Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.kann, und ich will ihn dir danken, so lange ich lebe. Ich muß, ich muß ihn sehen. -- Du? rief ich, du willst Klemenz sehen? --Verwundere dich nicht, sondern hilf mir lieber, sagte sie mit der Strenge, die sie gleich annahm, wo ihr ein Widerstand entgegentrat. Hilf mir, denn du kannst es. Klemenz ist der Pflegesohn des Onkels, du kannst den Pflegesohn deines Mannes nicht so auf dem Krankenbette liegen lassen, du darfst es nicht, ohne daß du ihn siehst. Gehe zu ihm, nimm mich mit, die Mutter muß uns begleiten. Es wird ihm eine Wohlthat sein, und mir -- mir giebst du mehr als das Leben damit. -- Der Kampf in meinem Herzen war sehr schwer. Ich wußte mir in meiner Todesangst, in der Sorge um den Geliebten nicht zu helfen, nicht zu rathen. Sollte ich hingehen? Wie gern hätte ich das gethan, wie zog es mich zu ihm! -- indeß welche Wirkung konnte es auf ihn machen -- und was würde Schlichting davon denken? Konnte ich, durfte ich den Eingebungen eines Herzens folgen, das sich schon so weit verirrt? Sollte ich Klemenz ein Wiedersehen bereiten, da er selbst mir Lebewohl gesagt für immer? Ich schwankte und rang, mehr als ich sagen kann, bis ich endlich zum Entschluß gelangte. Ich will die Mutter bitten, hinzugehen, sprach ich, du kannst sie dann begleiten. Ich? rief sie, wenn du, wenn die Frau seines Pflegevaters ihn nicht sehen mag? Wie käme ich allein dazu? was habe ich für ein Recht an ihn? kann, und ich will ihn dir danken, so lange ich lebe. Ich muß, ich muß ihn sehen. — Du? rief ich, du willst Klemenz sehen? —Verwundere dich nicht, sondern hilf mir lieber, sagte sie mit der Strenge, die sie gleich annahm, wo ihr ein Widerstand entgegentrat. Hilf mir, denn du kannst es. Klemenz ist der Pflegesohn des Onkels, du kannst den Pflegesohn deines Mannes nicht so auf dem Krankenbette liegen lassen, du darfst es nicht, ohne daß du ihn siehst. Gehe zu ihm, nimm mich mit, die Mutter muß uns begleiten. Es wird ihm eine Wohlthat sein, und mir — mir giebst du mehr als das Leben damit. — Der Kampf in meinem Herzen war sehr schwer. Ich wußte mir in meiner Todesangst, in der Sorge um den Geliebten nicht zu helfen, nicht zu rathen. Sollte ich hingehen? Wie gern hätte ich das gethan, wie zog es mich zu ihm! — indeß welche Wirkung konnte es auf ihn machen — und was würde Schlichting davon denken? Konnte ich, durfte ich den Eingebungen eines Herzens folgen, das sich schon so weit verirrt? Sollte ich Klemenz ein Wiedersehen bereiten, da er selbst mir Lebewohl gesagt für immer? Ich schwankte und rang, mehr als ich sagen kann, bis ich endlich zum Entschluß gelangte. Ich will die Mutter bitten, hinzugehen, sprach ich, du kannst sie dann begleiten. Ich? rief sie, wenn du, wenn die Frau seines Pflegevaters ihn nicht sehen mag? Wie käme ich allein dazu? was habe ich für ein Recht an ihn? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="diaryEntry" n="2"> <p><pb facs="#f0102"/> kann, und ich will ihn dir danken, so lange ich lebe. Ich muß, ich muß ihn sehen. — Du? rief ich, du willst Klemenz sehen? —Verwundere dich nicht, sondern hilf mir lieber, sagte sie mit der Strenge, die sie gleich annahm, wo ihr ein Widerstand entgegentrat. Hilf mir, denn du kannst es. Klemenz ist der Pflegesohn des Onkels, du kannst den Pflegesohn deines Mannes nicht so auf dem Krankenbette liegen lassen, du darfst es nicht, ohne daß du ihn siehst. Gehe zu ihm, nimm mich mit, die Mutter muß uns begleiten. Es wird ihm eine Wohlthat sein, und mir — mir giebst du mehr als das Leben damit. — Der Kampf in meinem Herzen war sehr schwer. Ich wußte mir in meiner Todesangst, in der Sorge um den Geliebten nicht zu helfen, nicht zu rathen. Sollte ich hingehen?</p><lb/> <p>Wie gern hätte ich das gethan, wie zog es mich zu ihm! — indeß welche Wirkung konnte es auf ihn machen — und was würde Schlichting davon denken? Konnte ich, durfte ich den Eingebungen eines Herzens folgen, das sich schon so weit verirrt? Sollte ich Klemenz ein Wiedersehen bereiten, da er selbst mir Lebewohl gesagt für immer? Ich schwankte und rang, mehr als ich sagen kann, bis ich endlich zum Entschluß gelangte. Ich will die Mutter bitten, hinzugehen, sprach ich, du kannst sie dann begleiten.</p><lb/> <p>Ich? rief sie, wenn du, wenn die Frau seines Pflegevaters ihn nicht sehen mag? Wie käme ich allein dazu? was habe ich für ein Recht an ihn?<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0102]
kann, und ich will ihn dir danken, so lange ich lebe. Ich muß, ich muß ihn sehen. — Du? rief ich, du willst Klemenz sehen? —Verwundere dich nicht, sondern hilf mir lieber, sagte sie mit der Strenge, die sie gleich annahm, wo ihr ein Widerstand entgegentrat. Hilf mir, denn du kannst es. Klemenz ist der Pflegesohn des Onkels, du kannst den Pflegesohn deines Mannes nicht so auf dem Krankenbette liegen lassen, du darfst es nicht, ohne daß du ihn siehst. Gehe zu ihm, nimm mich mit, die Mutter muß uns begleiten. Es wird ihm eine Wohlthat sein, und mir — mir giebst du mehr als das Leben damit. — Der Kampf in meinem Herzen war sehr schwer. Ich wußte mir in meiner Todesangst, in der Sorge um den Geliebten nicht zu helfen, nicht zu rathen. Sollte ich hingehen?
Wie gern hätte ich das gethan, wie zog es mich zu ihm! — indeß welche Wirkung konnte es auf ihn machen — und was würde Schlichting davon denken? Konnte ich, durfte ich den Eingebungen eines Herzens folgen, das sich schon so weit verirrt? Sollte ich Klemenz ein Wiedersehen bereiten, da er selbst mir Lebewohl gesagt für immer? Ich schwankte und rang, mehr als ich sagen kann, bis ich endlich zum Entschluß gelangte. Ich will die Mutter bitten, hinzugehen, sprach ich, du kannst sie dann begleiten.
Ich? rief sie, wenn du, wenn die Frau seines Pflegevaters ihn nicht sehen mag? Wie käme ich allein dazu? was habe ich für ein Recht an ihn?
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