Liebknecht, Wilhelm: Zur orientalischen Frage oder Soll Europa kosakisch werden? 2. Aufl. Leipzig, 1878.greuel", die zum größten Theil erlogen sind, für russisches Geld er- Das ist "die Schande Europas"! Oder hat etwa Rußland so gewaltige Machtmittel zu seiner Ver- Mit nichten. Die deutsche Armee ist der russischen zum minde- Gäbe es ein Europa, d. h. hätten die europäischen Culturstaaten Das Halt! ist nicht zugerufen worden, und es konnte nicht zuge- Warum nicht? Feldmarschall Moltke triumphirte vor vier Jahren im Reichstag: *) Wie es in diesem Krieg wieder geschehen. Note des Verf.
greuel‟, die zum größten Theil erlogen ſind, für ruſſiſches Geld er- Das iſt „die Schande Europas‟! Oder hat etwa Rußland ſo gewaltige Machtmittel zu ſeiner Ver- Mit nichten. Die deutſche Armee iſt der ruſſiſchen zum minde- Gäbe es ein Europa, d. h. hätten die europäiſchen Culturſtaaten Das Halt! iſt nicht zugerufen worden, und es konnte nicht zuge- Warum nicht? Feldmarſchall Moltke triumphirte vor vier Jahren im Reichstag: *) Wie es in dieſem Krieg wieder geſchehen. Note des Verf.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0012" n="8"/> greuel‟, die zum größten Theil erlogen ſind, für <hi rendition="#g">ruſſiſches</hi> Geld er-<lb/> logen, und, ſoweit ſie nicht erlogen, durch die infame <hi rendition="#g">ruſſiſche</hi> Politik<lb/> hervorgerufen ſind; und dieſer räuberiſchſte, grauſamſte, heuchleriſchſte<lb/> aller Raubſtaaten darf ungeſtraft Europa, die Welt, aus einer Panik<lb/> in die andere ſtürzen, darf den Handel und die Jnduſtrie der zum<lb/> Aufblühen unentbehrlichen Ruhe und Sicherheit berauben, darf Ver-<lb/> wickelungen ſchaffen, aus denen jeden Augenblick ein europäiſcher, ein<lb/> Weltkrieg emporſchießen kann.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Das</hi> iſt „die Schande Europas‟!</p><lb/> <p>Oder hat etwa Rußland ſo gewaltige Machtmittel zu ſeiner Ver-<lb/> fügung, daß das ganze übrige Europa ihm gegenüber machtlos iſt und<lb/> demüthig die Knute des Czars küſſen muß?</p><lb/> <p>Mit nichten. Die <hi rendition="#g">deutſche</hi> Armee iſt der ruſſiſchen zum minde-<lb/> ſten gewachſen. Das Nämliche gilt von der <hi rendition="#g">franzöſiſchen</hi> Armee.<lb/> Von den <hi rendition="#g">Türken</hi> pflegte <hi rendition="#g">Urquhart,</hi> der beſte Kenner der Türken<lb/> und Ruſſen, gelegentlich des Krimkriegs zu ſagen: „Man laſſe die<lb/> Ruſſen und Türken ihren Streit unter ſich ausfechten: wenn die Diplo-<lb/> matie den Türken nicht in die Arme fällt<note place="foot" n="*)">Wie es in <hi rendition="#g">dieſem</hi> Krieg wieder geſchehen. <hi rendition="#et">Note des Verf.</hi></note>, werden ſie mit den Ruſſen<lb/> fertig.‟ Thatſache iſt, daß die Ruſſen bis jetzt faſt keine <hi rendition="#g">militäriſchen,</hi><lb/> faſt blos <hi rendition="#g">diplomatiſche</hi> Erfolge der Türkei gegenüber errungen, und<lb/> daß ſie dieſe diplomatiſchen Erfolge weniger der eigenen als der frem-<lb/> den Diplomatie zu verdanken haben. Was ferner <hi rendition="#g">Oeſterreich</hi> betrifft,<lb/> ſo hat es genügende Hilfsquellen, um Rußland in einem Vertheidigungs-<lb/> krieg ſiegreich die Spitze bieten zu können; und daß <hi rendition="#g">England</hi> an<lb/> Macht Rußland nicht nachſteht, weiß, mit Ausnahme des „Profeſſors‟<lb/> Treitſchke, ein jedes Kind.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Gäbe</hi> es ein Europa, d. h. hätten die europäiſchen Culturſtaaten<lb/> eine gemeinſame Politik, könnte nur <hi rendition="#g">einer</hi> der <hi rendition="#g">großen</hi> Culturſtaaten<lb/> ſein Votum, <hi rendition="#g">ohne Gefahr ſeitens der Nachbarn,</hi> nachdrücklich zu<lb/> Gunſten des Friedens in die Wagſchale legen und Rußland ein ener-<lb/> giſches Halt! zurufen, ſo wären die Kriegswolken längſt zerſtreut —<lb/> ja, ſie hätten ſich gar nicht angeſammelt.</p><lb/> <p>Das Halt! iſt nicht zugerufen worden, und es <hi rendition="#g">konnte</hi> nicht zuge-<lb/> rufen werden.</p><lb/> <p>Warum nicht?</p><lb/> <p>Feldmarſchall <hi rendition="#g">Moltke</hi> triumphirte vor vier Jahren im Reichstag:<lb/> „Ohne Erlaubniß des deutſchen Reichs kann kein Kanonenſchuß in Eu-<lb/> ropa abgefeuert werden.‟ Dieſe Ueberſetzung einer franzöſiſchen Krat-<lb/> phraſe in preußiſches Deutſch hat ſich leider als bloße Kraftphraſe er-<lb/> wieſen. Um die Erlaubniß, in Serbien und Montenegro loszuſchlagen,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [8/0012]
greuel‟, die zum größten Theil erlogen ſind, für ruſſiſches Geld er-
logen, und, ſoweit ſie nicht erlogen, durch die infame ruſſiſche Politik
hervorgerufen ſind; und dieſer räuberiſchſte, grauſamſte, heuchleriſchſte
aller Raubſtaaten darf ungeſtraft Europa, die Welt, aus einer Panik
in die andere ſtürzen, darf den Handel und die Jnduſtrie der zum
Aufblühen unentbehrlichen Ruhe und Sicherheit berauben, darf Ver-
wickelungen ſchaffen, aus denen jeden Augenblick ein europäiſcher, ein
Weltkrieg emporſchießen kann.
Das iſt „die Schande Europas‟!
Oder hat etwa Rußland ſo gewaltige Machtmittel zu ſeiner Ver-
fügung, daß das ganze übrige Europa ihm gegenüber machtlos iſt und
demüthig die Knute des Czars küſſen muß?
Mit nichten. Die deutſche Armee iſt der ruſſiſchen zum minde-
ſten gewachſen. Das Nämliche gilt von der franzöſiſchen Armee.
Von den Türken pflegte Urquhart, der beſte Kenner der Türken
und Ruſſen, gelegentlich des Krimkriegs zu ſagen: „Man laſſe die
Ruſſen und Türken ihren Streit unter ſich ausfechten: wenn die Diplo-
matie den Türken nicht in die Arme fällt *), werden ſie mit den Ruſſen
fertig.‟ Thatſache iſt, daß die Ruſſen bis jetzt faſt keine militäriſchen,
faſt blos diplomatiſche Erfolge der Türkei gegenüber errungen, und
daß ſie dieſe diplomatiſchen Erfolge weniger der eigenen als der frem-
den Diplomatie zu verdanken haben. Was ferner Oeſterreich betrifft,
ſo hat es genügende Hilfsquellen, um Rußland in einem Vertheidigungs-
krieg ſiegreich die Spitze bieten zu können; und daß England an
Macht Rußland nicht nachſteht, weiß, mit Ausnahme des „Profeſſors‟
Treitſchke, ein jedes Kind.
Gäbe es ein Europa, d. h. hätten die europäiſchen Culturſtaaten
eine gemeinſame Politik, könnte nur einer der großen Culturſtaaten
ſein Votum, ohne Gefahr ſeitens der Nachbarn, nachdrücklich zu
Gunſten des Friedens in die Wagſchale legen und Rußland ein ener-
giſches Halt! zurufen, ſo wären die Kriegswolken längſt zerſtreut —
ja, ſie hätten ſich gar nicht angeſammelt.
Das Halt! iſt nicht zugerufen worden, und es konnte nicht zuge-
rufen werden.
Warum nicht?
Feldmarſchall Moltke triumphirte vor vier Jahren im Reichstag:
„Ohne Erlaubniß des deutſchen Reichs kann kein Kanonenſchuß in Eu-
ropa abgefeuert werden.‟ Dieſe Ueberſetzung einer franzöſiſchen Krat-
phraſe in preußiſches Deutſch hat ſich leider als bloße Kraftphraſe er-
wieſen. Um die Erlaubniß, in Serbien und Montenegro loszuſchlagen,
*) Wie es in dieſem Krieg wieder geſchehen. Note des Verf.
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