Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915.Vereins- und Versammlungsrechte. Von dieser Mehrzahl spricht man heute nicht mehr, da wir Und doch muß man, heute zurückblickend, sagen, daß all diese Vereins- und Versammlungsrechte. Von dieser Mehrzahl spricht man heute nicht mehr, da wir Und doch muß man, heute zurückblickend, sagen, daß all diese <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0010" n="10"/> <div n="1"> <head>Vereins- und Versammlungsrechte.</head><lb/> <p>Von dieser Mehrzahl spricht man heute nicht mehr, da wir<lb/> endlich zu einem <hi rendition="#g">einheitlichen</hi> Reichsvereinsgesetz gekommen<lb/> sind. Jn der Zeit aber, da die Stimmrechtsbewegung sich durch-<lb/> rang, gab es 26 solcher Gesetze, also für jeden Bundesstaat ein be-<lb/> sonderes; so recht ein treues Spiegelbild der alten Bundesherrlich-<lb/> keit. Jn der Angst vor dem Staatsbürger und seinen Kollektiv-<lb/> äußerungen waren sie sich alle gleich, und nur die polizeiliche Hand-<lb/> habung förderte einige Unterschiede zutage. Der <hi rendition="#g">Frau</hi> gegenüber<lb/> waren sie konsequent, sowie das <hi rendition="#g">politische</hi> Gebiet in Frage kam.<lb/> Die Frau hatte mit der Klinke der Gesetzgebung nichts zu tun, somit<lb/> war ein politisches Vereins- und Versammlungsrecht für sie gänzlich<lb/> überflüssig, ja sogar vom Uebel. Einen Tiefpunkt erreichte das<lb/> Braunschweiger Gesetz: „§ 14. Frauenspersonen, Schüler, Lehr-<lb/> linge sind in öffentlichen Versammlungen, in welchen öffentliche An-<lb/> gelegenheiten verhandelt werden sollen, wenn sie in geschlossenen<lb/> Räumen abgehalten werden, <hi rendition="#g">nicht zuzulassen</hi>.‟ An vielen<lb/> Orten wieder verbot die Polizei kurzerhand Themen, die ihr nicht<lb/> paßten. So mußten wir noch 1903 mit einer bedeutungsvollen<lb/> Tagung zur Sittlichkeitsfrage aus Hamburg „ins freie Preußen‟<lb/> auswandern, d. h. nach Altona gehen. Es gehörte für eine politische<lb/> Bewegung ein Studium der Schwierigkeiten dazu, um all den be-<lb/> sonderen Fallen und Fußangeln zu entgehen.</p><lb/> <p>Und doch muß man, heute zurückblickend, sagen, daß all diese<lb/> gesetzlichen und polizeilichen Schikanen die Stimmrechtsbewegung<lb/> eher beflügelt als belastet haben, denn erstens war diese gesetzliche<lb/> Einschränkung der Frau ein ausgezeichnetes Agitationsmittel, ein<lb/> schlagender Beweis dafür, daß sie als völlig minderwertig von<lb/> Staates wegen mit „Schülern, Lehrlingen und Jdioten‟ auf eine<lb/> Stufe gestellt wurde. Dann aber hatte der Stacheldraht in<lb/> Preußen, in dem größten, führenden Staate, dem Staate, der die<lb/> kraftvollste Entwicklung der Stimmrechtsbewegung sah – eine große,<lb/> klaffende <hi rendition="#g">Lücke</hi>, durch die wir ganz frisch und munter durch-<lb/> marschierten. Die Frauen waren auch hier von jeder politischen<lb/> Organisation ausgeschlossen, der Eintritt einer Frau in die poli-<lb/> tischen Männervereine hätte diese sofort zur Auflösung geführt,<lb/> aber – die preußischen Frauen durften jederzeit <hi rendition="#g">öffentliche,<lb/> politische</hi> Versammlungen <hi rendition="#g">berufen</hi>. Diese grobe Jn-<lb/> konsequenz war unser Glück, und sie ist weidlich ausgenutzt worden.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [10/0010]
Vereins- und Versammlungsrechte.
Von dieser Mehrzahl spricht man heute nicht mehr, da wir
endlich zu einem einheitlichen Reichsvereinsgesetz gekommen
sind. Jn der Zeit aber, da die Stimmrechtsbewegung sich durch-
rang, gab es 26 solcher Gesetze, also für jeden Bundesstaat ein be-
sonderes; so recht ein treues Spiegelbild der alten Bundesherrlich-
keit. Jn der Angst vor dem Staatsbürger und seinen Kollektiv-
äußerungen waren sie sich alle gleich, und nur die polizeiliche Hand-
habung förderte einige Unterschiede zutage. Der Frau gegenüber
waren sie konsequent, sowie das politische Gebiet in Frage kam.
Die Frau hatte mit der Klinke der Gesetzgebung nichts zu tun, somit
war ein politisches Vereins- und Versammlungsrecht für sie gänzlich
überflüssig, ja sogar vom Uebel. Einen Tiefpunkt erreichte das
Braunschweiger Gesetz: „§ 14. Frauenspersonen, Schüler, Lehr-
linge sind in öffentlichen Versammlungen, in welchen öffentliche An-
gelegenheiten verhandelt werden sollen, wenn sie in geschlossenen
Räumen abgehalten werden, nicht zuzulassen.‟ An vielen
Orten wieder verbot die Polizei kurzerhand Themen, die ihr nicht
paßten. So mußten wir noch 1903 mit einer bedeutungsvollen
Tagung zur Sittlichkeitsfrage aus Hamburg „ins freie Preußen‟
auswandern, d. h. nach Altona gehen. Es gehörte für eine politische
Bewegung ein Studium der Schwierigkeiten dazu, um all den be-
sonderen Fallen und Fußangeln zu entgehen.
Und doch muß man, heute zurückblickend, sagen, daß all diese
gesetzlichen und polizeilichen Schikanen die Stimmrechtsbewegung
eher beflügelt als belastet haben, denn erstens war diese gesetzliche
Einschränkung der Frau ein ausgezeichnetes Agitationsmittel, ein
schlagender Beweis dafür, daß sie als völlig minderwertig von
Staates wegen mit „Schülern, Lehrlingen und Jdioten‟ auf eine
Stufe gestellt wurde. Dann aber hatte der Stacheldraht in
Preußen, in dem größten, führenden Staate, dem Staate, der die
kraftvollste Entwicklung der Stimmrechtsbewegung sah – eine große,
klaffende Lücke, durch die wir ganz frisch und munter durch-
marschierten. Die Frauen waren auch hier von jeder politischen
Organisation ausgeschlossen, der Eintritt einer Frau in die poli-
tischen Männervereine hätte diese sofort zur Auflösung geführt,
aber – die preußischen Frauen durften jederzeit öffentliche,
politische Versammlungen berufen. Diese grobe Jn-
konsequenz war unser Glück, und sie ist weidlich ausgenutzt worden.
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(2015-05-11T12:53:44Z)
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