Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. Braunschweig, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Ursprung und die Assimilation des Stickstoffs.
ben nach dem Tode durch ihre Fäulniß allen Stickstoff, den sie
enthalten, in der Form von Ammoniak an die Atmosphäre zu-
rück. Selbst in den Leichen auf dem Kirchhofe des Innocens
in Paris, 60 Fuß unter der Oberfläche der Erde, war aller
Stickstoff, den sie in dem Adipocire zurückbehielten, in der Form
von Ammoniak enthalten; es ist die einfachste, die letzte unter al-
len Stickstoffverbindungen, und es ist der Wasserstoff, zu dem der
Stickstoff die entschiedenste, die überwiegendste Verwandtschaft zeigt.

Der Stickstoff der Thiere und Menschen ist in der Atmo-
sphäre als Ammoniak enthalten, in der Form eines Gases,
was sich mit Kohlensäure zu einem flüchtigen Salze verbin-
det, ein Gas, was sich im Wasser mit außerordentlicher
Leichtigkeit lös't, dessen flüchtige Verbindungen ohne Ausnah-
men diese nemliche Löslichkeit besitzen.

Als Ammoniak kann sich der Stickstoff in der Atmosphäre
nicht behaupten, denn mit jeder Condensation des Wasserdam-
pfes, zu tropfbarem Wasser, muß sich alles Ammoniak verdich-
ten, jeder Regenguß muß die Atmosphäre in gewissen Strecken
von allem Ammoniak auf's Vollkommenste befreien. Das Re-
genwasser muß zu allen Zeiten Ammoniak enthalten, im Som-
mer, wo die Regentage weiter von einander entfernt stehen,
mehr wie im Winter oder Frühling; der Regen des ersten
Regentages muß mehr davon enthalten, als der des zweiten,
nach anhaltender Trockenheit, müssen Gewitterregen, die größte
Quantität Ammoniak der Erde wieder zuführen. Die Ana-
lysen der Luft haben aber bis jetzt diesen, in derselben nie feh-
lenden Ammoniakgehalt nicht angezeigt; ist es denkbar, daß
er unsern feinsten und genauesten Instrumenten entgehen konnte?
Gewiß ist diese Quantität für einen Cubikfuß Luft verschwin-
dend, dessenungeachtet ist sie die Summe des Stickstoffgehaltes
von tausenden von Milliarden Thieren und Menschen, mehr

Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs.
ben nach dem Tode durch ihre Fäulniß allen Stickſtoff, den ſie
enthalten, in der Form von Ammoniak an die Atmoſphäre zu-
rück. Selbſt in den Leichen auf dem Kirchhofe des Innocens
in Paris, 60 Fuß unter der Oberfläche der Erde, war aller
Stickſtoff, den ſie in dem Adipocire zurückbehielten, in der Form
von Ammoniak enthalten; es iſt die einfachſte, die letzte unter al-
len Stickſtoffverbindungen, und es iſt der Waſſerſtoff, zu dem der
Stickſtoff die entſchiedenſte, die überwiegendſte Verwandtſchaft zeigt.

Der Stickſtoff der Thiere und Menſchen iſt in der Atmo-
ſphäre als Ammoniak enthalten, in der Form eines Gaſes,
was ſich mit Kohlenſäure zu einem flüchtigen Salze verbin-
det, ein Gas, was ſich im Waſſer mit außerordentlicher
Leichtigkeit löſ’t, deſſen flüchtige Verbindungen ohne Ausnah-
men dieſe nemliche Löslichkeit beſitzen.

Als Ammoniak kann ſich der Stickſtoff in der Atmoſphäre
nicht behaupten, denn mit jeder Condenſation des Waſſerdam-
pfes, zu tropfbarem Waſſer, muß ſich alles Ammoniak verdich-
ten, jeder Regenguß muß die Atmoſphäre in gewiſſen Strecken
von allem Ammoniak auf’s Vollkommenſte befreien. Das Re-
genwaſſer muß zu allen Zeiten Ammoniak enthalten, im Som-
mer, wo die Regentage weiter von einander entfernt ſtehen,
mehr wie im Winter oder Frühling; der Regen des erſten
Regentages muß mehr davon enthalten, als der des zweiten,
nach anhaltender Trockenheit, müſſen Gewitterregen, die größte
Quantität Ammoniak der Erde wieder zuführen. Die Ana-
lyſen der Luft haben aber bis jetzt dieſen, in derſelben nie feh-
lenden Ammoniakgehalt nicht angezeigt; iſt es denkbar, daß
er unſern feinſten und genaueſten Inſtrumenten entgehen konnte?
Gewiß iſt dieſe Quantität für einen Cubikfuß Luft verſchwin-
dend, deſſenungeachtet iſt ſie die Summe des Stickſtoffgehaltes
von tauſenden von Milliarden Thieren und Menſchen, mehr

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0086" n="68"/><fw place="top" type="header">Der Ur&#x017F;prung und die A&#x017F;&#x017F;imilation des Stick&#x017F;toffs.</fw><lb/>
ben nach dem Tode durch ihre Fäulniß allen Stick&#x017F;toff, den &#x017F;ie<lb/>
enthalten, in der Form von Ammoniak an die Atmo&#x017F;phäre zu-<lb/>
rück. Selb&#x017F;t in den Leichen auf dem Kirchhofe <hi rendition="#aq">des Innocens</hi><lb/>
in Paris, 60 Fuß unter der Oberfläche der Erde, war aller<lb/>
Stick&#x017F;toff, den &#x017F;ie in dem Adipocire zurückbehielten, in der Form<lb/>
von Ammoniak enthalten; es i&#x017F;t die einfach&#x017F;te, die letzte unter al-<lb/>
len Stick&#x017F;toffverbindungen, und es i&#x017F;t der Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;toff, zu dem der<lb/>
Stick&#x017F;toff die ent&#x017F;chieden&#x017F;te, die überwiegend&#x017F;te Verwandt&#x017F;chaft zeigt.</p><lb/>
          <p>Der Stick&#x017F;toff der Thiere und Men&#x017F;chen i&#x017F;t in der Atmo-<lb/>
&#x017F;phäre als Ammoniak enthalten, in der Form eines Ga&#x017F;es,<lb/>
was &#x017F;ich mit Kohlen&#x017F;äure zu einem flüchtigen Salze verbin-<lb/>
det, ein Gas, was &#x017F;ich im Wa&#x017F;&#x017F;er mit außerordentlicher<lb/>
Leichtigkeit lö&#x017F;&#x2019;t, de&#x017F;&#x017F;en flüchtige Verbindungen ohne Ausnah-<lb/>
men die&#x017F;e nemliche Löslichkeit be&#x017F;itzen.</p><lb/>
          <p>Als Ammoniak kann &#x017F;ich der Stick&#x017F;toff in der Atmo&#x017F;phäre<lb/>
nicht behaupten, denn mit jeder Conden&#x017F;ation des Wa&#x017F;&#x017F;erdam-<lb/>
pfes, zu tropfbarem Wa&#x017F;&#x017F;er, muß &#x017F;ich alles Ammoniak verdich-<lb/>
ten, jeder Regenguß muß die Atmo&#x017F;phäre in gewi&#x017F;&#x017F;en Strecken<lb/>
von allem Ammoniak auf&#x2019;s Vollkommen&#x017F;te befreien. Das Re-<lb/>
genwa&#x017F;&#x017F;er muß zu allen Zeiten Ammoniak enthalten, im Som-<lb/>
mer, wo die Regentage weiter von einander entfernt &#x017F;tehen,<lb/>
mehr wie im Winter oder Frühling; der Regen des er&#x017F;ten<lb/>
Regentages muß mehr davon enthalten, als der des zweiten,<lb/>
nach anhaltender Trockenheit, mü&#x017F;&#x017F;en Gewitterregen, die größte<lb/>
Quantität Ammoniak der Erde wieder zuführen. Die Ana-<lb/>
ly&#x017F;en der Luft haben aber bis jetzt die&#x017F;en, in der&#x017F;elben nie feh-<lb/>
lenden Ammoniakgehalt nicht angezeigt; i&#x017F;t es denkbar, daß<lb/>
er un&#x017F;ern fein&#x017F;ten und genaue&#x017F;ten In&#x017F;trumenten entgehen konnte?<lb/>
Gewiß i&#x017F;t die&#x017F;e Quantität für einen Cubikfuß Luft ver&#x017F;chwin-<lb/>
dend, de&#x017F;&#x017F;enungeachtet i&#x017F;t &#x017F;ie die Summe des Stick&#x017F;toffgehaltes<lb/>
von tau&#x017F;enden von Milliarden Thieren und Men&#x017F;chen, mehr<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[68/0086] Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs. ben nach dem Tode durch ihre Fäulniß allen Stickſtoff, den ſie enthalten, in der Form von Ammoniak an die Atmoſphäre zu- rück. Selbſt in den Leichen auf dem Kirchhofe des Innocens in Paris, 60 Fuß unter der Oberfläche der Erde, war aller Stickſtoff, den ſie in dem Adipocire zurückbehielten, in der Form von Ammoniak enthalten; es iſt die einfachſte, die letzte unter al- len Stickſtoffverbindungen, und es iſt der Waſſerſtoff, zu dem der Stickſtoff die entſchiedenſte, die überwiegendſte Verwandtſchaft zeigt. Der Stickſtoff der Thiere und Menſchen iſt in der Atmo- ſphäre als Ammoniak enthalten, in der Form eines Gaſes, was ſich mit Kohlenſäure zu einem flüchtigen Salze verbin- det, ein Gas, was ſich im Waſſer mit außerordentlicher Leichtigkeit löſ’t, deſſen flüchtige Verbindungen ohne Ausnah- men dieſe nemliche Löslichkeit beſitzen. Als Ammoniak kann ſich der Stickſtoff in der Atmoſphäre nicht behaupten, denn mit jeder Condenſation des Waſſerdam- pfes, zu tropfbarem Waſſer, muß ſich alles Ammoniak verdich- ten, jeder Regenguß muß die Atmoſphäre in gewiſſen Strecken von allem Ammoniak auf’s Vollkommenſte befreien. Das Re- genwaſſer muß zu allen Zeiten Ammoniak enthalten, im Som- mer, wo die Regentage weiter von einander entfernt ſtehen, mehr wie im Winter oder Frühling; der Regen des erſten Regentages muß mehr davon enthalten, als der des zweiten, nach anhaltender Trockenheit, müſſen Gewitterregen, die größte Quantität Ammoniak der Erde wieder zuführen. Die Ana- lyſen der Luft haben aber bis jetzt dieſen, in derſelben nie feh- lenden Ammoniakgehalt nicht angezeigt; iſt es denkbar, daß er unſern feinſten und genaueſten Inſtrumenten entgehen konnte? Gewiß iſt dieſe Quantität für einen Cubikfuß Luft verſchwin- dend, deſſenungeachtet iſt ſie die Summe des Stickſtoffgehaltes von tauſenden von Milliarden Thieren und Menſchen, mehr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_agricultur_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_agricultur_1840/86
Zitationshilfe: Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. Braunschweig, 1840, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_agricultur_1840/86>, abgerufen am 21.11.2024.