Denken wir uns nur einen Hirsch, ein Reh oder einen Ha- sen, welche ähnliche Nahrungsmittel genießen, wie das Rind- vieh oder Schaf, so ist es evident, daß bei Ueberfluß an Nah- rung ihre Zunahme an Masse (ihr Feistwerden) abhängig ist von der Menge des genossenen Pflanzenalbumins, -Fibrins oder -Caseins. Bei einer freien ungehinderten Bewegung nehmen sie Sauerstoff genug auf, um den Kohlenstoff des genossenen Gummi's, des Amylons, des Zuckers und überhaupt aller lös- chen stickstofffreien Nahrungsmittel verschwinden zu machen.
Ganz anders stellt sich dieses Verhältniß bei unseren Haus- thieren, wenn wir bei reichlicher Nahrung die Abkühlung und Exhalationsprocesse hindern, wenn wir sie in unseren Ställen füttern, wo die freie Bewegung unterdrückt ist.
Das Thier, welches den Stall nicht verläßt, frißt und ruht bloß, um zu verdauen, es nimmt in der Form von stickstoff- haltigen Stoffen weit mehr Nahrung auf, als es zur Repro- duktion bedarf, und in gleicher Zeit mit diesen genießt es weit mehr stickstofffreie Substanzen, als zur Unterhaltung des Re- productionsprocesses und zum Ersatz an verlorner Wärme nö- thig sind. Mangel an Bewegung und Abkühlung ist aber gleichbedeutend einem Mangel an Zufuhr von Sauerstoff; es nimmt, da diese vermindert sind, bei weitem weniger Sauer- stoff auf, als zur Verwandlung des in der stickstofffreien Nah- rung genossenen Kohlenstoffs in Kohlensäure erforderlich ist. Nur ein kleiner Theil dieses Ueberschusses von Kohlenstoff tritt aus dem Körper bei Pferden und dem Rindvieh in der Form von Hippursäure aus, alles übrige wird zur Erzeu-
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Reſpiration und Ernährung.
Denken wir uns nur einen Hirſch, ein Reh oder einen Ha- ſen, welche ähnliche Nahrungsmittel genießen, wie das Rind- vieh oder Schaf, ſo iſt es evident, daß bei Ueberfluß an Nah- rung ihre Zunahme an Maſſe (ihr Feiſtwerden) abhängig iſt von der Menge des genoſſenen Pflanzenalbumins, -Fibrins oder -Caſeins. Bei einer freien ungehinderten Bewegung nehmen ſie Sauerſtoff genug auf, um den Kohlenſtoff des genoſſenen Gummi’s, des Amylons, des Zuckers und überhaupt aller lös- chen ſtickſtofffreien Nahrungsmittel verſchwinden zu machen.
Ganz anders ſtellt ſich dieſes Verhältniß bei unſeren Haus- thieren, wenn wir bei reichlicher Nahrung die Abkühlung und Exhalationsproceſſe hindern, wenn wir ſie in unſeren Ställen füttern, wo die freie Bewegung unterdrückt iſt.
Das Thier, welches den Stall nicht verläßt, frißt und ruht bloß, um zu verdauen, es nimmt in der Form von ſtickſtoff- haltigen Stoffen weit mehr Nahrung auf, als es zur Repro- duktion bedarf, und in gleicher Zeit mit dieſen genießt es weit mehr ſtickſtofffreie Subſtanzen, als zur Unterhaltung des Re- productionsproceſſes und zum Erſatz an verlorner Wärme nö- thig ſind. Mangel an Bewegung und Abkühlung iſt aber gleichbedeutend einem Mangel an Zufuhr von Sauerſtoff; es nimmt, da dieſe vermindert ſind, bei weitem weniger Sauer- ſtoff auf, als zur Verwandlung des in der ſtickſtofffreien Nah- rung genoſſenen Kohlenſtoffs in Kohlenſäure erforderlich iſt. Nur ein kleiner Theil dieſes Ueberſchuſſes von Kohlenſtoff tritt aus dem Körper bei Pferden und dem Rindvieh in der Form von Hippurſäure aus, alles übrige wird zur Erzeu-
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Reſpiration und Ernährung.
Denken wir uns nur einen Hirſch, ein Reh oder einen Ha-
ſen, welche ähnliche Nahrungsmittel genießen, wie das Rind-
vieh oder Schaf, ſo iſt es evident, daß bei Ueberfluß an Nah-
rung ihre Zunahme an Maſſe (ihr Feiſtwerden) abhängig iſt
von der Menge des genoſſenen Pflanzenalbumins, -Fibrins oder
-Caſeins. Bei einer freien ungehinderten Bewegung nehmen
ſie Sauerſtoff genug auf, um den Kohlenſtoff des genoſſenen
Gummi’s, des Amylons, des Zuckers und überhaupt aller lös-
chen ſtickſtofffreien Nahrungsmittel verſchwinden zu machen.
Ganz anders ſtellt ſich dieſes Verhältniß bei unſeren Haus-
thieren, wenn wir bei reichlicher Nahrung die Abkühlung und
Exhalationsproceſſe hindern, wenn wir ſie in unſeren Ställen
füttern, wo die freie Bewegung unterdrückt iſt.
Das Thier, welches den Stall nicht verläßt, frißt und ruht
bloß, um zu verdauen, es nimmt in der Form von ſtickſtoff-
haltigen Stoffen weit mehr Nahrung auf, als es zur Repro-
duktion bedarf, und in gleicher Zeit mit dieſen genießt es weit
mehr ſtickſtofffreie Subſtanzen, als zur Unterhaltung des Re-
productionsproceſſes und zum Erſatz an verlorner Wärme nö-
thig ſind. Mangel an Bewegung und Abkühlung iſt aber
gleichbedeutend einem Mangel an Zufuhr von Sauerſtoff; es
nimmt, da dieſe vermindert ſind, bei weitem weniger Sauer-
ſtoff auf, als zur Verwandlung des in der ſtickſtofffreien Nah-
rung genoſſenen Kohlenſtoffs in Kohlenſäure erforderlich iſt.
Nur ein kleiner Theil dieſes Ueberſchuſſes von Kohlenſtoff
tritt aus dem Körper bei Pferden und dem Rindvieh in der
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Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Physiologie und Pathologie. Braunschweig, 1842, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_physiologie_1842/107>, abgerufen am 21.11.2024.
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