"Das also ist das Ende aller meiner Hoff- nungen", rief er endlich und versank wieder in sein früheres Brüten. "Ach, und Jenny", sagte er dann, "was wird aus Dir mit Deinem heißen Herzen?"
"Für das wird sich Trost finden", meinte die Pfarrerin mit Bitterkeit. Denn kaum hatte sie sich von dem ersten Schrecken erholt, als ihr mit erneuerter Deutlichkeit Theresens Be- hauptung einfiel, Jenny liebe Erlau und habe sich schon lange nicht glücklich in Reinhard's Liebe gefühlt. Die Pfarrerin war eine verstän- dige, welterfahrne Frau, sie war aber auch Christin und Mutter und tief verletzt in ihrem Glauben und in ihrem Sohne. Unzählige ver- schiedene Verhältnisse hatte sie im Leben kennen gelernt. Selbst in dem Kreise ihrer Bekannten gab es viele Juden, die zum Christenthum über- getreten waren und glücklich und ruhig in dem- selben lebten. Warum sollte Jenny allein, die
„Das alſo iſt das Ende aller meiner Hoff- nungen“, rief er endlich und verſank wieder in ſein früheres Brüten. „Ach, und Jenny“, ſagte er dann, „was wird aus Dir mit Deinem heißen Herzen?“
„Für das wird ſich Troſt finden“, meinte die Pfarrerin mit Bitterkeit. Denn kaum hatte ſie ſich von dem erſten Schrecken erholt, als ihr mit erneuerter Deutlichkeit Thereſens Be- hauptung einfiel, Jenny liebe Erlau und habe ſich ſchon lange nicht glücklich in Reinhard's Liebe gefühlt. Die Pfarrerin war eine verſtän- dige, welterfahrne Frau, ſie war aber auch Chriſtin und Mutter und tief verletzt in ihrem Glauben und in ihrem Sohne. Unzählige ver- ſchiedene Verhältniſſe hatte ſie im Leben kennen gelernt. Selbſt in dem Kreiſe ihrer Bekannten gab es viele Juden, die zum Chriſtenthum über- getreten waren und glücklich und ruhig in dem- ſelben lebten. Warum ſollte Jenny allein, die
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0147"n="137"/><p>„Das alſo iſt das Ende aller meiner Hoff-<lb/>
nungen“, rief er endlich und verſank wieder in<lb/>ſein früheres Brüten. „Ach, und Jenny“, ſagte<lb/>
er dann, „was wird aus Dir mit Deinem<lb/>
heißen Herzen?“</p><lb/><p>„Für das wird ſich Troſt finden“, meinte<lb/>
die Pfarrerin mit Bitterkeit. Denn kaum hatte<lb/>ſie ſich von dem erſten Schrecken erholt, als<lb/>
ihr mit erneuerter Deutlichkeit Thereſens Be-<lb/>
hauptung einfiel, Jenny liebe Erlau und habe<lb/>ſich ſchon lange nicht glücklich in Reinhard's<lb/>
Liebe gefühlt. Die Pfarrerin war eine verſtän-<lb/>
dige, welterfahrne Frau, ſie war aber auch<lb/>
Chriſtin und Mutter und tief verletzt in ihrem<lb/>
Glauben und in ihrem Sohne. Unzählige ver-<lb/>ſchiedene Verhältniſſe hatte ſie im Leben kennen<lb/>
gelernt. Selbſt in dem Kreiſe ihrer Bekannten<lb/>
gab es viele Juden, die zum Chriſtenthum über-<lb/>
getreten waren und glücklich und ruhig in dem-<lb/>ſelben lebten. Warum ſollte Jenny allein, die<lb/></p></div></body></text></TEI>
[137/0147]
„Das alſo iſt das Ende aller meiner Hoff-
nungen“, rief er endlich und verſank wieder in
ſein früheres Brüten. „Ach, und Jenny“, ſagte
er dann, „was wird aus Dir mit Deinem
heißen Herzen?“
„Für das wird ſich Troſt finden“, meinte
die Pfarrerin mit Bitterkeit. Denn kaum hatte
ſie ſich von dem erſten Schrecken erholt, als
ihr mit erneuerter Deutlichkeit Thereſens Be-
hauptung einfiel, Jenny liebe Erlau und habe
ſich ſchon lange nicht glücklich in Reinhard's
Liebe gefühlt. Die Pfarrerin war eine verſtän-
dige, welterfahrne Frau, ſie war aber auch
Chriſtin und Mutter und tief verletzt in ihrem
Glauben und in ihrem Sohne. Unzählige ver-
ſchiedene Verhältniſſe hatte ſie im Leben kennen
gelernt. Selbſt in dem Kreiſe ihrer Bekannten
gab es viele Juden, die zum Chriſtenthum über-
getreten waren und glücklich und ruhig in dem-
ſelben lebten. Warum ſollte Jenny allein, die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/147>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.