Sie bilden sich ein, dieses sey ein unverantwort- licher Mißbrauch der Heil. Schrift. Jch gestehe diese Censur hat mich sehr befremdet, und ich weiß fast nicht, was ich darauf antworten soll. Kaum kan ich mir einbilden, daß es Ernst damit sey. Denn es ist schwer zu begreifen, wie kluge Leute ihre Gottseligkeit so gar hoch treiben können. Wenn ich also arg wolte, so könnte ich die Herren, die sich so gar ohne Ursach an meiner Schrift geärgert haben, ziemlich lächerlich machen. Aber auch bey dieser Gelegenheit zu zeigen, wie wenig ich zum Spotten geneigt sey, so will ich ihnen ihre Scru- pel mit aller Sanftmuth zubenehmen suchen, und ernsthaft mit ihnen reden.
Es verdienet auch überdem ihr zärtliches Gewis- sen, mehr ein Mittleiden, als daß man darüber lache. Jch bedaure sie von Grund meiner Seelen. Sie setzen sich durch ihre gar zu grosse Heiligkeit in den Stand, daß sie ohne Gefahr zu sündigen, nicht einmahl Essen und Trincken fordern können. Plagt sie der Durst, so dürfen sie nicht sagen, daß sie dürste. Und wann sie auf Reisen in ein Wirths-Haus kommen, ist es ihnen nicht erlaubt zu fragen: Habt ihr nichts zu essen? Leute mit denen es so beschaffen ist, die sind vor andern eines liebreichen Unterrichts würdig; Und ich mache mir ein Gewissen, sie auszuhöhnen.
Jch bitte sie demnach zu bedencken, daß dasje- nige, was ich vom grünen Holtz gesaget habe, ein Sprichwort sey. Unser Heyland hat sich desselben bedienet, das weiß ich wohl: Aber ich solte nicht meinen, daß dadurch die Natur dieses Sprichworts geändert sey, und das menschliche Geschlecht et-
was
(o)
Sie bilden ſich ein, dieſes ſey ein unverantwort- licher Mißbrauch der Heil. Schrift. Jch geſtehe dieſe Cenſur hat mich ſehr befremdet, und ich weiß faſt nicht, was ich darauf antworten ſoll. Kaum kan ich mir einbilden, daß es Ernſt damit ſey. Denn es iſt ſchwer zu begreifen, wie kluge Leute ihre Gottſeligkeit ſo gar hoch treiben koͤnnen. Wenn ich alſo arg wolte, ſo koͤnnte ich die Herren, die ſich ſo gar ohne Urſach an meiner Schrift geaͤrgert haben, ziemlich laͤcherlich machen. Aber auch bey dieſer Gelegenheit zu zeigen, wie wenig ich zum Spotten geneigt ſey, ſo will ich ihnen ihre Scru- pel mit aller Sanftmuth zubenehmen ſuchen, und ernſthaft mit ihnen reden.
Es verdienet auch uͤberdem ihr zaͤrtliches Gewiſ- ſen, mehr ein Mittleiden, als daß man daruͤber lache. Jch bedaure ſie von Grund meiner Seelen. Sie ſetzen ſich durch ihre gar zu groſſe Heiligkeit in den Stand, daß ſie ohne Gefahr zu ſuͤndigen, nicht einmahl Eſſen und Trincken fordern koͤnnen. Plagt ſie der Durſt, ſo duͤrfen ſie nicht ſagen, daß ſie duͤrſte. Und wann ſie auf Reiſen in ein Wirths-Haus kommen, iſt es ihnen nicht erlaubt zu fragen: Habt ihr nichts zu eſſen? Leute mit denen es ſo beſchaffen iſt, die ſind vor andern eines liebreichen Unterrichts wuͤrdig; Und ich mache mir ein Gewiſſen, ſie auszuhoͤhnen.
Jch bitte ſie demnach zu bedencken, daß dasje- nige, was ich vom gruͤnen Holtz geſaget habe, ein Sprichwort ſey. Unſer Heyland hat ſich deſſelben bedienet, das weiß ich wohl: Aber ich ſolte nicht meinen, daß dadurch die Natur dieſes Sprichworts geaͤndert ſey, und das menſchliche Geſchlecht et-
was
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Sie bilden ſich ein, dieſes ſey ein unverantwort-
licher Mißbrauch der Heil. Schrift. Jch geſtehe
dieſe Cenſur hat mich ſehr befremdet, und ich weiß
faſt nicht, was ich darauf antworten ſoll. Kaum
kan ich mir einbilden, daß es Ernſt damit ſey.
Denn es iſt ſchwer zu begreifen, wie kluge Leute
ihre Gottſeligkeit ſo gar hoch treiben koͤnnen. Wenn
ich alſo arg wolte, ſo koͤnnte ich die Herren, die
ſich ſo gar ohne Urſach an meiner Schrift geaͤrgert
haben, ziemlich laͤcherlich machen. Aber auch bey
dieſer Gelegenheit zu zeigen, wie wenig ich zum
Spotten geneigt ſey, ſo will ich ihnen ihre Scru-
pel mit aller Sanftmuth zubenehmen ſuchen, und
ernſthaft mit ihnen reden.
Es verdienet auch uͤberdem ihr zaͤrtliches Gewiſ-
ſen, mehr ein Mittleiden, als daß man daruͤber
lache. Jch bedaure ſie von Grund meiner Seelen.
Sie ſetzen ſich durch ihre gar zu groſſe Heiligkeit in
den Stand, daß ſie ohne Gefahr zu ſuͤndigen, nicht
einmahl Eſſen und Trincken fordern koͤnnen. Plagt
ſie der Durſt, ſo duͤrfen ſie nicht ſagen, daß ſie
duͤrſte. Und wann ſie auf Reiſen in ein Wirths-Haus
kommen, iſt es ihnen nicht erlaubt zu fragen: Habt ihr
nichts zu eſſen? Leute mit denen es ſo beſchaffen iſt, die
ſind vor andern eines liebreichen Unterrichts wuͤrdig;
Und ich mache mir ein Gewiſſen, ſie auszuhoͤhnen.
Jch bitte ſie demnach zu bedencken, daß dasje-
nige, was ich vom gruͤnen Holtz geſaget habe, ein
Sprichwort ſey. Unſer Heyland hat ſich deſſelben
bedienet, das weiß ich wohl: Aber ich ſolte nicht
meinen, daß dadurch die Natur dieſes Sprichworts
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/222>, abgerufen am 23.11.2024.
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