so unablässig zu peinigen vermag, als wir uns selbst, weil Niemand so genau die wunde Stelle unserer Seele kennt und sie in jedem Augenblick so tief und sicher zu treffen weiß. Darum sollte man sich vor keinem Feinde so sehr hüten, als vor seinen eigenen Schwächen und Phantasien, mögen sie noch so nahe mit der Tugend verwandt sein! Jedem Feinde tritt man mit Härte, mit aller Macht des Geistes entgegen, und eine Art von Schadenfreude nebst der Lust am Siege sind uns vortreffliche Hülfstruppen gegen den Feind außer uns. Wer hat aber Selbstbeherrschung genug, mit offenen ehrlichen Waffen gegen sich selbst zu kämpfen? Wen freut es, über ein verhätschel- tes Kind des eigenen Wesens zu siegen, das wir doch immer lieben, eben wie ein Vater sein Kind, wenngleich er nicht blind für des- sen Fehler ist?
Dennoch hatte sich äußerlich nach jener Un-
ſo unabläſſig zu peinigen vermag, als wir uns ſelbſt, weil Niemand ſo genau die wunde Stelle unſerer Seele kennt und ſie in jedem Augenblick ſo tief und ſicher zu treffen weiß. Darum ſollte man ſich vor keinem Feinde ſo ſehr hüten, als vor ſeinen eigenen Schwächen und Phantaſien, mögen ſie noch ſo nahe mit der Tugend verwandt ſein! Jedem Feinde tritt man mit Härte, mit aller Macht des Geiſtes entgegen, und eine Art von Schadenfreude nebſt der Luſt am Siege ſind uns vortreffliche Hülfstruppen gegen den Feind außer uns. Wer hat aber Selbſtbeherrſchung genug, mit offenen ehrlichen Waffen gegen ſich ſelbſt zu kämpfen? Wen freut es, über ein verhätſchel- tes Kind des eigenen Weſens zu ſiegen, das wir doch immer lieben, eben wie ein Vater ſein Kind, wenngleich er nicht blind für deſ- ſen Fehler iſt?
Dennoch hatte ſich äußerlich nach jener Un-
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ſo unabläſſig zu peinigen vermag, als wir
uns ſelbſt, weil Niemand ſo genau die wunde
Stelle unſerer Seele kennt und ſie in jedem
Augenblick ſo tief und ſicher zu treffen weiß.
Darum ſollte man ſich vor keinem Feinde ſo
ſehr hüten, als vor ſeinen eigenen Schwächen
und Phantaſien, mögen ſie noch ſo nahe mit
der Tugend verwandt ſein! Jedem Feinde tritt
man mit Härte, mit aller Macht des Geiſtes
entgegen, und eine Art von Schadenfreude
nebſt der Luſt am Siege ſind uns vortreffliche
Hülfstruppen gegen den Feind außer uns.
Wer hat aber Selbſtbeherrſchung genug, mit
offenen ehrlichen Waffen gegen ſich ſelbſt zu
kämpfen? Wen freut es, über ein verhätſchel-
tes Kind des eigenen Weſens zu ſiegen, das
wir doch immer lieben, eben wie ein Vater
ſein Kind, wenngleich er nicht blind für deſ-
ſen Fehler iſt?
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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/355>, abgerufen am 23.11.2024.
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