Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Liliencron, Detlev von: Adjutantenritte und andere Gedichte. Leipzig, [1883].

Bild:
<< vorherige Seite

Sie stand nicht weit von uns. Auf vier Meilen im Umkreise
plapperte das Gewehrfeuer; es brodelte täuschend wie die
Blasen in einem riesigen kochenden Kessel.

Ledige Pferde mit schleifenden Zügeln, zuweilen mit den
Sätteln unter dem Bauche, jagten um uns herum. Langsam
trottete ein Maulesel heran und begann, vor dem General
still stehend, auf der Erde nach Gras zu suchen. Auf seinem
Rücken waren zwei Tragstühle befestigt. In jedem von
ihnen saß ein gestorbener Franzose. Festgeschnallt, saßen
sie Rücken an Rücken, doch so, daß die Gesichter (die Köpfe
hingen hintenüber) sich ansahen. Die Oberlippen waren
zurückgezogen. Sie schienen sich anzulachen.

Und regungslos hielt der General.

Da kam vom rechten Flügel her, wohin er sich zur ge-
naueren Berichterstattung begeben hatte, der Chef des Stabes
an. Reiter und Pferd waren von unten bis oben mit
Schmutz bespritzt. Der Oberst mußte in flottester Gangart
geritten sein. Das Pferd dampfte; am Halse, unter den
Deckenrändern, zwischen den Hinterbacken stand weißer Schaum;
Die Flanken flogen; es schien auf der Hinterhand zusammen-
brechen zu wollen.

Wir beobachteten den Oberst gespannt, als er neben dem
General hielt. Es mußte gut stehen, das konnten wir merken.
Während er noch mit dem Oberbefehlshaber sprach, bald
auf der Karte suchend und findend, bald mit dem Finger in
die Schlacht zeigend, sauste vom linken Flügel ein Meldender
heran. Sein Pferd war durchaus fertig. Es konnte nicht
mehr den Hügel hinan und brach am Fuße desselben mit
seinem Reiter zusammen. Beide überkugelten sich. Aber
sofort erhob sich aus dem Knäuel ein junger Jägeroffizier
mit einem hübschen schwarzen Schnurrbärtchen, braunen ge-
wellten Haaren, dunkelbraunen Augen und einem durch den
Purzelbaum eingetriebenen Tschako. Er stürmte bei uns
vorbei, uns lachend zurufend: Es geht gut, es geht gut!
Auf seinem kurzen Wege zum General hatte er ein Paar

Sie ſtand nicht weit von uns. Auf vier Meilen im Umkreiſe
plapperte das Gewehrfeuer; es brodelte täuſchend wie die
Blaſen in einem rieſigen kochenden Keſſel.

Ledige Pferde mit ſchleifenden Zügeln, zuweilen mit den
Sätteln unter dem Bauche, jagten um uns herum. Langſam
trottete ein Mauleſel heran und begann, vor dem General
ſtill ſtehend, auf der Erde nach Gras zu ſuchen. Auf ſeinem
Rücken waren zwei Tragſtühle befeſtigt. In jedem von
ihnen ſaß ein geſtorbener Franzoſe. Feſtgeſchnallt, ſaßen
ſie Rücken an Rücken, doch ſo, daß die Geſichter (die Köpfe
hingen hintenüber) ſich anſahen. Die Oberlippen waren
zurückgezogen. Sie ſchienen ſich anzulachen.

Und regungslos hielt der General.

Da kam vom rechten Flügel her, wohin er ſich zur ge-
naueren Berichterſtattung begeben hatte, der Chef des Stabes
an. Reiter und Pferd waren von unten bis oben mit
Schmutz beſpritzt. Der Oberſt mußte in flotteſter Gangart
geritten ſein. Das Pferd dampfte; am Halſe, unter den
Deckenrändern, zwiſchen den Hinterbacken ſtand weißer Schaum;
Die Flanken flogen; es ſchien auf der Hinterhand zuſammen-
brechen zu wollen.

Wir beobachteten den Oberſt geſpannt, als er neben dem
General hielt. Es mußte gut ſtehen, das konnten wir merken.
Während er noch mit dem Oberbefehlshaber ſprach, bald
auf der Karte ſuchend und findend, bald mit dem Finger in
die Schlacht zeigend, ſauſte vom linken Flügel ein Meldender
heran. Sein Pferd war durchaus fertig. Es konnte nicht
mehr den Hügel hinan und brach am Fuße deſſelben mit
ſeinem Reiter zuſammen. Beide überkugelten ſich. Aber
ſofort erhob ſich aus dem Knäuel ein junger Jägeroffizier
mit einem hübſchen ſchwarzen Schnurrbärtchen, braunen ge-
wellten Haaren, dunkelbraunen Augen und einem durch den
Purzelbaum eingetriebenen Tſchako. Er ſtürmte bei uns
vorbei, uns lachend zurufend: Es geht gut, es geht gut!
Auf ſeinem kurzen Wege zum General hatte er ein Paar

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0161" n="153"/>
Sie &#x017F;tand nicht weit von uns. Auf vier Meilen im Umkrei&#x017F;e<lb/>
plapperte das Gewehrfeuer; es brodelte täu&#x017F;chend wie die<lb/>
Bla&#x017F;en in einem rie&#x017F;igen kochenden Ke&#x017F;&#x017F;el.</p><lb/>
          <p>Ledige Pferde mit &#x017F;chleifenden Zügeln, zuweilen mit den<lb/>
Sätteln unter dem Bauche, jagten um uns herum. Lang&#x017F;am<lb/>
trottete ein Maule&#x017F;el heran und begann, vor dem General<lb/>
&#x017F;till &#x017F;tehend, auf der Erde nach Gras zu &#x017F;uchen. Auf &#x017F;einem<lb/>
Rücken waren zwei Trag&#x017F;tühle befe&#x017F;tigt. In jedem von<lb/>
ihnen &#x017F;aß ein ge&#x017F;torbener Franzo&#x017F;e. Fe&#x017F;tge&#x017F;chnallt, &#x017F;aßen<lb/>
&#x017F;ie Rücken an Rücken, doch &#x017F;o, daß die Ge&#x017F;ichter (die Köpfe<lb/>
hingen hintenüber) &#x017F;ich an&#x017F;ahen. Die Oberlippen waren<lb/>
zurückgezogen. Sie &#x017F;chienen &#x017F;ich anzulachen.</p><lb/>
          <p>Und regungslos hielt der General.</p><lb/>
          <p>Da kam vom rechten Flügel her, wohin er &#x017F;ich zur ge-<lb/>
naueren Berichter&#x017F;tattung begeben hatte, der Chef des Stabes<lb/>
an. Reiter und Pferd waren von unten bis oben mit<lb/>
Schmutz be&#x017F;pritzt. Der Ober&#x017F;t mußte in flotte&#x017F;ter Gangart<lb/>
geritten &#x017F;ein. Das Pferd dampfte; am Hal&#x017F;e, unter den<lb/>
Deckenrändern, zwi&#x017F;chen den Hinterbacken &#x017F;tand weißer Schaum;<lb/>
Die Flanken flogen; es &#x017F;chien auf der Hinterhand zu&#x017F;ammen-<lb/>
brechen zu wollen.</p><lb/>
          <p>Wir beobachteten den Ober&#x017F;t ge&#x017F;pannt, als er neben dem<lb/>
General hielt. Es mußte gut &#x017F;tehen, das konnten wir merken.<lb/>
Während er noch mit dem Oberbefehlshaber &#x017F;prach, bald<lb/>
auf der Karte &#x017F;uchend und findend, bald mit dem Finger in<lb/>
die Schlacht zeigend, &#x017F;au&#x017F;te vom linken Flügel ein Meldender<lb/>
heran. Sein Pferd war durchaus fertig. Es konnte nicht<lb/>
mehr den Hügel hinan und brach am Fuße de&#x017F;&#x017F;elben mit<lb/>
&#x017F;einem Reiter zu&#x017F;ammen. Beide überkugelten &#x017F;ich. Aber<lb/>
&#x017F;ofort erhob &#x017F;ich aus dem Knäuel ein junger Jägeroffizier<lb/>
mit einem hüb&#x017F;chen &#x017F;chwarzen Schnurrbärtchen, braunen ge-<lb/>
wellten Haaren, dunkelbraunen Augen und einem durch den<lb/>
Purzelbaum eingetriebenen T&#x017F;chako. Er &#x017F;türmte bei uns<lb/>
vorbei, uns lachend zurufend: Es geht gut, es geht gut!<lb/>
Auf &#x017F;einem kurzen Wege zum General hatte er ein Paar<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[153/0161] Sie ſtand nicht weit von uns. Auf vier Meilen im Umkreiſe plapperte das Gewehrfeuer; es brodelte täuſchend wie die Blaſen in einem rieſigen kochenden Keſſel. Ledige Pferde mit ſchleifenden Zügeln, zuweilen mit den Sätteln unter dem Bauche, jagten um uns herum. Langſam trottete ein Mauleſel heran und begann, vor dem General ſtill ſtehend, auf der Erde nach Gras zu ſuchen. Auf ſeinem Rücken waren zwei Tragſtühle befeſtigt. In jedem von ihnen ſaß ein geſtorbener Franzoſe. Feſtgeſchnallt, ſaßen ſie Rücken an Rücken, doch ſo, daß die Geſichter (die Köpfe hingen hintenüber) ſich anſahen. Die Oberlippen waren zurückgezogen. Sie ſchienen ſich anzulachen. Und regungslos hielt der General. Da kam vom rechten Flügel her, wohin er ſich zur ge- naueren Berichterſtattung begeben hatte, der Chef des Stabes an. Reiter und Pferd waren von unten bis oben mit Schmutz beſpritzt. Der Oberſt mußte in flotteſter Gangart geritten ſein. Das Pferd dampfte; am Halſe, unter den Deckenrändern, zwiſchen den Hinterbacken ſtand weißer Schaum; Die Flanken flogen; es ſchien auf der Hinterhand zuſammen- brechen zu wollen. Wir beobachteten den Oberſt geſpannt, als er neben dem General hielt. Es mußte gut ſtehen, das konnten wir merken. Während er noch mit dem Oberbefehlshaber ſprach, bald auf der Karte ſuchend und findend, bald mit dem Finger in die Schlacht zeigend, ſauſte vom linken Flügel ein Meldender heran. Sein Pferd war durchaus fertig. Es konnte nicht mehr den Hügel hinan und brach am Fuße deſſelben mit ſeinem Reiter zuſammen. Beide überkugelten ſich. Aber ſofort erhob ſich aus dem Knäuel ein junger Jägeroffizier mit einem hübſchen ſchwarzen Schnurrbärtchen, braunen ge- wellten Haaren, dunkelbraunen Augen und einem durch den Purzelbaum eingetriebenen Tſchako. Er ſtürmte bei uns vorbei, uns lachend zurufend: Es geht gut, es geht gut! Auf ſeinem kurzen Wege zum General hatte er ein Paar

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liliencron_adjutantenritte_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liliencron_adjutantenritte_1883/161
Zitationshilfe: Liliencron, Detlev von: Adjutantenritte und andere Gedichte. Leipzig, [1883], S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liliencron_adjutantenritte_1883/161>, abgerufen am 23.11.2024.