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Liliencron, Detlev von: Adjutantenritte und andere Gedichte. Leipzig, [1883].

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bautes Weib und ein herkulischer Neger. Sie waren nackt;
um die Hüften beider waren purpurne Tücher geschlungen.
Wie seltsam das doch war, daß ich an ein Paar Totenköpfe
(Schmetterlinge) denken mußte, die ich in meinen Knaben-
jahren einst an einem Tage gefangen und sie neben einander,
ausgebreitet, gespießt hatte ...

Weiß und Purpur, Schwarz und Purpur. Ich werde
ruhiger und verliere alles Grauen. Die Bauern merken es;
sie wollen zu mir; ich befehle mit der Hand, daß sie oben
bleiben sollen. Jetzt beuge ich mich zu den beiden. Das
Brett, auf das sie geschlagen sind, ähnlich der Thür oder
der Wand einer luxuriös ausgestatteten Kajüte, scheint an
allen Seiten gewaltsam abgebrochen zu sein. Es ist weiß;
und nun seh' ich es genau: es hat vergoldete Leistenum-
fassungen. Es ist entschieden ein Stück der Wanddekoration
aus einer vornehm eingerichteten Kajüte.

Zuerst betrachte ich die Frau. Welch' ein junges Ge-
sichtchen; welch' liebliche Züge; nichts ist verzerrt, wie denn
auch beide Leichen aussehen, als wären sie nur ganz kurze
Zeit im Wasser gewesen. Die Augen stehen bei der jungen
Frau halb offen; ich seh' ein tiefes Blau. Langes rötliches
Haar fließt um ihr Haupt. Aber ... o ... o ... wie
schändlich! diese kleinen schneeigen Hände, an denen die Nägel
lang und abgerundet sind (sie haben die Form einer Hasel-
nuß), diese kleinen lieben Hände sind mit großen, plumpen,
verrosteten Schiffsnägeln durchstoßen. Das Blut hat die See
abgewaschen.

Der Neger, dessen linke Fingerspitzen fast die rechten der
Frau berührten, so nahe lagen sie an einander, hat eine
gebogene Nase wie der schönste Römerjunge. Die Ober-
lippe ist emporgezogen und zeigt das Gebiß eines fletschen-
den Hundes. Auch seine Hände sind mit großen verrosteten
Schiffsnägeln durchbohrt. Seine Gestalt ist riesengroß, eine
Moriturus te salutat Figur, ein Gladiator Neros.


bautes Weib und ein herkuliſcher Neger. Sie waren nackt;
um die Hüften beider waren purpurne Tücher geſchlungen.
Wie ſeltſam das doch war, daß ich an ein Paar Totenköpfe
(Schmetterlinge) denken mußte, die ich in meinen Knaben-
jahren einſt an einem Tage gefangen und ſie neben einander,
ausgebreitet, geſpießt hatte …

Weiß und Purpur, Schwarz und Purpur. Ich werde
ruhiger und verliere alles Grauen. Die Bauern merken es;
ſie wollen zu mir; ich befehle mit der Hand, daß ſie oben
bleiben ſollen. Jetzt beuge ich mich zu den beiden. Das
Brett, auf das ſie geſchlagen ſind, ähnlich der Thür oder
der Wand einer luxuriös ausgeſtatteten Kajüte, ſcheint an
allen Seiten gewaltſam abgebrochen zu ſein. Es iſt weiß;
und nun ſeh’ ich es genau: es hat vergoldete Leiſtenum-
faſſungen. Es iſt entſchieden ein Stück der Wanddekoration
aus einer vornehm eingerichteten Kajüte.

Zuerſt betrachte ich die Frau. Welch’ ein junges Ge-
ſichtchen; welch’ liebliche Züge; nichts iſt verzerrt, wie denn
auch beide Leichen ausſehen, als wären ſie nur ganz kurze
Zeit im Waſſer geweſen. Die Augen ſtehen bei der jungen
Frau halb offen; ich ſeh’ ein tiefes Blau. Langes rötliches
Haar fließt um ihr Haupt. Aber … o … o … wie
ſchändlich! dieſe kleinen ſchneeigen Hände, an denen die Nägel
lang und abgerundet ſind (ſie haben die Form einer Haſel-
nuß), dieſe kleinen lieben Hände ſind mit großen, plumpen,
verroſteten Schiffsnägeln durchſtoßen. Das Blut hat die See
abgewaſchen.

Der Neger, deſſen linke Fingerſpitzen faſt die rechten der
Frau berührten, ſo nahe lagen ſie an einander, hat eine
gebogene Naſe wie der ſchönſte Römerjunge. Die Ober-
lippe iſt emporgezogen und zeigt das Gebiß eines fletſchen-
den Hundes. Auch ſeine Hände ſind mit großen verroſteten
Schiffsnägeln durchbohrt. Seine Geſtalt iſt rieſengroß, eine
Moriturus te ſalutat Figur, ein Gladiator Neros.


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[138/0146] bautes Weib und ein herkuliſcher Neger. Sie waren nackt; um die Hüften beider waren purpurne Tücher geſchlungen. Wie ſeltſam das doch war, daß ich an ein Paar Totenköpfe (Schmetterlinge) denken mußte, die ich in meinen Knaben- jahren einſt an einem Tage gefangen und ſie neben einander, ausgebreitet, geſpießt hatte … Weiß und Purpur, Schwarz und Purpur. Ich werde ruhiger und verliere alles Grauen. Die Bauern merken es; ſie wollen zu mir; ich befehle mit der Hand, daß ſie oben bleiben ſollen. Jetzt beuge ich mich zu den beiden. Das Brett, auf das ſie geſchlagen ſind, ähnlich der Thür oder der Wand einer luxuriös ausgeſtatteten Kajüte, ſcheint an allen Seiten gewaltſam abgebrochen zu ſein. Es iſt weiß; und nun ſeh’ ich es genau: es hat vergoldete Leiſtenum- faſſungen. Es iſt entſchieden ein Stück der Wanddekoration aus einer vornehm eingerichteten Kajüte. Zuerſt betrachte ich die Frau. Welch’ ein junges Ge- ſichtchen; welch’ liebliche Züge; nichts iſt verzerrt, wie denn auch beide Leichen ausſehen, als wären ſie nur ganz kurze Zeit im Waſſer geweſen. Die Augen ſtehen bei der jungen Frau halb offen; ich ſeh’ ein tiefes Blau. Langes rötliches Haar fließt um ihr Haupt. Aber … o … o … wie ſchändlich! dieſe kleinen ſchneeigen Hände, an denen die Nägel lang und abgerundet ſind (ſie haben die Form einer Haſel- nuß), dieſe kleinen lieben Hände ſind mit großen, plumpen, verroſteten Schiffsnägeln durchſtoßen. Das Blut hat die See abgewaſchen. Der Neger, deſſen linke Fingerſpitzen faſt die rechten der Frau berührten, ſo nahe lagen ſie an einander, hat eine gebogene Naſe wie der ſchönſte Römerjunge. Die Ober- lippe iſt emporgezogen und zeigt das Gebiß eines fletſchen- den Hundes. Auch ſeine Hände ſind mit großen verroſteten Schiffsnägeln durchbohrt. Seine Geſtalt iſt rieſengroß, eine Moriturus te ſalutat Figur, ein Gladiator Neros.

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Zitationshilfe: Liliencron, Detlev von: Adjutantenritte und andere Gedichte. Leipzig, [1883], S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liliencron_adjutantenritte_1883/146>, abgerufen am 23.11.2024.