ihre Tochter ge- nommen hat, denn die Mutter iſt ein frommes, echt weibliches Gemüth; und ſage mir ehrlich, mein Sohn! glaubſt Du, Jenny werde jemals von Herzen Chriſtin ſein? Wenn Du nun da- ſtehſt und mit inniger Erhebung Deiner Ge- meinde das Abendmahl ertheilſt im Namen un- ſers Heilandes, der für uns geſtorben iſt, wird Dein Herz nicht bluten bei dem Gedanken, daß Deine Frau, Dein anderes Ich, der heiligen Handlung kalt und zweifelnd zuſieht und inner- lich Dich und die Gemeinde bemitleidet, die Erbauung findet, wo ſie ein leeres Formen- weſen ſieht? Haſt Du Dir Jenny als die Mut-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0197"n="185"/>
wieder Worte gab. „Bei den Männern,“ſagte<lb/>ſie, „bei Jenny's Vater, bei Eduard, fällt der<lb/>
Unglaube nicht ſtörend auf, weil philoſophiſche<lb/>
Erkenntniß ſie auf den richtigen Standpunkt<lb/>
geſtellt, ihnen eine wahre und tiefe Ueberzeu-<lb/>
gung gegeben hat. Aber Madame Meier ſelbſt<lb/>
bedauert die Richtung, welche ihre Tochter ge-<lb/>
nommen hat, denn die Mutter iſt ein frommes,<lb/>
echt weibliches Gemüth; und ſage mir ehrlich,<lb/>
mein Sohn! glaubſt Du, Jenny werde jemals<lb/>
von Herzen Chriſtin ſein? Wenn Du nun da-<lb/>ſtehſt und mit inniger Erhebung Deiner Ge-<lb/>
meinde das Abendmahl ertheilſt im Namen un-<lb/>ſers Heilandes, der für uns geſtorben iſt, wird<lb/>
Dein Herz nicht bluten bei dem Gedanken, daß<lb/>
Deine Frau, Dein anderes Ich, der heiligen<lb/>
Handlung kalt und zweifelnd zuſieht und inner-<lb/>
lich Dich und die Gemeinde bemitleidet, die<lb/>
Erbauung findet, wo ſie ein leeres Formen-<lb/>
weſen ſieht? Haſt Du Dir Jenny als die Mut-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[185/0197]
wieder Worte gab. „Bei den Männern,“ ſagte
ſie, „bei Jenny's Vater, bei Eduard, fällt der
Unglaube nicht ſtörend auf, weil philoſophiſche
Erkenntniß ſie auf den richtigen Standpunkt
geſtellt, ihnen eine wahre und tiefe Ueberzeu-
gung gegeben hat. Aber Madame Meier ſelbſt
bedauert die Richtung, welche ihre Tochter ge-
nommen hat, denn die Mutter iſt ein frommes,
echt weibliches Gemüth; und ſage mir ehrlich,
mein Sohn! glaubſt Du, Jenny werde jemals
von Herzen Chriſtin ſein? Wenn Du nun da-
ſtehſt und mit inniger Erhebung Deiner Ge-
meinde das Abendmahl ertheilſt im Namen un-
ſers Heilandes, der für uns geſtorben iſt, wird
Dein Herz nicht bluten bei dem Gedanken, daß
Deine Frau, Dein anderes Ich, der heiligen
Handlung kalt und zweifelnd zuſieht und inner-
lich Dich und die Gemeinde bemitleidet, die
Erbauung findet, wo ſie ein leeres Formen-
weſen ſieht? Haſt Du Dir Jenny als die Mut-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/197>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.