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Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915.

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kontrollieren könnte, liegen nicht vor. Aus dem Auslande, das
seine Frauen zu Staatsbürgern machte, wird berichtet, daß die
Frauen für sozialpolitische Fortschritte, namentlich in
bezug auf Frauen und Kinder, Namhaftes gewirkt haben. Das
war selbstverständlich nach endlich errungenem Siege. Erst größere
Zeiträume würden ein abschließendes Urteil gestatten. Jn Deutsch-
land kämen für eine Betrachtung dieser Art nur die sozialdemo-
kratischen Frauen in Betracht. Und da muß man sagen: Wo
blieben unter den Revisionisten, die aus der deutschen Sektion der
alten revolutionären Jnternationale eine deutsche Arbeiterpartei
machen wollten, die führenden Frauen? Frau Zetkin ver-
hielt sich streng konservativ.

Jch kann also nicht glauben, daß der leitende Grundsatz der
konservativen Partei: Erhaltung des Bestehenden, durch
Frauen-Wähler und Frauen-Abgeordnete irgendwie in Gefahr
käme. Jm Gegenteil, er würde in ihnen die durch die Natur prä-
destinierten Stützen finden. Daher kann man sehr wohl sagen:
Auch die konservative Partei kann die Frau befreien. Heute hören
das die Herren von der Rechten mit ungläubigem Kopfschütteln und
souveränem Lächeln. Sie sind aber im psychologischen Studium
der Frau genau solche tastenden Neulinge als alle anderen Parteien.

Was ergibt sich nun aus der vorstehenden Untersuchung
realer Tatsachen: doch nur das eine: Die Verwirklichung der Forde-
rung der Stimmrechtsbewegung ist nicht an eine bestimmte Partei
geknüpft. Sie kann, je nach der politisch-parlamen-
tarischen Situation
, durch jede Partei, und zwar mit
Erfolg für sie selbst, geschehen. Wir werden einen sehr denk-
würdigen Beweis für diese Behauptung sofort sehen.

1908.

Jm Winter 1907/08 legte der Reichskanzler Fürst Bülow das
lang erwartete Reichsvereinsgesetz vor. Es machte der
unerträglichen nationalen Zersplitterung auf diesem Gebiete ein
Ende, trug ein durchaus freiheitliches Gepräge, und brachte den
Frauen die Möglichkeit, politische Vereine zu gründen und in die
politischen Vereine (Parteien) der Männer einzutreten. Trotz
dieser großen Fortschritte, die nur der ganz würdigen kann, der
die alte Zeit der polizeilichen Schikanen, "Segmente" usw. mit-
erlebt hat, brach bei der Beratung des Gesetzes ein wütender Kampf
aus, von dem man mit Recht sagen kann: "Rechter Hand, linker

kontrollieren könnte, liegen nicht vor. Aus dem Auslande, das
seine Frauen zu Staatsbürgern machte, wird berichtet, daß die
Frauen für sozialpolitische Fortschritte, namentlich in
bezug auf Frauen und Kinder, Namhaftes gewirkt haben. Das
war selbstverständlich nach endlich errungenem Siege. Erst größere
Zeiträume würden ein abschließendes Urteil gestatten. Jn Deutsch-
land kämen für eine Betrachtung dieser Art nur die sozialdemo-
kratischen Frauen in Betracht. Und da muß man sagen: Wo
blieben unter den Revisionisten, die aus der deutschen Sektion der
alten revolutionären Jnternationale eine deutsche Arbeiterpartei
machen wollten, die führenden Frauen? Frau Zetkin ver-
hielt sich streng konservativ.

Jch kann also nicht glauben, daß der leitende Grundsatz der
konservativen Partei: Erhaltung des Bestehenden, durch
Frauen-Wähler und Frauen-Abgeordnete irgendwie in Gefahr
käme. Jm Gegenteil, er würde in ihnen die durch die Natur prä-
destinierten Stützen finden. Daher kann man sehr wohl sagen:
Auch die konservative Partei kann die Frau befreien. Heute hören
das die Herren von der Rechten mit ungläubigem Kopfschütteln und
souveränem Lächeln. Sie sind aber im psychologischen Studium
der Frau genau solche tastenden Neulinge als alle anderen Parteien.

Was ergibt sich nun aus der vorstehenden Untersuchung
realer Tatsachen: doch nur das eine: Die Verwirklichung der Forde-
rung der Stimmrechtsbewegung ist nicht an eine bestimmte Partei
geknüpft. Sie kann, je nach der politisch-parlamen-
tarischen Situation
, durch jede Partei, und zwar mit
Erfolg für sie selbst, geschehen. Wir werden einen sehr denk-
würdigen Beweis für diese Behauptung sofort sehen.

1908.

Jm Winter 1907/08 legte der Reichskanzler Fürst Bülow das
lang erwartete Reichsvereinsgesetz vor. Es machte der
unerträglichen nationalen Zersplitterung auf diesem Gebiete ein
Ende, trug ein durchaus freiheitliches Gepräge, und brachte den
Frauen die Möglichkeit, politische Vereine zu gründen und in die
politischen Vereine (Parteien) der Männer einzutreten. Trotz
dieser großen Fortschritte, die nur der ganz würdigen kann, der
die alte Zeit der polizeilichen Schikanen, „Segmente‟ usw. mit-
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aus, von dem man mit Recht sagen kann: „Rechter Hand, linker

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[21/0021] kontrollieren könnte, liegen nicht vor. Aus dem Auslande, das seine Frauen zu Staatsbürgern machte, wird berichtet, daß die Frauen für sozialpolitische Fortschritte, namentlich in bezug auf Frauen und Kinder, Namhaftes gewirkt haben. Das war selbstverständlich nach endlich errungenem Siege. Erst größere Zeiträume würden ein abschließendes Urteil gestatten. Jn Deutsch- land kämen für eine Betrachtung dieser Art nur die sozialdemo- kratischen Frauen in Betracht. Und da muß man sagen: Wo blieben unter den Revisionisten, die aus der deutschen Sektion der alten revolutionären Jnternationale eine deutsche Arbeiterpartei machen wollten, die führenden Frauen? Frau Zetkin ver- hielt sich streng konservativ. Jch kann also nicht glauben, daß der leitende Grundsatz der konservativen Partei: Erhaltung des Bestehenden, durch Frauen-Wähler und Frauen-Abgeordnete irgendwie in Gefahr käme. Jm Gegenteil, er würde in ihnen die durch die Natur prä- destinierten Stützen finden. Daher kann man sehr wohl sagen: Auch die konservative Partei kann die Frau befreien. Heute hören das die Herren von der Rechten mit ungläubigem Kopfschütteln und souveränem Lächeln. Sie sind aber im psychologischen Studium der Frau genau solche tastenden Neulinge als alle anderen Parteien. Was ergibt sich nun aus der vorstehenden Untersuchung realer Tatsachen: doch nur das eine: Die Verwirklichung der Forde- rung der Stimmrechtsbewegung ist nicht an eine bestimmte Partei geknüpft. Sie kann, je nach der politisch-parlamen- tarischen Situation, durch jede Partei, und zwar mit Erfolg für sie selbst, geschehen. Wir werden einen sehr denk- würdigen Beweis für diese Behauptung sofort sehen. 1908. Jm Winter 1907/08 legte der Reichskanzler Fürst Bülow das lang erwartete Reichsvereinsgesetz vor. Es machte der unerträglichen nationalen Zersplitterung auf diesem Gebiete ein Ende, trug ein durchaus freiheitliches Gepräge, und brachte den Frauen die Möglichkeit, politische Vereine zu gründen und in die politischen Vereine (Parteien) der Männer einzutreten. Trotz dieser großen Fortschritte, die nur der ganz würdigen kann, der die alte Zeit der polizeilichen Schikanen, „Segmente‟ usw. mit- erlebt hat, brach bei der Beratung des Gesetzes ein wütender Kampf aus, von dem man mit Recht sagen kann: „Rechter Hand, linker  

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-05-11T12:53:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-05-11T12:53:44Z)

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Zitationshilfe: Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lischnewska_frauenstimmrechtsbewegung_1915/21>, abgerufen am 27.04.2024.