Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lilienthal, Otto: Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst. Ein Beitrag zur Systematik der Flugtechnik. Berlin, 1889.

Bild:
<< vorherige Seite

gewicht und Parallelogramm der Kräfte zur Anwendung
kommt. Trotzdem liefert die flugtechnische Litteratur den
Beweis, wie ausserordentlich leicht Irrtümer und Trugschlüsse
in der mechanischen Behandlung des Flugproblems sich ein-
schleichen, und dies gab die Veranlassung, hier so elementar
wie nur irgend möglich die mechanischen Vorgänge des Fluges
zu zerlegen.

Wenn auf der einen Seite hierdurch die Diskussion über
dieses immer noch etwas heikle Thema wesentlich erleichtert
wird, so hegt der Verfasser andererseits auch noch die Hoff-
nung, dass dadurch nicht bloss der Fliegeidee, sondern auch
der Mechanik als der unumgänglichen Hülfswissenschaft neue
Freunde geworben werden, indem der eine oder der andere
Leser die Anregung erhält, sich mit dem notwendigsten Hand-
werkszeug des theoretischen Mechanikers vertraut zu machen,
oder die Erinnerung an alte Bekannte aus der Studienzeit
wieder aufzufrischen.

Die Flugfrage muss doch nun einmal anders behandelt
werden als andere technische Themata. Sie nimmt eben, wie
schon angedeutet, durch ihren eigenartigen Interessentenkreis
eine gesonderte Stellung ein. Dem Geistlichen, dem Offizier,
dem Arzt und Philologen, dem Landwirt wie dem Kaufmann
kommt es schwer in den Sinn, sich dem speziellen Studium
etwa der Dampfmaschinen, des Hüttenwesens oder der Spinnerei-
technik zu widmen; alle wissen, dass diese Fächer in guten
Händen sind und überlassen diese Sorgen vertrauensvoll den
Fachleuten, aber in der Flugtechnik finden wir sie alle wieder
vertreten, darin möchte jeder sich nützlich bethätigen und
durch einen glücklichen Gedanken den Zeitpunkt näher rücken,
wo der Mensch zum freien Fluge befähigt wird.

Die Flugtechnik kann eben auch noch nicht als ein eigent-
liches Fach angesehen werden, auch weist sie noch nicht jene
Reihe von Vertretern auf, der man mit einem gewissen Ver-
trauen entgegenkommen könnte. Es liegt dies an der noch
herrschenden Unsicherheit und in dem Mangel jedweder Syste-
matik; es fehlt der Flugtechnik die feste Grundlage, auf

gewicht und Parallelogramm der Kräfte zur Anwendung
kommt. Trotzdem liefert die flugtechnische Litteratur den
Beweis, wie auſserordentlich leicht Irrtümer und Trugschlüsse
in der mechanischen Behandlung des Flugproblems sich ein-
schleichen, und dies gab die Veranlassung, hier so elementar
wie nur irgend möglich die mechanischen Vorgänge des Fluges
zu zerlegen.

Wenn auf der einen Seite hierdurch die Diskussion über
dieses immer noch etwas heikle Thema wesentlich erleichtert
wird, so hegt der Verfasser andererseits auch noch die Hoff-
nung, daſs dadurch nicht bloſs der Fliegeidee, sondern auch
der Mechanik als der unumgänglichen Hülfswissenschaft neue
Freunde geworben werden, indem der eine oder der andere
Leser die Anregung erhält, sich mit dem notwendigsten Hand-
werkszeug des theoretischen Mechanikers vertraut zu machen,
oder die Erinnerung an alte Bekannte aus der Studienzeit
wieder aufzufrischen.

Die Flugfrage muſs doch nun einmal anders behandelt
werden als andere technische Themata. Sie nimmt eben, wie
schon angedeutet, durch ihren eigenartigen Interessentenkreis
eine gesonderte Stellung ein. Dem Geistlichen, dem Offizier,
dem Arzt und Philologen, dem Landwirt wie dem Kaufmann
kommt es schwer in den Sinn, sich dem speziellen Studium
etwa der Dampfmaschinen, des Hüttenwesens oder der Spinnerei-
technik zu widmen; alle wissen, daſs diese Fächer in guten
Händen sind und überlassen diese Sorgen vertrauensvoll den
Fachleuten, aber in der Flugtechnik finden wir sie alle wieder
vertreten, darin möchte jeder sich nützlich bethätigen und
durch einen glücklichen Gedanken den Zeitpunkt näher rücken,
wo der Mensch zum freien Fluge befähigt wird.

Die Flugtechnik kann eben auch noch nicht als ein eigent-
liches Fach angesehen werden, auch weist sie noch nicht jene
Reihe von Vertretern auf, der man mit einem gewissen Ver-
trauen entgegenkommen könnte. Es liegt dies an der noch
herrschenden Unsicherheit und in dem Mangel jedweder Syste-
matik; es fehlt der Flugtechnik die feste Grundlage, auf

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0199" n="183"/>
gewicht und Parallelogramm der Kräfte zur Anwendung<lb/>
kommt. Trotzdem liefert die flugtechnische Litteratur den<lb/>
Beweis, wie au&#x017F;serordentlich leicht Irrtümer und Trugschlüsse<lb/>
in der mechanischen Behandlung des Flugproblems sich ein-<lb/>
schleichen, und dies gab die Veranlassung, hier so elementar<lb/>
wie nur irgend möglich die mechanischen Vorgänge des Fluges<lb/>
zu zerlegen.</p><lb/>
        <p>Wenn auf der einen Seite hierdurch die Diskussion über<lb/>
dieses immer noch etwas heikle Thema wesentlich erleichtert<lb/>
wird, so hegt der Verfasser andererseits auch noch die Hoff-<lb/>
nung, da&#x017F;s dadurch nicht blo&#x017F;s der Fliegeidee, sondern auch<lb/>
der Mechanik als der unumgänglichen Hülfswissenschaft neue<lb/>
Freunde geworben werden, indem der eine oder der andere<lb/>
Leser die Anregung erhält, sich mit dem notwendigsten Hand-<lb/>
werkszeug des theoretischen Mechanikers vertraut zu machen,<lb/>
oder die Erinnerung an alte Bekannte aus der Studienzeit<lb/>
wieder aufzufrischen.</p><lb/>
        <p>Die Flugfrage mu&#x017F;s doch nun einmal anders behandelt<lb/>
werden als andere technische Themata. Sie nimmt eben, wie<lb/>
schon angedeutet, durch ihren eigenartigen Interessentenkreis<lb/>
eine gesonderte Stellung ein. Dem Geistlichen, dem Offizier,<lb/>
dem Arzt und Philologen, dem Landwirt wie dem Kaufmann<lb/>
kommt es schwer in den Sinn, sich dem speziellen Studium<lb/>
etwa der Dampfmaschinen, des Hüttenwesens oder der Spinnerei-<lb/>
technik zu widmen; alle wissen, da&#x017F;s diese Fächer in guten<lb/>
Händen sind und überlassen diese Sorgen vertrauensvoll den<lb/>
Fachleuten, aber in der Flugtechnik finden wir sie alle wieder<lb/>
vertreten, darin möchte jeder sich nützlich bethätigen und<lb/>
durch einen glücklichen Gedanken den Zeitpunkt näher rücken,<lb/>
wo der Mensch zum freien Fluge befähigt wird.</p><lb/>
        <p>Die Flugtechnik kann eben auch noch nicht als ein eigent-<lb/>
liches Fach angesehen werden, auch weist sie noch nicht jene<lb/>
Reihe von Vertretern auf, der man mit einem gewissen Ver-<lb/>
trauen entgegenkommen könnte. Es liegt dies an der noch<lb/>
herrschenden Unsicherheit und in dem Mangel jedweder Syste-<lb/>
matik; es fehlt der Flugtechnik die feste Grundlage, auf<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[183/0199] gewicht und Parallelogramm der Kräfte zur Anwendung kommt. Trotzdem liefert die flugtechnische Litteratur den Beweis, wie auſserordentlich leicht Irrtümer und Trugschlüsse in der mechanischen Behandlung des Flugproblems sich ein- schleichen, und dies gab die Veranlassung, hier so elementar wie nur irgend möglich die mechanischen Vorgänge des Fluges zu zerlegen. Wenn auf der einen Seite hierdurch die Diskussion über dieses immer noch etwas heikle Thema wesentlich erleichtert wird, so hegt der Verfasser andererseits auch noch die Hoff- nung, daſs dadurch nicht bloſs der Fliegeidee, sondern auch der Mechanik als der unumgänglichen Hülfswissenschaft neue Freunde geworben werden, indem der eine oder der andere Leser die Anregung erhält, sich mit dem notwendigsten Hand- werkszeug des theoretischen Mechanikers vertraut zu machen, oder die Erinnerung an alte Bekannte aus der Studienzeit wieder aufzufrischen. Die Flugfrage muſs doch nun einmal anders behandelt werden als andere technische Themata. Sie nimmt eben, wie schon angedeutet, durch ihren eigenartigen Interessentenkreis eine gesonderte Stellung ein. Dem Geistlichen, dem Offizier, dem Arzt und Philologen, dem Landwirt wie dem Kaufmann kommt es schwer in den Sinn, sich dem speziellen Studium etwa der Dampfmaschinen, des Hüttenwesens oder der Spinnerei- technik zu widmen; alle wissen, daſs diese Fächer in guten Händen sind und überlassen diese Sorgen vertrauensvoll den Fachleuten, aber in der Flugtechnik finden wir sie alle wieder vertreten, darin möchte jeder sich nützlich bethätigen und durch einen glücklichen Gedanken den Zeitpunkt näher rücken, wo der Mensch zum freien Fluge befähigt wird. Die Flugtechnik kann eben auch noch nicht als ein eigent- liches Fach angesehen werden, auch weist sie noch nicht jene Reihe von Vertretern auf, der man mit einem gewissen Ver- trauen entgegenkommen könnte. Es liegt dies an der noch herrschenden Unsicherheit und in dem Mangel jedweder Syste- matik; es fehlt der Flugtechnik die feste Grundlage, auf

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lilienthal_vogelflug_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lilienthal_vogelflug_1889/199
Zitationshilfe: Lilienthal, Otto: Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst. Ein Beitrag zur Systematik der Flugtechnik. Berlin, 1889, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lilienthal_vogelflug_1889/199>, abgerufen am 22.11.2024.