"Jene Stunde, die ich mit aller Wonne der Liebe erwartet hatte, sie ist herangekommen und zur Trennungsstunde für uns geworden -- das höchste Glück, das Bewußtsein, Ihre Liebe zu besitzen, wird zum Schmerz, denn auch auf Sie fällt die Pein des Scheidens -- Clara! zürnen Sie mir nicht; mehr, als das Elend, das mich drückt, schmerzt mich der Gedanke, daß Sie mit mir leiden -- daß meine glühende Liebe Sie nicht zu schützen, nicht zu beglücken vermag. Ich könnte eine Welt hassen, in der Herzen, die zusammen gehören, getrennt wer- den, weil das Eine so, das Andere anders zu seinem Schöpfer betet, der Beide für einander erschuf, der sie, wie uns, zusammenführte, um glücklich zu sein. Jahrtausende hat der Fluch über meinem Volke geschwebt, der auch mich getroffen. Ich wähnte, nun sei es Zeit, in kräftiger That zu zeigen, daß wir das Glück verdienen, frei zu sein von jenen Fesseln, die
„Jene Stunde, die ich mit aller Wonne der Liebe erwartet hatte, ſie iſt herangekommen und zur Trennungsſtunde für uns geworden — das höchſte Glück, das Bewußtſein, Ihre Liebe zu beſitzen, wird zum Schmerz, denn auch auf Sie fällt die Pein des Scheidens — Clara! zürnen Sie mir nicht; mehr, als das Elend, das mich drückt, ſchmerzt mich der Gedanke, daß Sie mit mir leiden — daß meine glühende Liebe Sie nicht zu ſchützen, nicht zu beglücken vermag. Ich könnte eine Welt haſſen, in der Herzen, die zuſammen gehören, getrennt wer- den, weil das Eine ſo, das Andere anders zu ſeinem Schöpfer betet, der Beide für einander erſchuf, der ſie, wie uns, zuſammenführte, um glücklich zu ſein. Jahrtauſende hat der Fluch über meinem Volke geſchwebt, der auch mich getroffen. Ich wähnte, nun ſei es Zeit, in kräftiger That zu zeigen, daß wir das Glück verdienen, frei zu ſein von jenen Feſſeln, die
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„Jene Stunde, die ich mit aller Wonne der
Liebe erwartet hatte, ſie iſt herangekommen und
zur Trennungsſtunde für uns geworden — das
höchſte Glück, das Bewußtſein, Ihre Liebe zu
beſitzen, wird zum Schmerz, denn auch auf
Sie fällt die Pein des Scheidens — Clara!
zürnen Sie mir nicht; mehr, als das Elend,
das mich drückt, ſchmerzt mich der Gedanke,
daß Sie mit mir leiden — daß meine glühende
Liebe Sie nicht zu ſchützen, nicht zu beglücken
vermag. Ich könnte eine Welt haſſen, in der
Herzen, die zuſammen gehören, getrennt wer-
den, weil das Eine ſo, das Andere anders zu
ſeinem Schöpfer betet, der Beide für einander
erſchuf, der ſie, wie uns, zuſammenführte, um
glücklich zu ſein. Jahrtauſende hat der Fluch
über meinem Volke geſchwebt, der auch mich
getroffen. Ich wähnte, nun ſei es Zeit, in
kräftiger That zu zeigen, daß wir das Glück
verdienen, frei zu ſein von jenen Feſſeln, die
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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/372>, abgerufen am 24.11.2024.
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