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Lindemann, Anna: Die Frauenstimmrechtsbewegung in Deutschland. Leipzig und Berlin, 1913.

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Arbeitsgebiete des Deutschen Verbandes
legte die Entwickelung der Bewegung in anderen Ländern dar, behan-
delte die Stellung der Frauen zu den Gesetzentwürfen betr. Kaufmanns-
gerichte und Krankenkassen, sowie zu den Reichstagswahlen. Bald nach
seiner Gründung, im März 1902, legte er in einer Audienz dem Reichs-
kanzler v. Bülow die nächstliegenden Wünsche der Frauen vor. Jn zahl-
reichen Eingaben an den Reichstag, den Bundesrat, den Hamburger
Senat, die Kirchenbehörden usw. vertrat er die Jnteressen der Frauen,
durch Anschreiben an die politischen Parteien forderte er diese zur Auf-
nahme von Frauen als ordentliche Parteimitglieder in den Bundes-
staaten auf, in denen die Gesetze dies gestatteten usw. Auch zur Beteili-
gung an den bevorstehenden Reichstagswahlen wurden die Frauen an-
geregt.

Am 1. Oktober 1904 erfolgte auf einer außerordentlichen General-
versammlung in Hamburg die Umwandlung des Vereins in den Deut-
schen Verband für Frauenstimmrecht, die durch die Satzung des am
4. Juni 1904 in Berlin gegründeten Weltbundes für Frauenstimmrecht
notwendig geworden war. Zweigvereine konnten fürs erste nur in Ham-
burg und Bremen gegründet werden, größere Gruppen von Mitgliedern
bestanden in Berlin, Frankfurt a. M., München, kleinere in Danzig, Han-
nover, Königsberg und Leipzig. Wegen der gesetzlichen Hindernisse
mußte sich die Arbeit dieser Gruppen beschränken auf die Einrichtung
von Diskussionsabenden, Veranstaltung von öffentlichen Versamm-
lungen, Propaganda für aktuelle Wahlen. So wurde z. B. von Anfang
an von verschiedenen Gruppen eine rege Tätigkeit entfaltet, um die
Frauen zur Ausübung ihres Wahlrechtes zu den Krankenkassen zu ver-
anlassen und ihnen eine Vertretung in den Vorständen der Kassen zu
sichern. Auch die anderen Bundesvereine wurden durch Anschreiben,
unter Beifügung eines Arbeitsplanes und eines Entwurfes zu einem
Aufruf aufgefordert sich an dieser Arbeit zu beteiligen. Durch das Vor-
standsmitglied Martha Zietz wurde besonders die Frage des kirchlichen
Wahlrechtes eifrig gefördert. Durch Umfragen bei hervorragenden Ver-
tretern der theologischen Fakultäten beider Konfessionen und bei im
praktischen Leben stehenden Geistlichen wurde deren Stellung zu der
Gleichberechtigung der Frauen auf kirchlichem Gebiet festgestellt und das
Resultat in einer Broschüre "Wie urteilen Theologen über das kirchliche
Stimmrecht der Frauen?" zusammengestellt.

Jm Juni 1906 forderte der Vorstand in den alten preußischen Pro-
vinzen die Mitglieder auf, bei den Gemeindewahlen ihre Eintragung
in die Wählerlisten auf Grund der Städteordnung zu verlangen.
An verschiedenen Orten folgten Mitglieder dieser Aufforderung und

Jahrbuch der Frauenbewegung II
11

Arbeitsgebiete des Deutschen Verbandes
legte die Entwickelung der Bewegung in anderen Ländern dar, behan-
delte die Stellung der Frauen zu den Gesetzentwürfen betr. Kaufmanns-
gerichte und Krankenkassen, sowie zu den Reichstagswahlen. Bald nach
seiner Gründung, im März 1902, legte er in einer Audienz dem Reichs-
kanzler v. Bülow die nächstliegenden Wünsche der Frauen vor. Jn zahl-
reichen Eingaben an den Reichstag, den Bundesrat, den Hamburger
Senat, die Kirchenbehörden usw. vertrat er die Jnteressen der Frauen,
durch Anschreiben an die politischen Parteien forderte er diese zur Auf-
nahme von Frauen als ordentliche Parteimitglieder in den Bundes-
staaten auf, in denen die Gesetze dies gestatteten usw. Auch zur Beteili-
gung an den bevorstehenden Reichstagswahlen wurden die Frauen an-
geregt.

Am 1. Oktober 1904 erfolgte auf einer außerordentlichen General-
versammlung in Hamburg die Umwandlung des Vereins in den Deut-
schen Verband für Frauenstimmrecht, die durch die Satzung des am
4. Juni 1904 in Berlin gegründeten Weltbundes für Frauenstimmrecht
notwendig geworden war. Zweigvereine konnten fürs erste nur in Ham-
burg und Bremen gegründet werden, größere Gruppen von Mitgliedern
bestanden in Berlin, Frankfurt a. M., München, kleinere in Danzig, Han-
nover, Königsberg und Leipzig. Wegen der gesetzlichen Hindernisse
mußte sich die Arbeit dieser Gruppen beschränken auf die Einrichtung
von Diskussionsabenden, Veranstaltung von öffentlichen Versamm-
lungen, Propaganda für aktuelle Wahlen. So wurde z. B. von Anfang
an von verschiedenen Gruppen eine rege Tätigkeit entfaltet, um die
Frauen zur Ausübung ihres Wahlrechtes zu den Krankenkassen zu ver-
anlassen und ihnen eine Vertretung in den Vorständen der Kassen zu
sichern. Auch die anderen Bundesvereine wurden durch Anschreiben,
unter Beifügung eines Arbeitsplanes und eines Entwurfes zu einem
Aufruf aufgefordert sich an dieser Arbeit zu beteiligen. Durch das Vor-
standsmitglied Martha Zietz wurde besonders die Frage des kirchlichen
Wahlrechtes eifrig gefördert. Durch Umfragen bei hervorragenden Ver-
tretern der theologischen Fakultäten beider Konfessionen und bei im
praktischen Leben stehenden Geistlichen wurde deren Stellung zu der
Gleichberechtigung der Frauen auf kirchlichem Gebiet festgestellt und das
Resultat in einer Broschüre „Wie urteilen Theologen über das kirchliche
Stimmrecht der Frauen?“ zusammengestellt.

Jm Juni 1906 forderte der Vorstand in den alten preußischen Pro-
vinzen die Mitglieder auf, bei den Gemeindewahlen ihre Eintragung
in die Wählerlisten auf Grund der Städteordnung zu verlangen.
An verschiedenen Orten folgten Mitglieder dieser Aufforderung und

Jahrbuch der Frauenbewegung II
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[161/0004] Arbeitsgebiete des Deutschen Verbandes legte die Entwickelung der Bewegung in anderen Ländern dar, behan- delte die Stellung der Frauen zu den Gesetzentwürfen betr. Kaufmanns- gerichte und Krankenkassen, sowie zu den Reichstagswahlen. Bald nach seiner Gründung, im März 1902, legte er in einer Audienz dem Reichs- kanzler v. Bülow die nächstliegenden Wünsche der Frauen vor. Jn zahl- reichen Eingaben an den Reichstag, den Bundesrat, den Hamburger Senat, die Kirchenbehörden usw. vertrat er die Jnteressen der Frauen, durch Anschreiben an die politischen Parteien forderte er diese zur Auf- nahme von Frauen als ordentliche Parteimitglieder in den Bundes- staaten auf, in denen die Gesetze dies gestatteten usw. Auch zur Beteili- gung an den bevorstehenden Reichstagswahlen wurden die Frauen an- geregt. Am 1. Oktober 1904 erfolgte auf einer außerordentlichen General- versammlung in Hamburg die Umwandlung des Vereins in den Deut- schen Verband für Frauenstimmrecht, die durch die Satzung des am 4. Juni 1904 in Berlin gegründeten Weltbundes für Frauenstimmrecht notwendig geworden war. Zweigvereine konnten fürs erste nur in Ham- burg und Bremen gegründet werden, größere Gruppen von Mitgliedern bestanden in Berlin, Frankfurt a. M., München, kleinere in Danzig, Han- nover, Königsberg und Leipzig. Wegen der gesetzlichen Hindernisse mußte sich die Arbeit dieser Gruppen beschränken auf die Einrichtung von Diskussionsabenden, Veranstaltung von öffentlichen Versamm- lungen, Propaganda für aktuelle Wahlen. So wurde z. B. von Anfang an von verschiedenen Gruppen eine rege Tätigkeit entfaltet, um die Frauen zur Ausübung ihres Wahlrechtes zu den Krankenkassen zu ver- anlassen und ihnen eine Vertretung in den Vorständen der Kassen zu sichern. Auch die anderen Bundesvereine wurden durch Anschreiben, unter Beifügung eines Arbeitsplanes und eines Entwurfes zu einem Aufruf aufgefordert sich an dieser Arbeit zu beteiligen. Durch das Vor- standsmitglied Martha Zietz wurde besonders die Frage des kirchlichen Wahlrechtes eifrig gefördert. Durch Umfragen bei hervorragenden Ver- tretern der theologischen Fakultäten beider Konfessionen und bei im praktischen Leben stehenden Geistlichen wurde deren Stellung zu der Gleichberechtigung der Frauen auf kirchlichem Gebiet festgestellt und das Resultat in einer Broschüre „Wie urteilen Theologen über das kirchliche Stimmrecht der Frauen?“ zusammengestellt. Jm Juni 1906 forderte der Vorstand in den alten preußischen Pro- vinzen die Mitglieder auf, bei den Gemeindewahlen ihre Eintragung in die Wählerlisten auf Grund der Städteordnung zu verlangen. An verschiedenen Orten folgten Mitglieder dieser Aufforderung und Jahrbuch der Frauenbewegung II 11

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-01-26T16:17:50Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-01-26T16:17:50Z)

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Zitationshilfe: Lindemann, Anna: Die Frauenstimmrechtsbewegung in Deutschland. Leipzig und Berlin, 1913, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lindemann_frauenstimmrechtsbewegung_1913/4>, abgerufen am 23.11.2024.