Niemand zu athmen und Alle standen wie fest- gebannt und beherrscht durch die Gewalt des Schmerzes, der in diesen Tönen zu Gott rief und von ihm Rache erflehte. Dann ging der Gesang wieder zu wehmütiger Klage über, Jenny's Stimme wurde weicher, bis sie noch- mals mächtig erklang in den Worten: "in Knechtschaft des Feindes der Jude verlacht", und endlich matt in dem Wunsche erstarb: "O Vaterland süß, o Vaterland mein! könnt ich nur im Tode vereinet dir sein."
Die Röthe der Begeisterung, die während des Singens Jenny's Wangen gefärbt hatte, war gegen das Ende des Liedes gewichen. Ru- hig aber angegriffen stand sie vom Instrumente auf. Kein lautes Zeichen des Beifalls war zu hören, in Vieler Augen standen Thränen; Andre sahen sich befremdet an. Sie schienen dunkel zu ahnen, daß ihnen hier, wo sie flüch- tige Unterhaltung zu finden gehofft, eine Wahr-
Niemand zu athmen und Alle ſtanden wie feſt- gebannt und beherrſcht durch die Gewalt des Schmerzes, der in dieſen Tönen zu Gott rief und von ihm Rache erflehte. Dann ging der Geſang wieder zu wehmütiger Klage über, Jenny's Stimme wurde weicher, bis ſie noch- mals mächtig erklang in den Worten: „in Knechtſchaft des Feindes der Jude verlacht“, und endlich matt in dem Wunſche erſtarb: „O Vaterland ſüß, o Vaterland mein! könnt ich nur im Tode vereinet dir ſein.“
Die Röthe der Begeiſterung, die während des Singens Jenny's Wangen gefärbt hatte, war gegen das Ende des Liedes gewichen. Ru- hig aber angegriffen ſtand ſie vom Inſtrumente auf. Kein lautes Zeichen des Beifalls war zu hören, in Vieler Augen ſtanden Thränen; Andre ſahen ſich befremdet an. Sie ſchienen dunkel zu ahnen, daß ihnen hier, wo ſie flüch- tige Unterhaltung zu finden gehofft, eine Wahr-
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Niemand zu athmen und Alle ſtanden wie feſt-
gebannt und beherrſcht durch die Gewalt des
Schmerzes, der in dieſen Tönen zu Gott rief
und von ihm Rache erflehte. Dann ging der
Geſang wieder zu wehmütiger Klage über,
Jenny's Stimme wurde weicher, bis ſie noch-
mals mächtig erklang in den Worten: „in
Knechtſchaft des Feindes der Jude verlacht“,
und endlich matt in dem Wunſche erſtarb:
„O Vaterland ſüß, o Vaterland mein! könnt
ich nur im Tode vereinet dir ſein.“
Die Röthe der Begeiſterung, die während
des Singens Jenny's Wangen gefärbt hatte,
war gegen das Ende des Liedes gewichen. Ru-
hig aber angegriffen ſtand ſie vom Inſtrumente
auf. Kein lautes Zeichen des Beifalls war zu
hören, in Vieler Augen ſtanden Thränen;
Andre ſahen ſich befremdet an. Sie ſchienen
dunkel zu ahnen, daß ihnen hier, wo ſie flüch-
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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/269>, abgerufen am 06.10.2024.
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