Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.seine Weiterbildung so bedroht sah. Und es findet nicht Jede einen Mann, wie du ihn hattest! sagte eine Andere. Du hast auch solch ein ruhiges Gemüth, bemerkte ich, daß du viel leichter und in anderer Weise glücklich werden konntest, als wir Alle. Die Tante blickte uns der Reihe nach an, dann sagte sie freundlich: Also ihr betrachtet mich als eine Art von Rarität, als einen Paradiesvogel, als ein Wesen ohne Blut und Leben, ohne Antheil an der Menschheit unverlierbarem Erbe, an dem Schmerz? Ihr denkt, weil ich das Leben lieb habe und es schön finde und mein Schicksal und meinen verstorbenen theuren Mann bis an mein Lebensende segnen werde, deßhalb denkt ihr, ich hätte die Tage nicht auch von ihrer ernsten Seite kennen lernen? Ihr irrt euch sehr! -- Sie hatte die letzten Worte mit einer Energie gesprochen, die Keine von uns je an ihr bemerkt. Ein Zug von Schwermuth veränderte ihren ganzen Ausdruck, und zum erstenmale im Leben fiel mir ein, daran zu denken, was die Tante in ihrer Jugend wohl gewesen sein mochte. Indeß ehe ich dieser Frage Worte geben konnte, sprach sie: Ich glaube, recht heiter wird der Mensch nur dann, wenn er vorher einmal recht traurig, recht vom Schmerz durchfurcht gewesen ist. Aber das war doch nie bei dir der Fall? wendete ich ein. -- Woher glaubst du das? was weißt du, was wißt ihr Alle denn von mir? -- Nun, Alles! entgegnete meine Schwester, die Mutter des jungen seine Weiterbildung so bedroht sah. Und es findet nicht Jede einen Mann, wie du ihn hattest! sagte eine Andere. Du hast auch solch ein ruhiges Gemüth, bemerkte ich, daß du viel leichter und in anderer Weise glücklich werden konntest, als wir Alle. Die Tante blickte uns der Reihe nach an, dann sagte sie freundlich: Also ihr betrachtet mich als eine Art von Rarität, als einen Paradiesvogel, als ein Wesen ohne Blut und Leben, ohne Antheil an der Menschheit unverlierbarem Erbe, an dem Schmerz? Ihr denkt, weil ich das Leben lieb habe und es schön finde und mein Schicksal und meinen verstorbenen theuren Mann bis an mein Lebensende segnen werde, deßhalb denkt ihr, ich hätte die Tage nicht auch von ihrer ernsten Seite kennen lernen? Ihr irrt euch sehr! — Sie hatte die letzten Worte mit einer Energie gesprochen, die Keine von uns je an ihr bemerkt. Ein Zug von Schwermuth veränderte ihren ganzen Ausdruck, und zum erstenmale im Leben fiel mir ein, daran zu denken, was die Tante in ihrer Jugend wohl gewesen sein mochte. Indeß ehe ich dieser Frage Worte geben konnte, sprach sie: Ich glaube, recht heiter wird der Mensch nur dann, wenn er vorher einmal recht traurig, recht vom Schmerz durchfurcht gewesen ist. Aber das war doch nie bei dir der Fall? wendete ich ein. — Woher glaubst du das? was weißt du, was wißt ihr Alle denn von mir? — Nun, Alles! entgegnete meine Schwester, die Mutter des jungen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0014"/> seine Weiterbildung so bedroht sah. Und es findet nicht Jede einen Mann, wie du ihn hattest! sagte eine Andere. Du hast auch solch ein ruhiges Gemüth, bemerkte ich, daß du viel leichter und in anderer Weise glücklich werden konntest, als wir Alle.</p><lb/> <p>Die Tante blickte uns der Reihe nach an, dann sagte sie freundlich: Also ihr betrachtet mich als eine Art von Rarität, als einen Paradiesvogel, als ein Wesen ohne Blut und Leben, ohne Antheil an der Menschheit unverlierbarem Erbe, an dem Schmerz? Ihr denkt, weil ich das Leben lieb habe und es schön finde und mein Schicksal und meinen verstorbenen theuren Mann bis an mein Lebensende segnen werde, deßhalb denkt ihr, ich hätte die Tage nicht auch von ihrer ernsten Seite kennen lernen? Ihr irrt euch sehr! — Sie hatte die letzten Worte mit einer Energie gesprochen, die Keine von uns je an ihr bemerkt. Ein Zug von Schwermuth veränderte ihren ganzen Ausdruck, und zum erstenmale im Leben fiel mir ein, daran zu denken, was die Tante in ihrer Jugend wohl gewesen sein mochte. Indeß ehe ich dieser Frage Worte geben konnte, sprach sie: Ich glaube, recht heiter wird der Mensch nur dann, wenn er vorher einmal recht traurig, recht vom Schmerz durchfurcht gewesen ist.</p><lb/> <p>Aber das war doch nie bei dir der Fall? wendete ich ein. — Woher glaubst du das? was weißt du, was wißt ihr Alle denn von mir? — Nun, Alles! entgegnete meine Schwester, die Mutter des jungen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0014]
seine Weiterbildung so bedroht sah. Und es findet nicht Jede einen Mann, wie du ihn hattest! sagte eine Andere. Du hast auch solch ein ruhiges Gemüth, bemerkte ich, daß du viel leichter und in anderer Weise glücklich werden konntest, als wir Alle.
Die Tante blickte uns der Reihe nach an, dann sagte sie freundlich: Also ihr betrachtet mich als eine Art von Rarität, als einen Paradiesvogel, als ein Wesen ohne Blut und Leben, ohne Antheil an der Menschheit unverlierbarem Erbe, an dem Schmerz? Ihr denkt, weil ich das Leben lieb habe und es schön finde und mein Schicksal und meinen verstorbenen theuren Mann bis an mein Lebensende segnen werde, deßhalb denkt ihr, ich hätte die Tage nicht auch von ihrer ernsten Seite kennen lernen? Ihr irrt euch sehr! — Sie hatte die letzten Worte mit einer Energie gesprochen, die Keine von uns je an ihr bemerkt. Ein Zug von Schwermuth veränderte ihren ganzen Ausdruck, und zum erstenmale im Leben fiel mir ein, daran zu denken, was die Tante in ihrer Jugend wohl gewesen sein mochte. Indeß ehe ich dieser Frage Worte geben konnte, sprach sie: Ich glaube, recht heiter wird der Mensch nur dann, wenn er vorher einmal recht traurig, recht vom Schmerz durchfurcht gewesen ist.
Aber das war doch nie bei dir der Fall? wendete ich ein. — Woher glaubst du das? was weißt du, was wißt ihr Alle denn von mir? — Nun, Alles! entgegnete meine Schwester, die Mutter des jungen
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Zitationshilfe: | Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/14>, abgerufen am 16.02.2025. |