Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

sie bedurfte. Seitdem war er rastlos bemiht
gewesen, durch Stundengeben und literarische
Thätigkeit für sich und seine Mutter zu sorgen.
Von Eduard irgend welchen Beistand anzu-
nehmen, war er nie zu bewegen, und mit der
größten Vorsicht mußte jener ihm den Vor-
schlag machen, nach dessen Vaterstadt zu kom-
men und den Unterricht der beiden Mädchen
unter den vortheilhaften Bedingungen, die der
Banquier Meier ihm stellte, zu übernehmen.

Eduard's Plan gelang. Er sah seinen
Reinhard nach mehrjähriger Abwesenheit wieder,
und fand in ihm mit großer Freude den alten
treuen Freund, den er verlassen hatte; doch
war er im Denken und Fühlen auf manche
Weise verändert. Ein düsterer Ernst hatte sich
seiner bemächtigt. Armuth hatte ihn stolz,
mißtrauisch und reizbar gemacht, und dadurch
gewissermaßen die hohe Reinheit seines Cha-
rakters befleckt. Im höchsten Grade streng

ſie bedurfte. Seitdem war er raſtlos bemiht
geweſen, durch Stundengeben und literariſche
Thätigkeit für ſich und ſeine Mutter zu ſorgen.
Von Eduard irgend welchen Beiſtand anzu-
nehmen, war er nie zu bewegen, und mit der
größten Vorſicht mußte jener ihm den Vor-
ſchlag machen, nach deſſen Vaterſtadt zu kom-
men und den Unterricht der beiden Mädchen
unter den vortheilhaften Bedingungen, die der
Banquier Meier ihm ſtellte, zu übernehmen.

Eduard's Plan gelang. Er ſah ſeinen
Reinhard nach mehrjähriger Abweſenheit wieder,
und fand in ihm mit großer Freude den alten
treuen Freund, den er verlaſſen hatte; doch
war er im Denken und Fühlen auf manche
Weiſe verändert. Ein düſterer Ernſt hatte ſich
ſeiner bemächtigt. Armuth hatte ihn ſtolz,
mißtrauiſch und reizbar gemacht, und dadurch
gewiſſermaßen die hohe Reinheit ſeines Cha-
rakters befleckt. Im höchſten Grade ſtreng

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0074" n="62"/>
&#x017F;ie bedurfte. Seitdem war er ra&#x017F;tlos bemiht<lb/>
gewe&#x017F;en, durch Stundengeben und literari&#x017F;che<lb/>
Thätigkeit für &#x017F;ich und &#x017F;eine Mutter zu &#x017F;orgen.<lb/>
Von Eduard irgend welchen Bei&#x017F;tand anzu-<lb/>
nehmen, war er nie zu bewegen, und mit der<lb/>
größten Vor&#x017F;icht mußte jener ihm den Vor-<lb/>
&#x017F;chlag machen, nach de&#x017F;&#x017F;en Vater&#x017F;tadt zu kom-<lb/>
men und den Unterricht der beiden Mädchen<lb/>
unter den vortheilhaften Bedingungen, die der<lb/>
Banquier Meier ihm &#x017F;tellte, zu übernehmen.</p><lb/>
        <p>Eduard's Plan gelang. Er &#x017F;ah &#x017F;einen<lb/>
Reinhard nach mehrjähriger Abwe&#x017F;enheit wieder,<lb/>
und fand in ihm mit großer Freude den alten<lb/>
treuen Freund, den er verla&#x017F;&#x017F;en hatte; doch<lb/>
war er im Denken und Fühlen auf manche<lb/>
Wei&#x017F;e verändert. Ein dü&#x017F;terer Ern&#x017F;t hatte &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;einer bemächtigt. Armuth hatte ihn &#x017F;tolz,<lb/>
mißtraui&#x017F;ch und reizbar gemacht, und dadurch<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;ermaßen die hohe Reinheit &#x017F;eines Cha-<lb/>
rakters befleckt. Im höch&#x017F;ten Grade &#x017F;treng<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[62/0074] ſie bedurfte. Seitdem war er raſtlos bemiht geweſen, durch Stundengeben und literariſche Thätigkeit für ſich und ſeine Mutter zu ſorgen. Von Eduard irgend welchen Beiſtand anzu- nehmen, war er nie zu bewegen, und mit der größten Vorſicht mußte jener ihm den Vor- ſchlag machen, nach deſſen Vaterſtadt zu kom- men und den Unterricht der beiden Mädchen unter den vortheilhaften Bedingungen, die der Banquier Meier ihm ſtellte, zu übernehmen. Eduard's Plan gelang. Er ſah ſeinen Reinhard nach mehrjähriger Abweſenheit wieder, und fand in ihm mit großer Freude den alten treuen Freund, den er verlaſſen hatte; doch war er im Denken und Fühlen auf manche Weiſe verändert. Ein düſterer Ernſt hatte ſich ſeiner bemächtigt. Armuth hatte ihn ſtolz, mißtrauiſch und reizbar gemacht, und dadurch gewiſſermaßen die hohe Reinheit ſeines Cha- rakters befleckt. Im höchſten Grade ſtreng

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/74
Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/74>, abgerufen am 24.11.2024.