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Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915.

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I.
15. April 1912
Thesen der Reformpartei (Gedacht als Grundlage von Erörterungen in den Ortsgruppen.)
1. Wenn die Bevölkerung für eine schwer sich durchsetzende
Sache gewonnen werden soll (und eine solche ist das Frauenstimm-
recht), so ist eine möglichst umfassende und auf breitester Basis
ruhende Organisation vonnöten. Jede Zersplitterung von Kraft
und Geld muß vermieden, alle Hilfsmittel müssen zur Erreichung
des gemeinsamen Zieles vereinigt werden.
2. Der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht ist im Jahre
1902 auf solcher Basis gegründet worden. Es heißt noch jetzt in
seinen Statuten: "Der Verband steht nicht auf dem Boden einer
bestimmten politischen Partei oder einer bestimmten Richtung der
Frauenbewegung". Dies ist der Grundsatz der absoluten Neutrali-
tät, weil er jeder Frau, gleichviel wie ihre politische Ueberzeugung
ist, die Zugehörigkeit zum Deutschen Verbande ermöglicht.
3. Jm Jahre 1907 wurde diesem Neutralitätsgrundsatz die
Forderung einer bestimmten Wahlrechtsform beigefügt, die den
heiß umstrittenen Hauptprogrammpunkt der linksliberalen Partei-
gruppen bildet. Die Frauen der weiter rechtsstehenden politischen
Parteien, der konservativen und nationalliberalen, können deshalb
dem Deutschen Verbande nicht mehr beitreten, die Frauen des
Zentrums sind schon vielfach wegen der mangelnden Neutralität
des Deutschen Verbandes ausgetreten und die Sozialdemokratinnen
gehen prinzipiell nicht mit den bürgerlichen Frauen. Wir können
uns also nur noch aus den Reihen der Fortschrittlichen Volkspartei
und der kleinen Demokraten-Vereinigung rekrutieren. Die Basis
hat sich demnach unendlich verkleinert, und wir sind dadurch partei-
politisch geworden.
4. Da viele Frauen diese parteipolitische Haltung mißbilligen
oder sie nicht teilen, so müßte eine zweite deutsche Stimmrecht-
Organisation entstehen, welche nun auf dem von uns verlassenen
Standpunkt der Neutralität steht, in den zwei Jahren ihres Be-
stehens zahlreiche Ortsgruppen gründen konnte und zirka 200 Mit-
glieder zählt. An verschiedenen Orten sind nun zweierlei Vereine,
die sich natürlich Konkurrenz machen und sich aufzufressen drohen.
Diese Konkurrenz schadet der Sache in den Augen des Publikums
und lähmt und zersplittert die Arbeitskraft! Gerade in den Landes-
teilen, in denen man am entschiedensten versucht hat, sich mit unserm
I.
15. April 1912
Thesen der Reformpartei (Gedacht als Grundlage von Erörterungen in den Ortsgruppen.)
1. Wenn die Bevölkerung für eine schwer sich durchsetzende
Sache gewonnen werden soll (und eine solche ist das Frauenstimm-
recht), so ist eine möglichst umfassende und auf breitester Basis
ruhende Organisation vonnöten. Jede Zersplitterung von Kraft
und Geld muß vermieden, alle Hilfsmittel müssen zur Erreichung
des gemeinsamen Zieles vereinigt werden.
2. Der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht ist im Jahre
1902 auf solcher Basis gegründet worden. Es heißt noch jetzt in
seinen Statuten: „Der Verband steht nicht auf dem Boden einer
bestimmten politischen Partei oder einer bestimmten Richtung der
Frauenbewegung‟. Dies ist der Grundsatz der absoluten Neutrali-
tät, weil er jeder Frau, gleichviel wie ihre politische Ueberzeugung
ist, die Zugehörigkeit zum Deutschen Verbande ermöglicht.
3. Jm Jahre 1907 wurde diesem Neutralitätsgrundsatz die
Forderung einer bestimmten Wahlrechtsform beigefügt, die den
heiß umstrittenen Hauptprogrammpunkt der linksliberalen Partei-
gruppen bildet. Die Frauen der weiter rechtsstehenden politischen
Parteien, der konservativen und nationalliberalen, können deshalb
dem Deutschen Verbande nicht mehr beitreten, die Frauen des
Zentrums sind schon vielfach wegen der mangelnden Neutralität
des Deutschen Verbandes ausgetreten und die Sozialdemokratinnen
gehen prinzipiell nicht mit den bürgerlichen Frauen. Wir können
uns also nur noch aus den Reihen der Fortschrittlichen Volkspartei
und der kleinen Demokraten-Vereinigung rekrutieren. Die Basis
hat sich demnach unendlich verkleinert, und wir sind dadurch partei-
politisch geworden.
4. Da viele Frauen diese parteipolitische Haltung mißbilligen
oder sie nicht teilen, so müßte eine zweite deutsche Stimmrecht-
Organisation entstehen, welche nun auf dem von uns verlassenen
Standpunkt der Neutralität steht, in den zwei Jahren ihres Be-
stehens zahlreiche Ortsgruppen gründen konnte und zirka 200 Mit-
glieder zählt. An verschiedenen Orten sind nun zweierlei Vereine,
die sich natürlich Konkurrenz machen und sich aufzufressen drohen.
Diese Konkurrenz schadet der Sache in den Augen des Publikums
und lähmt und zersplittert die Arbeitskraft! Gerade in den Landes-
teilen, in denen man am entschiedensten versucht hat, sich mit unserm
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[29/0029] I. 15. April 1912 Thesen der Reformpartei (Gedacht als Grundlage von Erörterungen in den Ortsgruppen.) 1. Wenn die Bevölkerung für eine schwer sich durchsetzende Sache gewonnen werden soll (und eine solche ist das Frauenstimm- recht), so ist eine möglichst umfassende und auf breitester Basis ruhende Organisation vonnöten. Jede Zersplitterung von Kraft und Geld muß vermieden, alle Hilfsmittel müssen zur Erreichung des gemeinsamen Zieles vereinigt werden. 2. Der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht ist im Jahre 1902 auf solcher Basis gegründet worden. Es heißt noch jetzt in seinen Statuten: „Der Verband steht nicht auf dem Boden einer bestimmten politischen Partei oder einer bestimmten Richtung der Frauenbewegung‟. Dies ist der Grundsatz der absoluten Neutrali- tät, weil er jeder Frau, gleichviel wie ihre politische Ueberzeugung ist, die Zugehörigkeit zum Deutschen Verbande ermöglicht. 3. Jm Jahre 1907 wurde diesem Neutralitätsgrundsatz die Forderung einer bestimmten Wahlrechtsform beigefügt, die den heiß umstrittenen Hauptprogrammpunkt der linksliberalen Partei- gruppen bildet. Die Frauen der weiter rechtsstehenden politischen Parteien, der konservativen und nationalliberalen, können deshalb dem Deutschen Verbande nicht mehr beitreten, die Frauen des Zentrums sind schon vielfach wegen der mangelnden Neutralität des Deutschen Verbandes ausgetreten und die Sozialdemokratinnen gehen prinzipiell nicht mit den bürgerlichen Frauen. Wir können uns also nur noch aus den Reihen der Fortschrittlichen Volkspartei und der kleinen Demokraten-Vereinigung rekrutieren. Die Basis hat sich demnach unendlich verkleinert, und wir sind dadurch partei- politisch geworden. 4. Da viele Frauen diese parteipolitische Haltung mißbilligen oder sie nicht teilen, so müßte eine zweite deutsche Stimmrecht- Organisation entstehen, welche nun auf dem von uns verlassenen Standpunkt der Neutralität steht, in den zwei Jahren ihres Be- stehens zahlreiche Ortsgruppen gründen konnte und zirka 200 Mit- glieder zählt. An verschiedenen Orten sind nun zweierlei Vereine, die sich natürlich Konkurrenz machen und sich aufzufressen drohen. Diese Konkurrenz schadet der Sache in den Augen des Publikums und lähmt und zersplittert die Arbeitskraft! Gerade in den Landes- teilen, in denen man am entschiedensten versucht hat, sich mit unserm  

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-05-11T12:53:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-05-11T12:53:44Z)

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Zitationshilfe: Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lischnewska_frauenstimmrechtsbewegung_1915/29>, abgerufen am 23.11.2024.