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Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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auseinandersetzte, daß man nicht vergessen dürfe, welch ein Unglück es sei, so jung schon um den Verlust seines Gatten zu sorgen, und wie sie ihm mit Seufzen antwortete: Ein Unglück nennen Sie das? Ein Unglück ist es, Niemand zu haben, der uns liebt, Niemand, für den man sorgt und leidet. Julie hat ein beneidenswerthes Loos! und Schlichting wird genesen, Julie hat mit Allem Glück.

Ich konnte nicht verstehen, was er ihr darauf erwiderte, aber ich sah den forschenden Blick der Theilnahme, den er auf sie richtete, ich sah, daß sie ihm die Hand gab, daß er sie ihr küßte, und eilte davon. Es fuhr mir wie ein Schnitt durchs Herz; sie liebten sich! Sie liebten sich! das hatte ich ja gewollt. Und in bittere Thränen ausbrechend rief ich: Ja, ich habe Glück in Allem!

Am folgenden Tage war mein siebzehnter Geburtstag. Mutter und Geschwister, Freunde und Bekannte hatten meiner liebevoll fürsorgend gedacht, aber Niemand schien freudigen Dank von mir zu erwarten, denn noch fehlten die weiteren Nachrichten von Schlichting. Von Stunde zu Stunde erwartete ich Klemenz. Eine Art von Aberglauben ließ mich hoffen, heute werde ich Botschaft erhalten, gute Botschaft, und Klemenz werde sie mir bringen.

Ich hatte kaum die Ruhe, meinen Besuchen die nöthige Rede und Antwort zu geben. Ich ging vom Sopha zum Fenster, vom Fenster zur Thüre und

auseinandersetzte, daß man nicht vergessen dürfe, welch ein Unglück es sei, so jung schon um den Verlust seines Gatten zu sorgen, und wie sie ihm mit Seufzen antwortete: Ein Unglück nennen Sie das? Ein Unglück ist es, Niemand zu haben, der uns liebt, Niemand, für den man sorgt und leidet. Julie hat ein beneidenswerthes Loos! und Schlichting wird genesen, Julie hat mit Allem Glück.

Ich konnte nicht verstehen, was er ihr darauf erwiderte, aber ich sah den forschenden Blick der Theilnahme, den er auf sie richtete, ich sah, daß sie ihm die Hand gab, daß er sie ihr küßte, und eilte davon. Es fuhr mir wie ein Schnitt durchs Herz; sie liebten sich! Sie liebten sich! das hatte ich ja gewollt. Und in bittere Thränen ausbrechend rief ich: Ja, ich habe Glück in Allem!

Am folgenden Tage war mein siebzehnter Geburtstag. Mutter und Geschwister, Freunde und Bekannte hatten meiner liebevoll fürsorgend gedacht, aber Niemand schien freudigen Dank von mir zu erwarten, denn noch fehlten die weiteren Nachrichten von Schlichting. Von Stunde zu Stunde erwartete ich Klemenz. Eine Art von Aberglauben ließ mich hoffen, heute werde ich Botschaft erhalten, gute Botschaft, und Klemenz werde sie mir bringen.

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[0089] auseinandersetzte, daß man nicht vergessen dürfe, welch ein Unglück es sei, so jung schon um den Verlust seines Gatten zu sorgen, und wie sie ihm mit Seufzen antwortete: Ein Unglück nennen Sie das? Ein Unglück ist es, Niemand zu haben, der uns liebt, Niemand, für den man sorgt und leidet. Julie hat ein beneidenswerthes Loos! und Schlichting wird genesen, Julie hat mit Allem Glück. Ich konnte nicht verstehen, was er ihr darauf erwiderte, aber ich sah den forschenden Blick der Theilnahme, den er auf sie richtete, ich sah, daß sie ihm die Hand gab, daß er sie ihr küßte, und eilte davon. Es fuhr mir wie ein Schnitt durchs Herz; sie liebten sich! Sie liebten sich! das hatte ich ja gewollt. Und in bittere Thränen ausbrechend rief ich: Ja, ich habe Glück in Allem! Am folgenden Tage war mein siebzehnter Geburtstag. Mutter und Geschwister, Freunde und Bekannte hatten meiner liebevoll fürsorgend gedacht, aber Niemand schien freudigen Dank von mir zu erwarten, denn noch fehlten die weiteren Nachrichten von Schlichting. Von Stunde zu Stunde erwartete ich Klemenz. Eine Art von Aberglauben ließ mich hoffen, heute werde ich Botschaft erhalten, gute Botschaft, und Klemenz werde sie mir bringen. Ich hatte kaum die Ruhe, meinen Besuchen die nöthige Rede und Antwort zu geben. Ich ging vom Sopha zum Fenster, vom Fenster zur Thüre und

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:16:08Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:16:08Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/89>, abgerufen am 12.05.2024.