bis zu einer deutlichen Vorstellung in sich aus- bilden könne, woran ihr der Glaube fehlte. Christus, der eingeborne, gekreuzigte und wieder auferstandene Sohn Gottes, wurde für sie zu einer so festen Gestalt in seinen Wundern, wie es ihr früher irgend ein Gott des Olymps ge- wesen, wie es ihr noch jetzt Goethe's göttlicher Mahadö war, der die sich opfernde Geliebte mit sich verklärt aus den Flammen emporhebt. Sowie sie, trotz der historischen Kenntniß des mittelaltrigen Johannes Faust, diesen gänzlich in der unsterblichen Gestalt des Goethe'schen Faust verloren hatte, weil der Letztere allein ihr durch die poetische Schönheit des Gedankens als wirk- lich erschien: so bildete sie aus dem Menschen Jesus, den die Apostel beschrieben, jenen mysti- schen Christus in sich aus, wie ihn die spätern christlichen Philosophen als Theil der Dreieinig- keit dachten. Nur wähnte sie, als diese Erschei- nung in einer bestimmten Form in ihr lebte,
bis zu einer deutlichen Vorſtellung in ſich aus- bilden könne, woran ihr der Glaube fehlte. Chriſtus, der eingeborne, gekreuzigte und wieder auferſtandene Sohn Gottes, wurde für ſie zu einer ſo feſten Geſtalt in ſeinen Wundern, wie es ihr früher irgend ein Gott des Olymps ge- weſen, wie es ihr noch jetzt Goethe's göttlicher Mahadö war, der die ſich opfernde Geliebte mit ſich verklärt aus den Flammen emporhebt. Sowie ſie, trotz der hiſtoriſchen Kenntniß des mittelaltrigen Johannes Fauſt, dieſen gänzlich in der unſterblichen Geſtalt des Goethe'ſchen Fauſt verloren hatte, weil der Letztere allein ihr durch die poetiſche Schönheit des Gedankens als wirk- lich erſchien: ſo bildete ſie aus dem Menſchen Jeſus, den die Apoſtel beſchrieben, jenen myſti- ſchen Chriſtus in ſich aus, wie ihn die ſpätern chriſtlichen Philoſophen als Theil der Dreieinig- keit dachten. Nur wähnte ſie, als dieſe Erſchei- nung in einer beſtimmten Form in ihr lebte,
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bis zu einer deutlichen Vorſtellung in ſich aus-
bilden könne, woran ihr der Glaube fehlte.
Chriſtus, der eingeborne, gekreuzigte und wieder
auferſtandene Sohn Gottes, wurde für ſie zu
einer ſo feſten Geſtalt in ſeinen Wundern, wie
es ihr früher irgend ein Gott des Olymps ge-
weſen, wie es ihr noch jetzt Goethe's göttlicher
Mahadö war, der die ſich opfernde Geliebte
mit ſich verklärt aus den Flammen emporhebt.
Sowie ſie, trotz der hiſtoriſchen Kenntniß des
mittelaltrigen Johannes Fauſt, dieſen gänzlich
in der unſterblichen Geſtalt des Goethe'ſchen Fauſt
verloren hatte, weil der Letztere allein ihr durch
die poetiſche Schönheit des Gedankens als wirk-
lich erſchien: ſo bildete ſie aus dem Menſchen
Jeſus, den die Apoſtel beſchrieben, jenen myſti-
ſchen Chriſtus in ſich aus, wie ihn die ſpätern
chriſtlichen Philoſophen als Theil der Dreieinig-
keit dachten. Nur wähnte ſie, als dieſe Erſchei-
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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/26>, abgerufen am 03.12.2024.
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