Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lilienthal, Otto: Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst. Ein Beitrag zur Systematik der Flugtechnik. Berlin, 1889.

Bild:
<< vorherige Seite

0,5 qm grossen Fläche den Luftwiderstand L = 1/2. 0,13. 0,5. 100
= 3,25 kg. Wenn nun die Fläche selbst 1,25 kg wiegt, so muss
man dieselbe noch mit 2 kg herunterdrücken, damit sie nicht
vom Winde hochgehoben wird. Man fühlt, wie die Fläche
auf dem Winde schwimmt und braucht nicht einmal Sorge
zu tragen, dass der Wind die Fläche in seiner Richtung mit
sich reisst; denn der Luftwiderstand ist senkrecht nach oben
gerichtet und ein Zurückdrücken der wohlgeformten Fläche
von einer Wölbung gleich 1/12 der Breite findet nicht statt,
was denjenigen, welcher mit solchen Wahrnehmungen noch
nicht vertraut ist, in nicht geringem Grade überraschen muss.
Man sagt sich unwillkürlich, dass diese Flugfläche nur ent-
sprechend grösser zu sein brauchte, um ohne weiteres mit
derselben absegeln zu können, wenn man statt der Fläche
von 0,5 qm etwa eine solche von 20 qm hätte. Freilich wird
man ja auch an die Gleichgewichtsfrage erinnert und gewahrt,
dass doch eine erhebliche Übung noch hinzukommen muss,
um so grosse Flächen im Winde sicher dirigieren zu können.

Wenn dann das Gerüst mit dem beweglichen Versuchs-
hebel Fig. 46 aufgestellt ist, und man befestigt zunächst die
Fläche so, dass ihre Ränder in der Richtung des Hebels liegen,
so dass also bei horizontaler Hebelstellung die Fläche auch
horizontal ausgebreitet ist, so fühlt man schon bei schwachem
Wind, dass die Fläche das Bestreben hat, sich zu heben; denn
durch das Gegengewicht ist ihr eigenes Gewicht abbalanciert.

Lässt man dann die Fläche los, so hebt sich das Hebel-
ende mit der Fläche wesentlich höher, dieselbe Erscheinung
wie im Abschnitt 33 besprochen.

Zu Hause im geschlossenen, windstillen Raum hat man
das Gegengewicht so befestigt, dass die Versuchsfläche gerade
ausbalanciert wird, und der Hebel in jeder Lage im Gleich-
gewicht bleibt, wobei das sogenannte indifferente Gleich-
gewicht herrscht. An eine Täuschung ist hierbei also nicht
zu denken.

Während der nun folgenden Kraftmessungen stellen sich
alle jene grossen Unterschiede ein gegen die beim Experimen-

0,5 qm groſsen Fläche den Luftwiderstand L = ½. 0,13. 0,5. 100
= 3,25 kg. Wenn nun die Fläche selbst 1,25 kg wiegt, so muſs
man dieselbe noch mit 2 kg herunterdrücken, damit sie nicht
vom Winde hochgehoben wird. Man fühlt, wie die Fläche
auf dem Winde schwimmt und braucht nicht einmal Sorge
zu tragen, daſs der Wind die Fläche in seiner Richtung mit
sich reiſst; denn der Luftwiderstand ist senkrecht nach oben
gerichtet und ein Zurückdrücken der wohlgeformten Fläche
von einer Wölbung gleich 1/12 der Breite findet nicht statt,
was denjenigen, welcher mit solchen Wahrnehmungen noch
nicht vertraut ist, in nicht geringem Grade überraschen muſs.
Man sagt sich unwillkürlich, daſs diese Flugfläche nur ent-
sprechend gröſser zu sein brauchte, um ohne weiteres mit
derselben absegeln zu können, wenn man statt der Fläche
von 0,5 qm etwa eine solche von 20 qm hätte. Freilich wird
man ja auch an die Gleichgewichtsfrage erinnert und gewahrt,
daſs doch eine erhebliche Übung noch hinzukommen muſs,
um so groſse Flächen im Winde sicher dirigieren zu können.

Wenn dann das Gerüst mit dem beweglichen Versuchs-
hebel Fig. 46 aufgestellt ist, und man befestigt zunächst die
Fläche so, daſs ihre Ränder in der Richtung des Hebels liegen,
so daſs also bei horizontaler Hebelstellung die Fläche auch
horizontal ausgebreitet ist, so fühlt man schon bei schwachem
Wind, daſs die Fläche das Bestreben hat, sich zu heben; denn
durch das Gegengewicht ist ihr eigenes Gewicht abbalanciert.

Läſst man dann die Fläche los, so hebt sich das Hebel-
ende mit der Fläche wesentlich höher, dieselbe Erscheinung
wie im Abschnitt 33 besprochen.

Zu Hause im geschlossenen, windstillen Raum hat man
das Gegengewicht so befestigt, daſs die Versuchsfläche gerade
ausbalanciert wird, und der Hebel in jeder Lage im Gleich-
gewicht bleibt, wobei das sogenannte indifferente Gleich-
gewicht herrscht. An eine Täuschung ist hierbei also nicht
zu denken.

Während der nun folgenden Kraftmessungen stellen sich
alle jene groſsen Unterschiede ein gegen die beim Experimen-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0139" n="123"/>
0,<hi rendition="#sub">5</hi> qm gro&#x017F;sen Fläche den Luftwiderstand <hi rendition="#i">L</hi> = ½. 0,<hi rendition="#sub">13</hi>. 0,<hi rendition="#sub">5</hi>. 100<lb/>
= 3,<hi rendition="#sub">25</hi> kg. Wenn nun die Fläche selbst 1,<hi rendition="#sub">25</hi> kg wiegt, so mu&#x017F;s<lb/>
man dieselbe noch mit 2 kg herunterdrücken, damit sie nicht<lb/>
vom Winde hochgehoben wird. Man fühlt, wie die Fläche<lb/>
auf dem Winde schwimmt und braucht nicht einmal Sorge<lb/>
zu tragen, da&#x017F;s der Wind die Fläche in seiner Richtung mit<lb/>
sich rei&#x017F;st; denn der Luftwiderstand ist senkrecht nach oben<lb/>
gerichtet und ein Zurückdrücken der wohlgeformten Fläche<lb/>
von einer Wölbung gleich 1/12 der Breite findet nicht statt,<lb/>
was denjenigen, welcher mit solchen Wahrnehmungen noch<lb/>
nicht vertraut ist, in nicht geringem Grade überraschen mu&#x017F;s.<lb/>
Man sagt sich unwillkürlich, da&#x017F;s diese Flugfläche nur ent-<lb/>
sprechend grö&#x017F;ser zu sein brauchte, um ohne weiteres mit<lb/>
derselben absegeln zu können, wenn man statt der Fläche<lb/>
von 0,<hi rendition="#sub">5</hi> qm etwa eine solche von 20 qm hätte. Freilich wird<lb/>
man ja auch an die Gleichgewichtsfrage erinnert und gewahrt,<lb/>
da&#x017F;s doch eine erhebliche Übung noch hinzukommen mu&#x017F;s,<lb/>
um so gro&#x017F;se Flächen im Winde sicher dirigieren zu können.</p><lb/>
        <p>Wenn dann das Gerüst mit dem beweglichen Versuchs-<lb/>
hebel Fig. 46 aufgestellt ist, und man befestigt zunächst die<lb/>
Fläche so, da&#x017F;s ihre Ränder in der Richtung des Hebels liegen,<lb/>
so da&#x017F;s also bei horizontaler Hebelstellung die Fläche auch<lb/>
horizontal ausgebreitet ist, so fühlt man schon bei schwachem<lb/>
Wind, da&#x017F;s die Fläche das Bestreben hat, sich zu heben; denn<lb/>
durch das Gegengewicht ist ihr eigenes Gewicht abbalanciert.</p><lb/>
        <p>&#x017F;st man dann die Fläche los, so hebt sich das Hebel-<lb/>
ende mit der Fläche wesentlich höher, dieselbe Erscheinung<lb/>
wie im Abschnitt 33 besprochen.</p><lb/>
        <p>Zu Hause im geschlossenen, windstillen Raum hat man<lb/>
das Gegengewicht so befestigt, da&#x017F;s die Versuchsfläche gerade<lb/>
ausbalanciert wird, und der Hebel in jeder Lage im Gleich-<lb/>
gewicht bleibt, wobei das sogenannte indifferente Gleich-<lb/>
gewicht herrscht. An eine Täuschung ist hierbei also nicht<lb/>
zu denken.</p><lb/>
        <p>Während der nun folgenden Kraftmessungen stellen sich<lb/>
alle jene gro&#x017F;sen Unterschiede ein gegen die beim Experimen-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[123/0139] 0,5 qm groſsen Fläche den Luftwiderstand L = ½. 0,13. 0,5. 100 = 3,25 kg. Wenn nun die Fläche selbst 1,25 kg wiegt, so muſs man dieselbe noch mit 2 kg herunterdrücken, damit sie nicht vom Winde hochgehoben wird. Man fühlt, wie die Fläche auf dem Winde schwimmt und braucht nicht einmal Sorge zu tragen, daſs der Wind die Fläche in seiner Richtung mit sich reiſst; denn der Luftwiderstand ist senkrecht nach oben gerichtet und ein Zurückdrücken der wohlgeformten Fläche von einer Wölbung gleich 1/12 der Breite findet nicht statt, was denjenigen, welcher mit solchen Wahrnehmungen noch nicht vertraut ist, in nicht geringem Grade überraschen muſs. Man sagt sich unwillkürlich, daſs diese Flugfläche nur ent- sprechend gröſser zu sein brauchte, um ohne weiteres mit derselben absegeln zu können, wenn man statt der Fläche von 0,5 qm etwa eine solche von 20 qm hätte. Freilich wird man ja auch an die Gleichgewichtsfrage erinnert und gewahrt, daſs doch eine erhebliche Übung noch hinzukommen muſs, um so groſse Flächen im Winde sicher dirigieren zu können. Wenn dann das Gerüst mit dem beweglichen Versuchs- hebel Fig. 46 aufgestellt ist, und man befestigt zunächst die Fläche so, daſs ihre Ränder in der Richtung des Hebels liegen, so daſs also bei horizontaler Hebelstellung die Fläche auch horizontal ausgebreitet ist, so fühlt man schon bei schwachem Wind, daſs die Fläche das Bestreben hat, sich zu heben; denn durch das Gegengewicht ist ihr eigenes Gewicht abbalanciert. Läſst man dann die Fläche los, so hebt sich das Hebel- ende mit der Fläche wesentlich höher, dieselbe Erscheinung wie im Abschnitt 33 besprochen. Zu Hause im geschlossenen, windstillen Raum hat man das Gegengewicht so befestigt, daſs die Versuchsfläche gerade ausbalanciert wird, und der Hebel in jeder Lage im Gleich- gewicht bleibt, wobei das sogenannte indifferente Gleich- gewicht herrscht. An eine Täuschung ist hierbei also nicht zu denken. Während der nun folgenden Kraftmessungen stellen sich alle jene groſsen Unterschiede ein gegen die beim Experimen-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lilienthal_vogelflug_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lilienthal_vogelflug_1889/139
Zitationshilfe: Lilienthal, Otto: Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst. Ein Beitrag zur Systematik der Flugtechnik. Berlin, 1889, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lilienthal_vogelflug_1889/139>, abgerufen am 23.11.2024.