Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lilienthal, Otto: Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst. Ein Beitrag zur Systematik der Flugtechnik. Berlin, 1889.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Drachen flog dann ohne zu fallen gegen den Wind, der
etwa 6 m Geschwindigkeit hatte, indem er uns, die wir so
schnell als möglich gegen den Wind liefen, überholte. Nach
Zurücklegung von etwa 50 m verfing sich indessen eine der
nachgeschleiften Schnüre in dem die Ebene bedeckenden Kraut,
so dass die Gleichgewichtslage gestört wurde, und der Flug-
körper herabfiel.

Von diesem Versuche, der im September des Jahres 1874
auf der Ebene zwischen Charlottenburg und Spandau stattfand,
sind wir heimgekehrt mit der Überzeugung, dass der Segel-
flug nicht bloss für die Vögel da ist, sondern dass wenigstens
die Möglichkeit vorhanden ist, dass auch der Mensch auf
künstliche Weise diese Art des Fluges, die nur ein geschicktes
Lenken, aber kein kraftvolles Bewegen der Fittige erfordert,
hervorrufen kann.


38. Der Vogel als Vorbild.

Dass wir uns die Vögel zum Muster nehmen müssen,
wenn wir danach streben, die das Fliegen erleichternden Prin-
zipien zu entdecken, und demzufolge das aktive Fliegen für
den Menschen zu erfinden, dieses geht aus den bisher ange-
führten Versuchsresultaten eigentlich ohne weiteres hervor.

Wir haben gesehen, dass beim wirklichen Vogelfluge so
viele auffallend günstige, mechanische Momente eintreten, dass
man auf die Möglichkeit des freien Fliegens wohl ein für alle-
mal verzichten muss, wenn man diese günstigen Momente nicht
auch benutzen will.

Unter dieser Annahme ist es am Platze, noch einmal
etwas näher auf die besonderen Erscheinungen beim Vogel-
fluge einzugehen.

Selbstverständlich werden wir uns, wenn wir die Vögel
als Vorbild nehmen, nicht nach denjenigen Tieren richten, bei

Der Drachen flog dann ohne zu fallen gegen den Wind, der
etwa 6 m Geschwindigkeit hatte, indem er uns, die wir so
schnell als möglich gegen den Wind liefen, überholte. Nach
Zurücklegung von etwa 50 m verfing sich indessen eine der
nachgeschleiften Schnüre in dem die Ebene bedeckenden Kraut,
so daſs die Gleichgewichtslage gestört wurde, und der Flug-
körper herabfiel.

Von diesem Versuche, der im September des Jahres 1874
auf der Ebene zwischen Charlottenburg und Spandau stattfand,
sind wir heimgekehrt mit der Überzeugung, daſs der Segel-
flug nicht bloſs für die Vögel da ist, sondern daſs wenigstens
die Möglichkeit vorhanden ist, daſs auch der Mensch auf
künstliche Weise diese Art des Fluges, die nur ein geschicktes
Lenken, aber kein kraftvolles Bewegen der Fittige erfordert,
hervorrufen kann.


38. Der Vogel als Vorbild.

Daſs wir uns die Vögel zum Muster nehmen müssen,
wenn wir danach streben, die das Fliegen erleichternden Prin-
zipien zu entdecken, und demzufolge das aktive Fliegen für
den Menschen zu erfinden, dieses geht aus den bisher ange-
führten Versuchsresultaten eigentlich ohne weiteres hervor.

Wir haben gesehen, daſs beim wirklichen Vogelfluge so
viele auffallend günstige, mechanische Momente eintreten, daſs
man auf die Möglichkeit des freien Fliegens wohl ein für alle-
mal verzichten muſs, wenn man diese günstigen Momente nicht
auch benutzen will.

Unter dieser Annahme ist es am Platze, noch einmal
etwas näher auf die besonderen Erscheinungen beim Vogel-
fluge einzugehen.

Selbstverständlich werden wir uns, wenn wir die Vögel
als Vorbild nehmen, nicht nach denjenigen Tieren richten, bei

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0152" n="136"/>
Der Drachen flog dann ohne zu fallen gegen den Wind, der<lb/>
etwa 6 m Geschwindigkeit hatte, indem er uns, die wir so<lb/>
schnell als möglich gegen den Wind liefen, überholte. Nach<lb/>
Zurücklegung von etwa 50 m verfing sich indessen eine der<lb/>
nachgeschleiften Schnüre in dem die Ebene bedeckenden Kraut,<lb/>
so da&#x017F;s die Gleichgewichtslage gestört wurde, und der Flug-<lb/>
körper herabfiel.</p><lb/>
        <p>Von diesem Versuche, der im September des Jahres 1874<lb/>
auf der Ebene zwischen Charlottenburg und Spandau stattfand,<lb/>
sind wir heimgekehrt mit der Überzeugung, da&#x017F;s der Segel-<lb/>
flug nicht blo&#x017F;s für die Vögel da ist, sondern da&#x017F;s wenigstens<lb/>
die Möglichkeit vorhanden ist, da&#x017F;s auch der Mensch auf<lb/>
künstliche Weise diese Art des Fluges, die nur ein geschicktes<lb/>
Lenken, aber kein kraftvolles Bewegen der Fittige erfordert,<lb/>
hervorrufen kann.</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">38. Der Vogel als Vorbild.</hi> </head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Da&#x017F;s wir uns die Vögel zum Muster nehmen müssen,<lb/>
wenn wir danach streben, die das Fliegen erleichternden Prin-<lb/>
zipien zu entdecken, und demzufolge das aktive Fliegen für<lb/>
den Menschen zu erfinden, dieses geht aus den bisher ange-<lb/>
führten Versuchsresultaten eigentlich ohne weiteres hervor.</p><lb/>
        <p>Wir haben gesehen, da&#x017F;s beim wirklichen Vogelfluge so<lb/>
viele auffallend günstige, mechanische Momente eintreten, da&#x017F;s<lb/>
man auf die Möglichkeit des freien Fliegens wohl ein für alle-<lb/>
mal verzichten mu&#x017F;s, wenn man diese günstigen Momente nicht<lb/>
auch benutzen will.</p><lb/>
        <p>Unter dieser Annahme ist es am Platze, noch einmal<lb/>
etwas näher auf die besonderen Erscheinungen beim Vogel-<lb/>
fluge einzugehen.</p><lb/>
        <p>Selbstverständlich werden wir uns, wenn wir die Vögel<lb/>
als Vorbild nehmen, nicht nach denjenigen Tieren richten, bei<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[136/0152] Der Drachen flog dann ohne zu fallen gegen den Wind, der etwa 6 m Geschwindigkeit hatte, indem er uns, die wir so schnell als möglich gegen den Wind liefen, überholte. Nach Zurücklegung von etwa 50 m verfing sich indessen eine der nachgeschleiften Schnüre in dem die Ebene bedeckenden Kraut, so daſs die Gleichgewichtslage gestört wurde, und der Flug- körper herabfiel. Von diesem Versuche, der im September des Jahres 1874 auf der Ebene zwischen Charlottenburg und Spandau stattfand, sind wir heimgekehrt mit der Überzeugung, daſs der Segel- flug nicht bloſs für die Vögel da ist, sondern daſs wenigstens die Möglichkeit vorhanden ist, daſs auch der Mensch auf künstliche Weise diese Art des Fluges, die nur ein geschicktes Lenken, aber kein kraftvolles Bewegen der Fittige erfordert, hervorrufen kann. 38. Der Vogel als Vorbild. Daſs wir uns die Vögel zum Muster nehmen müssen, wenn wir danach streben, die das Fliegen erleichternden Prin- zipien zu entdecken, und demzufolge das aktive Fliegen für den Menschen zu erfinden, dieses geht aus den bisher ange- führten Versuchsresultaten eigentlich ohne weiteres hervor. Wir haben gesehen, daſs beim wirklichen Vogelfluge so viele auffallend günstige, mechanische Momente eintreten, daſs man auf die Möglichkeit des freien Fliegens wohl ein für alle- mal verzichten muſs, wenn man diese günstigen Momente nicht auch benutzen will. Unter dieser Annahme ist es am Platze, noch einmal etwas näher auf die besonderen Erscheinungen beim Vogel- fluge einzugehen. Selbstverständlich werden wir uns, wenn wir die Vögel als Vorbild nehmen, nicht nach denjenigen Tieren richten, bei

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lilienthal_vogelflug_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lilienthal_vogelflug_1889/152
Zitationshilfe: Lilienthal, Otto: Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst. Ein Beitrag zur Systematik der Flugtechnik. Berlin, 1889, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lilienthal_vogelflug_1889/152>, abgerufen am 24.11.2024.