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Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915.

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der Frauen das Wahlrecht gab, so würden auch wir eine Be-
schränkung hinnehmen müssen. Daß ein unsoziales Wahlrecht der
Frau in Deutschland geschaffen werden sollte, ist unmöglich. Wir
haben heute - sehr niedrig geschätzt - 10 Millionen haupt-
beruflich erwerbstätiger Frauen. Jhre Zahl wird nach dem Kriege
rapide steigen, denn es werden Männer fehlen und Arbeits-
aufgaben von ungeheurer Größe daheim und in den eroberten Ge-
bieten erwachsen. Diese Aufgaben bewältigt die Hälfte der
Nation nicht. Die Frau muß überall in Reih und Glied treten
als Träger der nationalen Produktion. Hier liegt die Verpflichtung
für eine sozial denkende Regierung, und die haben wir. Diesen
Millionen kann nicht dauernd die politische Waffe im Kampf ums
Dasein vorenthalten werden. Ja, es steht zu erwarten, daß einem
kräftig ausgesprochenen Willen der Gesamtheit
gegenüber
die Regierung selbst die Jnitiative ergreifen und
die große Revolution der politischen Befreiung der Frau selbst voll-
ziehen wird. Es ist ja eine geschichtliche Tatsache, daß bei uns die Re-
volutionen von oben gemacht werden. Die Gesetzgebung des
Freiherrn vom Stein, die staatsrechtlichen Taten Bismarcks im
Jahre 1866/67 und endlich die Einleitung und Durchführung der
deutschen Sozialpolitik gehören zu den größten Revolutionen der
Geschichte.

Die Aufgabe der Stimmrechtsbewegung ist es, für einen
solchen Tag, der kommt, ihre Scharen zu mehren, fest zusammen-
zuhalten und sie so zu erziehen, daß sie von einem einheitlichen,
nationalen Willen
erfüllt sind. Man kann - ein be-
kanntes Wort umwandelnd - sagen: "Wer die Mütter hat, hat
die Zukunft." Haben wir Frauen, die zu praktischem
Denken erzogen sind, vergiftende Theorien ablehnen und jederzeit
bereit sind, dem Ganzen die Opfer zu bringen, die es fordern darf,
so wird ihre politische Befreiung ein Denkstein werden in der
Kulturgeschichte der Nation.

Die erste Frucht des Friedens.

Die Frage ist nun, was den Frauen werden soll, was sie
fordern müssen, wenn die große Neuorientierung der deutschen
Politik beginnt. Alle politischen Faktoren bereiten sich auf diesen
Tag vor. Die Frauen aber sind längst ein politischer Faktor, den
keine Staatsregierung außer acht lassen kann. Mit welchen Zahlen
sie sich eingliedern in alle Gebiete der Arbeit, ist bekannt. Nicht

der Frauen das Wahlrecht gab, so würden auch wir eine Be-
schränkung hinnehmen müssen. Daß ein unsoziales Wahlrecht der
Frau in Deutschland geschaffen werden sollte, ist unmöglich. Wir
haben heute – sehr niedrig geschätzt – 10 Millionen haupt-
beruflich erwerbstätiger Frauen. Jhre Zahl wird nach dem Kriege
rapide steigen, denn es werden Männer fehlen und Arbeits-
aufgaben von ungeheurer Größe daheim und in den eroberten Ge-
bieten erwachsen. Diese Aufgaben bewältigt die Hälfte der
Nation nicht. Die Frau muß überall in Reih und Glied treten
als Träger der nationalen Produktion. Hier liegt die Verpflichtung
für eine sozial denkende Regierung, und die haben wir. Diesen
Millionen kann nicht dauernd die politische Waffe im Kampf ums
Dasein vorenthalten werden. Ja, es steht zu erwarten, daß einem
kräftig ausgesprochenen Willen der Gesamtheit
gegenüber
die Regierung selbst die Jnitiative ergreifen und
die große Revolution der politischen Befreiung der Frau selbst voll-
ziehen wird. Es ist ja eine geschichtliche Tatsache, daß bei uns die Re-
volutionen von oben gemacht werden. Die Gesetzgebung des
Freiherrn vom Stein, die staatsrechtlichen Taten Bismarcks im
Jahre 1866/67 und endlich die Einleitung und Durchführung der
deutschen Sozialpolitik gehören zu den größten Revolutionen der
Geschichte.

Die Aufgabe der Stimmrechtsbewegung ist es, für einen
solchen Tag, der kommt, ihre Scharen zu mehren, fest zusammen-
zuhalten und sie so zu erziehen, daß sie von einem einheitlichen,
nationalen Willen
erfüllt sind. Man kann – ein be-
kanntes Wort umwandelnd – sagen: „Wer die Mütter hat, hat
die Zukunft.‟ Haben wir Frauen, die zu praktischem
Denken erzogen sind, vergiftende Theorien ablehnen und jederzeit
bereit sind, dem Ganzen die Opfer zu bringen, die es fordern darf,
so wird ihre politische Befreiung ein Denkstein werden in der
Kulturgeschichte der Nation.

Die erste Frucht des Friedens.

Die Frage ist nun, was den Frauen werden soll, was sie
fordern müssen, wenn die große Neuorientierung der deutschen
Politik beginnt. Alle politischen Faktoren bereiten sich auf diesen
Tag vor. Die Frauen aber sind längst ein politischer Faktor, den
keine Staatsregierung außer acht lassen kann. Mit welchen Zahlen
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[45/0045] der Frauen das Wahlrecht gab, so würden auch wir eine Be- schränkung hinnehmen müssen. Daß ein unsoziales Wahlrecht der Frau in Deutschland geschaffen werden sollte, ist unmöglich. Wir haben heute – sehr niedrig geschätzt – 10 Millionen haupt- beruflich erwerbstätiger Frauen. Jhre Zahl wird nach dem Kriege rapide steigen, denn es werden Männer fehlen und Arbeits- aufgaben von ungeheurer Größe daheim und in den eroberten Ge- bieten erwachsen. Diese Aufgaben bewältigt die Hälfte der Nation nicht. Die Frau muß überall in Reih und Glied treten als Träger der nationalen Produktion. Hier liegt die Verpflichtung für eine sozial denkende Regierung, und die haben wir. Diesen Millionen kann nicht dauernd die politische Waffe im Kampf ums Dasein vorenthalten werden. Ja, es steht zu erwarten, daß einem kräftig ausgesprochenen Willen der Gesamtheit gegenüber die Regierung selbst die Jnitiative ergreifen und die große Revolution der politischen Befreiung der Frau selbst voll- ziehen wird. Es ist ja eine geschichtliche Tatsache, daß bei uns die Re- volutionen von oben gemacht werden. Die Gesetzgebung des Freiherrn vom Stein, die staatsrechtlichen Taten Bismarcks im Jahre 1866/67 und endlich die Einleitung und Durchführung der deutschen Sozialpolitik gehören zu den größten Revolutionen der Geschichte. Die Aufgabe der Stimmrechtsbewegung ist es, für einen solchen Tag, der kommt, ihre Scharen zu mehren, fest zusammen- zuhalten und sie so zu erziehen, daß sie von einem einheitlichen, nationalen Willen erfüllt sind. Man kann – ein be- kanntes Wort umwandelnd – sagen: „Wer die Mütter hat, hat die Zukunft.‟ Haben wir Frauen, die zu praktischem Denken erzogen sind, vergiftende Theorien ablehnen und jederzeit bereit sind, dem Ganzen die Opfer zu bringen, die es fordern darf, so wird ihre politische Befreiung ein Denkstein werden in der Kulturgeschichte der Nation. Die erste Frucht des Friedens. Die Frage ist nun, was den Frauen werden soll, was sie fordern müssen, wenn die große Neuorientierung der deutschen Politik beginnt. Alle politischen Faktoren bereiten sich auf diesen Tag vor. Die Frauen aber sind längst ein politischer Faktor, den keine Staatsregierung außer acht lassen kann. Mit welchen Zahlen sie sich eingliedern in alle Gebiete der Arbeit, ist bekannt. Nicht  

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-05-11T12:53:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-05-11T12:53:44Z)

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Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lischnewska_frauenstimmrechtsbewegung_1915/45>, abgerufen am 03.12.2024.