Jch gestehe, wenn man bedencket, daß dieSatyren mißfallen den mei- sten. Menschen ungemein geneigt sind, sich über den Unfall ihres Nächsten zu erfreuen, so sol- te man glauben, eine, auch nur mittelmässi- ge, Satyre müsse allemahl mit allgemeinem Beyfall aufgenommen werden. Aber dieser Schluß ist trieglich, und die Erfahrung giebt es, daß eine Satyre, sie mag auch noch so wohl geschrieben seyn, den meisten mißfalle, und daß der Verfasser derselben, auch so gar von denen, welche seine Schrift mit Lust lesen, und dieselbe loben, dennoch ge- tadelt werde.
Denn obgleich die lustigen Einfälle, welche eine Satyre beliebt machen, alle Leser kü- tzeln, und zum Lachen gleichsam zwingen, so gehet doch dieses Lachen den meisten eben so wenig von Hertzen, als dasjenige, so durch ei- ne leibliche Kützelung verursachet wird. Die Empfindung, welche in unserm Cörper entstehet, wenn er gekützelt wird, ist einer sehr zweydeutigen Natur, und, wie angenehm sie auch scheint, mit einer Art des Schmertzes un- termischet. Mit der geistlichen Kützelung hat es eben die Bewandniß, und das Vergnü- gen, das eine Satyre ihren Lesern giebt, ist fast allemahl mit einem heimlichen Verdruß verge- sellschaftet.
Die Ursachen dieses Verdrusses sind nichtDie Ursa- chen da- von: 1) der Wahn daß sich ein Spötter schwer zu errathen. Die erste ist der gemeine Wahn, daß einer, der sich klug genug düncket andere zu tadeln, eine grosse Einbildung von
sich
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Jch geſtehe, wenn man bedencket, daß dieSatyren mißfallen den mei- ſten. Menſchen ungemein geneigt ſind, ſich uͤber den Unfall ihres Naͤchſten zu erfreuen, ſo ſol- te man glauben, eine, auch nur mittelmaͤſſi- ge, Satyre muͤſſe allemahl mit allgemeinem Beyfall aufgenommen werden. Aber dieſer Schluß iſt trieglich, und die Erfahrung giebt es, daß eine Satyre, ſie mag auch noch ſo wohl geſchrieben ſeyn, den meiſten mißfalle, und daß der Verfaſſer derſelben, auch ſo gar von denen, welche ſeine Schrift mit Luſt leſen, und dieſelbe loben, dennoch ge- tadelt werde.
Denn obgleich die luſtigen Einfaͤlle, welche eine Satyre beliebt machen, alle Leſer kuͤ- tzeln, und zum Lachen gleichſam zwingen, ſo gehet doch dieſes Lachen den meiſten eben ſo wenig von Hertzen, als dasjenige, ſo durch ei- ne leibliche Kuͤtzelung verurſachet wird. Die Empfindung, welche in unſerm Coͤrper entſtehet, wenn er gekuͤtzelt wird, iſt einer ſehr zweydeutigen Natur, und, wie angenehm ſie auch ſcheint, mit einer Art des Schmertzes un- termiſchet. Mit der geiſtlichen Kuͤtzelung hat es eben die Bewandniß, und das Vergnuͤ- gen, das eine Satyre ihren Leſern giebt, iſt faſt allemahl mit einem heimlichen Verdruß verge- ſellſchaftet.
Die Urſachen dieſes Verdruſſes ſind nichtDie Urſa- chen da- von: 1) der Wahn daß ſich ein Spoͤtter ſchwer zu errathen. Die erſte iſt der gemeine Wahn, daß einer, der ſich klug genug duͤncket andere zu tadeln, eine groſſe Einbildung von
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Jch geſtehe, wenn man bedencket, daß die
Menſchen ungemein geneigt ſind, ſich uͤber
den Unfall ihres Naͤchſten zu erfreuen, ſo ſol-
te man glauben, eine, auch nur mittelmaͤſſi-
ge, Satyre muͤſſe allemahl mit allgemeinem
Beyfall aufgenommen werden. Aber dieſer
Schluß iſt trieglich, und die Erfahrung giebt
es, daß eine Satyre, ſie mag auch noch ſo
wohl geſchrieben ſeyn, den meiſten mißfalle,
und daß der Verfaſſer derſelben, auch ſo
gar von denen, welche ſeine Schrift mit
Luſt leſen, und dieſelbe loben, dennoch ge-
tadelt werde.
Satyren
mißfallen
den mei-
ſten.
Denn obgleich die luſtigen Einfaͤlle, welche
eine Satyre beliebt machen, alle Leſer kuͤ-
tzeln, und zum Lachen gleichſam zwingen, ſo
gehet doch dieſes Lachen den meiſten eben ſo
wenig von Hertzen, als dasjenige, ſo durch ei-
ne leibliche Kuͤtzelung verurſachet wird.
Die Empfindung, welche in unſerm Coͤrper
entſtehet, wenn er gekuͤtzelt wird, iſt einer ſehr
zweydeutigen Natur, und, wie angenehm ſie
auch ſcheint, mit einer Art des Schmertzes un-
termiſchet. Mit der geiſtlichen Kuͤtzelung
hat es eben die Bewandniß, und das Vergnuͤ-
gen, das eine Satyre ihren Leſern giebt, iſt faſt
allemahl mit einem heimlichen Verdruß verge-
ſellſchaftet.
Die Urſachen dieſes Verdruſſes ſind nicht
ſchwer zu errathen. Die erſte iſt der gemeine
Wahn, daß einer, der ſich klug genug duͤncket
andere zu tadeln, eine groſſe Einbildung von
ſich
Die Urſa-
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Wahn daß
ſich ein
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/293>, abgerufen am 28.11.2024.
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