Liliencron, Detlev von: Adjutantenritte und andere Gedichte. Leipzig, [1883].Im Ocean, mitten, schläft bis zur Stunde, Ein Ungeheuer, tief auf dem Grunde. Sein Haupt ruht dicht vor Englands Strand, Die Schwanzflosse spielt nah' Brasiliens Sand. Es zieht, sechs Stunden, den Atem nach innen, Und treibt ihn, sechs Stunden, wieder von hinnen. Trutz, blanke Hans. Doch einmal in jedem Jahrhundert entlassen Die Kiemen gewaltige Wassermassen. Dann holt das Untier tief Atem ein, Und peitscht die Welle und schläft wieder ein. Viel tausend Menschen im Nordland ertrinken, Viel reiche Länder und Städte versinken. Trutz, blanke Hans. Rungholt ist reich und wird immer reicher, Kein Korn mehr faßt selbst der größeste Speicher. Wie zur Blütezeit im alten Rom, Staut hier täglich der Menschenstrom. Die Sänften tragen Syrer und Mohren, Mit Goldblech und Flitter in Nasen und Ohren. Trutz, blanke Hans. Zum Feste heut klingen Cymbeln und Zinken, Aus den Fenstern mit Tüchern die Frauen winken Und blättern Blumen in alle die Pracht -- Die Kirchen schloß wer aber über Nacht? Die Rungholter wollen sich selbst regieren, Und keine Zeit mehr mit Gott verlieren. Trutz, blanke Hans. Auf allen Märkten, auf allen Gassen Lärmende Leute, betrunkene Massen. Sie ziehn am Abend hinaus auf den Deich: Wir trotzen dir, blanker Hans, Nordseeteich! Im Ocean, mitten, ſchläft bis zur Stunde, Ein Ungeheuer, tief auf dem Grunde. Sein Haupt ruht dicht vor Englands Strand, Die Schwanzfloſſe ſpielt nah’ Braſiliens Sand. Es zieht, ſechs Stunden, den Atem nach innen, Und treibt ihn, ſechs Stunden, wieder von hinnen. Trutz, blanke Hans. Doch einmal in jedem Jahrhundert entlaſſen Die Kiemen gewaltige Waſſermaſſen. Dann holt das Untier tief Atem ein, Und peitſcht die Welle und ſchläft wieder ein. Viel tauſend Menſchen im Nordland ertrinken, Viel reiche Länder und Städte verſinken. Trutz, blanke Hans. Rungholt iſt reich und wird immer reicher, Kein Korn mehr faßt ſelbſt der größeſte Speicher. Wie zur Blütezeit im alten Rom, Staut hier täglich der Menſchenſtrom. Die Sänften tragen Syrer und Mohren, Mit Goldblech und Flitter in Naſen und Ohren. Trutz, blanke Hans. Zum Feſte heut klingen Cymbeln und Zinken, Aus den Fenſtern mit Tüchern die Frauen winken Und blättern Blumen in alle die Pracht — Die Kirchen ſchloß wer aber über Nacht? Die Rungholter wollen ſich ſelbſt regieren, Und keine Zeit mehr mit Gott verlieren. Trutz, blanke Hans. Auf allen Märkten, auf allen Gaſſen Lärmende Leute, betrunkene Maſſen. Sie ziehn am Abend hinaus auf den Deich: Wir trotzen dir, blanker Hans, Nordſeeteich! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0138" n="130"/> <lg n="3"> <l>Im Ocean, mitten, ſchläft bis zur Stunde,</l><lb/> <l>Ein Ungeheuer, tief auf dem Grunde.</l><lb/> <l>Sein Haupt ruht dicht vor Englands Strand,</l><lb/> <l>Die Schwanzfloſſe ſpielt nah’ Braſiliens Sand.</l><lb/> <l>Es zieht, ſechs Stunden, den Atem nach innen,</l><lb/> <l>Und treibt ihn, ſechs Stunden, wieder von hinnen.</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Trutz, blanke Hans.</hi> </l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Doch einmal in jedem Jahrhundert entlaſſen</l><lb/> <l>Die Kiemen gewaltige Waſſermaſſen.</l><lb/> <l>Dann holt das Untier tief Atem ein,</l><lb/> <l>Und peitſcht die Welle und ſchläft wieder ein.</l><lb/> <l>Viel tauſend Menſchen im Nordland ertrinken,</l><lb/> <l>Viel reiche Länder und Städte verſinken.</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Trutz, blanke Hans.</hi> </l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Rungholt iſt reich und wird immer reicher,</l><lb/> <l>Kein Korn mehr faßt ſelbſt der größeſte Speicher.</l><lb/> <l>Wie zur Blütezeit im alten Rom,</l><lb/> <l>Staut hier täglich der Menſchenſtrom.</l><lb/> <l>Die Sänften tragen Syrer und Mohren,</l><lb/> <l>Mit Goldblech und Flitter in Naſen und Ohren.</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Trutz, blanke Hans.</hi> </l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Zum Feſte heut klingen Cymbeln und Zinken,</l><lb/> <l>Aus den Fenſtern mit Tüchern die Frauen winken</l><lb/> <l>Und blättern Blumen in alle die Pracht —</l><lb/> <l>Die Kirchen ſchloß wer aber über Nacht?</l><lb/> <l>Die Rungholter wollen ſich ſelbſt regieren,</l><lb/> <l>Und keine Zeit mehr mit Gott verlieren.</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Trutz, blanke Hans.</hi> </l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Auf allen Märkten, auf allen Gaſſen</l><lb/> <l>Lärmende Leute, betrunkene Maſſen.</l><lb/> <l>Sie ziehn am Abend hinaus auf den Deich:</l><lb/> <l>Wir trotzen dir, blanker Hans, Nordſeeteich!</l><lb/> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [130/0138]
Im Ocean, mitten, ſchläft bis zur Stunde,
Ein Ungeheuer, tief auf dem Grunde.
Sein Haupt ruht dicht vor Englands Strand,
Die Schwanzfloſſe ſpielt nah’ Braſiliens Sand.
Es zieht, ſechs Stunden, den Atem nach innen,
Und treibt ihn, ſechs Stunden, wieder von hinnen.
Trutz, blanke Hans.
Doch einmal in jedem Jahrhundert entlaſſen
Die Kiemen gewaltige Waſſermaſſen.
Dann holt das Untier tief Atem ein,
Und peitſcht die Welle und ſchläft wieder ein.
Viel tauſend Menſchen im Nordland ertrinken,
Viel reiche Länder und Städte verſinken.
Trutz, blanke Hans.
Rungholt iſt reich und wird immer reicher,
Kein Korn mehr faßt ſelbſt der größeſte Speicher.
Wie zur Blütezeit im alten Rom,
Staut hier täglich der Menſchenſtrom.
Die Sänften tragen Syrer und Mohren,
Mit Goldblech und Flitter in Naſen und Ohren.
Trutz, blanke Hans.
Zum Feſte heut klingen Cymbeln und Zinken,
Aus den Fenſtern mit Tüchern die Frauen winken
Und blättern Blumen in alle die Pracht —
Die Kirchen ſchloß wer aber über Nacht?
Die Rungholter wollen ſich ſelbſt regieren,
Und keine Zeit mehr mit Gott verlieren.
Trutz, blanke Hans.
Auf allen Märkten, auf allen Gaſſen
Lärmende Leute, betrunkene Maſſen.
Sie ziehn am Abend hinaus auf den Deich:
Wir trotzen dir, blanker Hans, Nordſeeteich!
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