lich werden wollen, ist im höchsten Grad lächerlich Sie sagen, man könne nicht füglicher und eher zur Gemühts-Ruhe, oder zu einer beständigen Zufrie- denheit gelangen, als wenn man sich bemühe, seine Begierden einzuschräncken, und zu dämpfen. Aber kömmt dieser Vorschlag wohl viel kluger heraus, als wenn ich einem, der Kopf-Schmertzen hat, ra- then wollte, er solle sich den Kopf abhauen lassen? Und könnte man wohl besser von der Schädlichkeit der Vernunft überführet werden, als wenn man siehet, was sie vor verzweifelte Lehren giebt?
Jch bitte meine Leser, sich mit mir das Elend, und die Verwirrung vorzustellen, die nothwendig erfolgen würden, wenn die Begierden gedämpfet wären, und die Vernunft freye Hände hätte. Das gantze menschliche Geschlecht würde dadurch in ei- ne Art von Schlafsucht verfallen. Jch gestehe, es unterbliebe alsdann viel böses: Allein es würde auch wenig gutes ausgerichtet werden: Weil man gar nichts thun würde. Si la raison dominoit sur" la terre, sagt einer von unsern ärgsten Feinden," il ne s'y passeroit rien. On dit que les Pilotes" craignent au dernier point ces mers pacifiques," ou l'on ne peut naviger, &qu'ils veulent du vent," au hazard d'avoir des tempetes. Les passions" sont chez les hommes les vents qui sont neces-" saires pour mettre tout en mouvement, quoi-" qu'ils causent souvent des orages(16).
Der Endzweck aller menschlichen Handlungen ist Ehre, Vortheil und Lust. Wenn der Mensch ohne Ehrgeitz, Geldgeitz, und Wollust wäre, so
würde
(16)Fontenelle, Dialognes des morts p. 141.
(o)
lich werden wollen, iſt im hoͤchſten Grad laͤcherlich Sie ſagen, man koͤnne nicht fuͤglicher und eher zur Gemuͤhts-Ruhe, oder zu einer beſtaͤndigen Zufrie- denheit gelangen, als wenn man ſich bemuͤhe, ſeine Begierden einzuſchraͤncken, und zu daͤmpfen. Aber koͤmmt dieſer Vorſchlag wohl viel kluger heraus, als wenn ich einem, der Kopf-Schmertzen hat, ra- then wollte, er ſolle ſich den Kopf abhauen laſſen? Und koͤnnte man wohl beſſer von der Schaͤdlichkeit der Vernunft uͤberfuͤhret werden, als wenn man ſiehet, was ſie vor verzweifelte Lehren giebt?
Jch bitte meine Leſer, ſich mit mir das Elend, und die Verwirrung vorzuſtellen, die nothwendig erfolgen wuͤrden, wenn die Begierden gedaͤmpfet waͤren, und die Vernunft freye Haͤnde haͤtte. Das gantze menſchliche Geſchlecht wuͤrde dadurch in ei- ne Art von Schlafſucht verfallen. Jch geſtehe, es unterbliebe alsdann viel boͤſes: Allein es wuͤrde auch wenig gutes ausgerichtet werden: Weil man gar nichts thun wuͤrde. Si la raiſon dominoit ſur„ la terre, ſagt einer von unſern aͤrgſten Feinden,„ il ne s’y paſſeroit rien. On dit que les Pilotes„ craignent au dernier point ces mers pacifiques,„ où l’on ne peut naviger, &qu’ils veulent du vent,„ au hazard d’avoir des tempêtes. Les paſſions„ ſont chez les hommes les vents qui ſont neces-„ ſaires pour mettre tout en mouvement, quoi-„ qu’ils cauſent ſouvent des orages(16).
Der Endzweck aller menſchlichen Handlungen iſt Ehre, Vortheil und Luſt. Wenn der Menſch ohne Ehrgeitz, Geldgeitz, und Wolluſt waͤre, ſo
wuͤrde
(16)Fontenelle, Dialognes des morts p. 141.
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lich werden wollen, iſt im hoͤchſten Grad laͤcherlich
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Gemuͤhts-Ruhe, oder zu einer beſtaͤndigen Zufrie-
denheit gelangen, als wenn man ſich bemuͤhe, ſeine
Begierden einzuſchraͤncken, und zu daͤmpfen. Aber
koͤmmt dieſer Vorſchlag wohl viel kluger heraus,
als wenn ich einem, der Kopf-Schmertzen hat, ra-
then wollte, er ſolle ſich den Kopf abhauen laſſen?
Und koͤnnte man wohl beſſer von der Schaͤdlichkeit
der Vernunft uͤberfuͤhret werden, als wenn man
ſiehet, was ſie vor verzweifelte Lehren giebt?
Jch bitte meine Leſer, ſich mit mir das Elend,
und die Verwirrung vorzuſtellen, die nothwendig
erfolgen wuͤrden, wenn die Begierden gedaͤmpfet
waͤren, und die Vernunft freye Haͤnde haͤtte. Das
gantze menſchliche Geſchlecht wuͤrde dadurch in ei-
ne Art von Schlafſucht verfallen. Jch geſtehe, es
unterbliebe alsdann viel boͤſes: Allein es wuͤrde
auch wenig gutes ausgerichtet werden: Weil man
gar nichts thun wuͤrde. Si la raiſon dominoit ſur„
la terre, ſagt einer von unſern aͤrgſten Feinden,„
il ne s’y paſſeroit rien. On dit que les Pilotes„
craignent au dernier point ces mers pacifiques,„
où l’on ne peut naviger, &qu’ils veulent du vent,„
au hazard d’avoir des tempêtes. Les paſſions„
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ſaires pour mettre tout en mouvement, quoi-„
qu’ils cauſent ſouvent des orages (16).
Der Endzweck aller menſchlichen Handlungen
iſt Ehre, Vortheil und Luſt. Wenn der Menſch
ohne Ehrgeitz, Geldgeitz, und Wolluſt waͤre, ſo
wuͤrde
(16) Fontenelle, Dialognes des morts p. 141.
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 493. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/585>, abgerufen am 22.11.2024.
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