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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843.

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Natur, die uns umgibt. Sie schreitet mit uns
fort, sie lebt mit uns, sie hat Antwort für
unsere Fragen, und es ist für mich das Zeichen
eines wahren Dichters, wenn er die Sprache
versteht, welche die Natur in seinen Tagen
zu den Menschen spricht."

"Glauben Sie denn", fragte Jenny, "daß
die Einwirkung der Natur auf das Gemüth
des Menschen nicht zu allen Zeiten dieselbe
blieb?"

"In sofern gewiß", antwortete der Graf,
"als sie immer die höchsten, heiligsten Empfin-
dungen seiner Seele anregt. Aber je nachdem
diese Gefühle sich im Laufe der Zeiten ändern,
wechselt auch der Eindruck, den sie auf uns
macht. Der heitre Grieche sah in den schön-
sten Bäumen seines Waldes liebliche Dryaden,
die ihn mit Liebe umfingen. Dem deutschen
Mittelalter predigten sie den Ernst, der auch
in den düstern Domen gelehrt wurde, sie spra-

II. 8

Natur, die uns umgibt. Sie ſchreitet mit uns
fort, ſie lebt mit uns, ſie hat Antwort für
unſere Fragen, und es iſt für mich das Zeichen
eines wahren Dichters, wenn er die Sprache
verſteht, welche die Natur in ſeinen Tagen
zu den Menſchen ſpricht.“

„Glauben Sie denn“, fragte Jenny, „daß
die Einwirkung der Natur auf das Gemüth
des Menſchen nicht zu allen Zeiten dieſelbe
blieb?“

„In ſofern gewiß“, antwortete der Graf,
„als ſie immer die höchſten, heiligſten Empfin-
dungen ſeiner Seele anregt. Aber je nachdem
dieſe Gefühle ſich im Laufe der Zeiten ändern,
wechſelt auch der Eindruck, den ſie auf uns
macht. Der heitre Grieche ſah in den ſchön-
ſten Bäumen ſeines Waldes liebliche Dryaden,
die ihn mit Liebe umfingen. Dem deutſchen
Mittelalter predigten ſie den Ernſt, der auch
in den düſtern Domen gelehrt wurde, ſie ſpra-

II. 8
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[169/0179] Natur, die uns umgibt. Sie ſchreitet mit uns fort, ſie lebt mit uns, ſie hat Antwort für unſere Fragen, und es iſt für mich das Zeichen eines wahren Dichters, wenn er die Sprache verſteht, welche die Natur in ſeinen Tagen zu den Menſchen ſpricht.“ „Glauben Sie denn“, fragte Jenny, „daß die Einwirkung der Natur auf das Gemüth des Menſchen nicht zu allen Zeiten dieſelbe blieb?“ „In ſofern gewiß“, antwortete der Graf, „als ſie immer die höchſten, heiligſten Empfin- dungen ſeiner Seele anregt. Aber je nachdem dieſe Gefühle ſich im Laufe der Zeiten ändern, wechſelt auch der Eindruck, den ſie auf uns macht. Der heitre Grieche ſah in den ſchön- ſten Bäumen ſeines Waldes liebliche Dryaden, die ihn mit Liebe umfingen. Dem deutſchen Mittelalter predigten ſie den Ernſt, der auch in den düſtern Domen gelehrt wurde, ſie ſpra- II. 8

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/179>, abgerufen am 24.11.2024.