keit einen neuen Kunst-Griff an die Hand zu geben, wovor sie ihm nimmer genug dancken können. Es würde, schreibt Er in der Anmerckung, bey einer dergleichen Trauer-Rede einen unge- meinen Eindruck geben, wenn der Redner im Stande wäre, durch die Kunst so eine dergleichen Ohnmacht, oder andern hertz- brechenden Affect anzunehmen, als mich hier ehedem in der Rede von ohngefehr befiel. Doch müste die Kunst es völlig natürlich machen, und sich gehörig wieder zu recht zu finden, wissen.
O! erwünschte Ohnmacht, die du zu Erfindung einer so unerhörten Regel Anlaß gegeben hast. Die Alten haben in ihrer Einfalt davor gehalten, solche gar zu nachdrückliche Vorstellungen eines Afects, schickten sich wohl auf dem Schauplatz, aber nicht in einer Rede, und sie haben allemahl einen Unterscheid unter einem Redner und Comödianten gemacht. Cicero selbst, ob er gleich wohl erkannte, daß ein ieder Redner auf seine Art ein Roscius seyn müsse34); ist doch so verblendet, daß er denen, die sich der Rede- Kunst befleißigen, anräth, sich vor eine gar zu grosse Aehnlichkeit mit den Comödianten zu hüten35). Lob
sey
34)Cicero de Oratore Lib. I.
35)Quis neget, spricht er Lib. I. de Orat. opus esse orato- ri, in hoc oratorio motu statuque, Roscii gestum & ve- nustatem? Tamen nemo suaserit studiosis dicendi adolescentibus in gestu discendo histrionum more ela- borare. Und Lib. III. heist es: Omnes autem hos mo- tus subsequi debet gestus, non hic verba exprimens, sccnicus, sed universam rem & sententiam, non de-
mon-
(o)
keit einen neuen Kunſt-Griff an die Hand zu geben, wovor ſie ihm nimmer genug dancken koͤnnen. Es wuͤrde, ſchreibt Er in der Anmerckung, bey einer dergleichen Trauer-Rede einen unge- meinen Eindruck geben, wenn der Redner im Stande waͤre, durch die Kunſt ſo eine dergleichen Ohnmacht, oder andern hertz- brechenden Affect anzunehmen, als mich hier ehedem in der Rede von ohngefehr befiel. Doch muͤſte die Kunſt es voͤllig natuͤrlich machen, und ſich gehoͤrig wieder zu recht zu finden, wiſſen.
O! erwuͤnſchte Ohnmacht, die du zu Erfindung einer ſo unerhoͤrten Regel Anlaß gegeben haſt. Die Alten haben in ihrer Einfalt davor gehalten, ſolche gar zu nachdruͤckliche Vorſtellungen eines Afects, ſchickten ſich wohl auf dem Schauplatz, aber nicht in einer Rede, und ſie haben allemahl einen Unteꝛſcheid unter einem Redner und Comoͤdianten gemacht. Cicero ſelbſt, ob er gleich wohl erkannte, daß ein ieder Redner auf ſeine Art ein Roſcius ſeyn muͤſſe34); iſt doch ſo verblendet, daß er denen, die ſich der Rede- Kunſt befleißigen, anraͤth, ſich vor eine gar zu groſſe Aehnlichkeit mit den Comoͤdianten zu huͤten35). Lob
ſey
34)Cicero de Oratore Lib. I.
35)Quis neget, ſpricht er Lib. I. de Orat. opus eſſe orato- ri, in hoc oratorio motu ſtatuque, Roſcii geſtum & ve- nuſtatem? Tamen nemo ſuaſerit ſtudioſis dicendi adoleſcentibus in geſtu diſcendo hiſtrionum more ela- borare. Und Lib. III. heiſt es: Omnes autem hos mo- tus ſubſequi debet geſtus, non hic verba exprimens, ſccnicus, ſed univerſam rem & ſententiam, non de-
mon-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0266"n="174"/><fwplace="top"type="header">(<hirendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>
keit einen neuen Kunſt-Griff an die Hand zu geben,<lb/>
wovor ſie ihm nimmer genug dancken koͤnnen. <hirendition="#fr">Es<lb/>
wuͤrde, ſchreibt Er in der Anmerckung, bey<lb/>
einer dergleichen Trauer-Rede einen unge-<lb/>
meinen Eindruck geben, wenn der Redner<lb/>
im Stande waͤre, durch die Kunſt ſo eine<lb/>
dergleichen Ohnmacht, oder andern hertz-<lb/>
brechenden Affect anzunehmen, als mich hier<lb/>
ehedem in der Rede von ohngefehr befiel.<lb/>
Doch muͤſte die Kunſt es voͤllig natuͤrlich<lb/>
machen, und ſich gehoͤrig wieder zu recht<lb/>
zu finden, wiſſen.</hi></p><lb/><p>O! erwuͤnſchte Ohnmacht, die du zu Erfindung<lb/>
einer ſo unerhoͤrten Regel Anlaß gegeben haſt. Die<lb/>
Alten haben in ihrer Einfalt davor gehalten, ſolche<lb/>
gar zu nachdruͤckliche Vorſtellungen eines Afects,<lb/>ſchickten ſich wohl auf dem Schauplatz, aber nicht<lb/>
in einer Rede, und ſie haben allemahl einen Unteꝛſcheid<lb/>
unter einem Redner und Comoͤdianten gemacht.<lb/>
Cicero ſelbſt, ob er gleich wohl erkannte, daß ein ieder<lb/>
Redner auf ſeine Art ein Roſcius ſeyn muͤſſe<noteplace="foot"n="34)"><hirendition="#aq">Cicero de Oratore Lib. I.</hi></note>;<lb/>
iſt doch ſo verblendet, daß er denen, die ſich der Rede-<lb/>
Kunſt befleißigen, anraͤth, ſich vor eine gar zu groſſe<lb/>
Aehnlichkeit mit den Comoͤdianten zu huͤten<notexml:id="f07"next="#f08"place="foot"n="35)"><hirendition="#aq">Quis neget,</hi>ſpricht er <hirendition="#aq">Lib. I. de Orat. opus eſſe orato-<lb/>
ri, in hoc oratorio motu ſtatuque, Roſcii geſtum & ve-<lb/>
nuſtatem? Tamen nemo ſuaſerit ſtudioſis dicendi<lb/>
adoleſcentibus in geſtu diſcendo hiſtrionum more ela-<lb/>
borare.</hi> Und <hirendition="#aq">Lib. III.</hi> heiſt es: <hirendition="#aq">Omnes autem hos mo-<lb/>
tus ſubſequi debet geſtus, non hic verba exprimens,<lb/>ſccnicus, ſed univerſam rem &ſententiam, non de-</hi><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#aq">mon-</hi></fw></note>. Lob<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſey</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[174/0266]
(o)
keit einen neuen Kunſt-Griff an die Hand zu geben,
wovor ſie ihm nimmer genug dancken koͤnnen. Es
wuͤrde, ſchreibt Er in der Anmerckung, bey
einer dergleichen Trauer-Rede einen unge-
meinen Eindruck geben, wenn der Redner
im Stande waͤre, durch die Kunſt ſo eine
dergleichen Ohnmacht, oder andern hertz-
brechenden Affect anzunehmen, als mich hier
ehedem in der Rede von ohngefehr befiel.
Doch muͤſte die Kunſt es voͤllig natuͤrlich
machen, und ſich gehoͤrig wieder zu recht
zu finden, wiſſen.
O! erwuͤnſchte Ohnmacht, die du zu Erfindung
einer ſo unerhoͤrten Regel Anlaß gegeben haſt. Die
Alten haben in ihrer Einfalt davor gehalten, ſolche
gar zu nachdruͤckliche Vorſtellungen eines Afects,
ſchickten ſich wohl auf dem Schauplatz, aber nicht
in einer Rede, und ſie haben allemahl einen Unteꝛſcheid
unter einem Redner und Comoͤdianten gemacht.
Cicero ſelbſt, ob er gleich wohl erkannte, daß ein ieder
Redner auf ſeine Art ein Roſcius ſeyn muͤſſe 34);
iſt doch ſo verblendet, daß er denen, die ſich der Rede-
Kunſt befleißigen, anraͤth, ſich vor eine gar zu groſſe
Aehnlichkeit mit den Comoͤdianten zu huͤten 35). Lob
ſey
34) Cicero de Oratore Lib. I.
35) Quis neget, ſpricht er Lib. I. de Orat. opus eſſe orato-
ri, in hoc oratorio motu ſtatuque, Roſcii geſtum & ve-
nuſtatem? Tamen nemo ſuaſerit ſtudioſis dicendi
adoleſcentibus in geſtu diſcendo hiſtrionum more ela-
borare. Und Lib. III. heiſt es: Omnes autem hos mo-
tus ſubſequi debet geſtus, non hic verba exprimens,
ſccnicus, ſed univerſam rem & ſententiam, non de-
mon-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/266>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.