Welches ein Satz ist, der uns bald dahin bringen wird, daß wir glauben, die Vö- gel hätten im Stande der Unschuld schöne Arien und geistliche Gesänge gepfifen; die Pferde wären wohl zugeritten gewesen, und die Hunde hätten alle Künste, die wir ihnen nun mit Mühe beybringen müssen, mit auf die Welt gebracht. Denn alles dieses ist der Vernunft eben so gemäß, als der buchstäbliche Sinn der Weissagung Jesaias, in welcher Herr Reinbeck ein Bild des Standes der Unschuld findet.
Jch zweifle sehr, daß dieser berühmte Mann lust habe, so weit zu gehen: Allein, da er einmahl voraussetzet, daß die Herr- schaft, welche GOtt dem Menschen über die Thiere gegeben, hauptsächlich das Ver- gnügen desselben zum Endzweck gehabt ha- be; so muß es ihm nicht sauer ankommen, zu glauben, daß die Thiere im Stande der Unschuld von Natur abgerichtet gewesen; Und dieses um so viel mehr, weil sonst nicht abzusehen ist, wie es möglich gewesen, daß sie, wie er davor hält, dem Menschen, auf seinen Winck, und auf sein Wort, willi- gen Gehorsahm geleistet.
Dieser willige Gesorsahm setzet eine Ge- schicklichkeit voraus, welche heutiges Ta-
ges
(o)
Welches ein Satz iſt, der uns bald dahin bringen wird, daß wir glauben, die Voͤ- gel haͤtten im Stande der Unſchuld ſchoͤne Arien und geiſtliche Geſaͤnge gepfifen; die Pferde waͤren wohl zugeritten geweſen, und die Hunde haͤtten alle Kuͤnſte, die wir ihnen nun mit Muͤhe beybringen muͤſſen, mit auf die Welt gebracht. Denn alles dieſes iſt der Vernunft eben ſo gemaͤß, als der buchſtaͤbliche Sinn der Weiſſagung Jeſaias, in welcher Herr Reinbeck ein Bild des Standes der Unſchuld findet.
Jch zweifle ſehr, daß dieſer beruͤhmte Mann luſt habe, ſo weit zu gehen: Allein, da er einmahl vorausſetzet, daß die Herr- ſchaft, welche GOtt dem Menſchen uͤber die Thiere gegeben, hauptſaͤchlich das Ver- gnuͤgen deſſelben zum Endzweck gehabt ha- be; ſo muß es ihm nicht ſauer ankommen, zu glauben, daß die Thiere im Stande der Unſchuld von Natur abgerichtet geweſen; Und dieſes um ſo viel mehr, weil ſonſt nicht abzuſehen iſt, wie es moͤglich geweſen, daß ſie, wie er davor haͤlt, dem Menſchen, auf ſeinen Winck, und auf ſein Wort, willi- gen Gehorſahm geleiſtet.
Dieſer willige Geſorſahm ſetzet eine Ge- ſchicklichkeit voraus, welche heutiges Ta-
ges
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0694"n="602"/><fwplace="top"type="header">(<hirendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>
Welches ein Satz iſt, der uns bald dahin<lb/>
bringen wird, daß wir glauben, die Voͤ-<lb/>
gel haͤtten im Stande der Unſchuld ſchoͤne<lb/>
Arien und geiſtliche Geſaͤnge gepfifen;<lb/>
die Pferde waͤren wohl zugeritten geweſen,<lb/>
und die Hunde haͤtten alle Kuͤnſte, die wir<lb/>
ihnen nun mit Muͤhe beybringen muͤſſen,<lb/>
mit auf die Welt gebracht. Denn alles<lb/>
dieſes iſt der Vernunft eben ſo gemaͤß, als<lb/>
der buchſtaͤbliche Sinn der Weiſſagung<lb/>
Jeſaias, in welcher Herr Reinbeck ein<lb/>
Bild des Standes der Unſchuld findet.</p><lb/><p>Jch zweifle ſehr, daß dieſer beruͤhmte<lb/>
Mann luſt habe, ſo weit zu gehen: Allein,<lb/>
da er einmahl vorausſetzet, daß die Herr-<lb/>ſchaft, welche GOtt dem Menſchen uͤber<lb/>
die Thiere gegeben, hauptſaͤchlich das Ver-<lb/>
gnuͤgen deſſelben zum Endzweck gehabt ha-<lb/>
be; ſo muß es ihm nicht ſauer ankommen,<lb/>
zu glauben, daß die Thiere im Stande der<lb/>
Unſchuld von Natur abgerichtet geweſen;<lb/>
Und dieſes um ſo viel mehr, weil ſonſt nicht<lb/>
abzuſehen iſt, wie es moͤglich geweſen, daß<lb/>ſie, wie er davor haͤlt, dem Menſchen, auf<lb/>ſeinen Winck, und auf ſein Wort, willi-<lb/>
gen Gehorſahm geleiſtet.</p><lb/><p>Dieſer willige Geſorſahm ſetzet eine Ge-<lb/>ſchicklichkeit voraus, welche heutiges Ta-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ges</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[602/0694]
(o)
Welches ein Satz iſt, der uns bald dahin
bringen wird, daß wir glauben, die Voͤ-
gel haͤtten im Stande der Unſchuld ſchoͤne
Arien und geiſtliche Geſaͤnge gepfifen;
die Pferde waͤren wohl zugeritten geweſen,
und die Hunde haͤtten alle Kuͤnſte, die wir
ihnen nun mit Muͤhe beybringen muͤſſen,
mit auf die Welt gebracht. Denn alles
dieſes iſt der Vernunft eben ſo gemaͤß, als
der buchſtaͤbliche Sinn der Weiſſagung
Jeſaias, in welcher Herr Reinbeck ein
Bild des Standes der Unſchuld findet.
Jch zweifle ſehr, daß dieſer beruͤhmte
Mann luſt habe, ſo weit zu gehen: Allein,
da er einmahl vorausſetzet, daß die Herr-
ſchaft, welche GOtt dem Menſchen uͤber
die Thiere gegeben, hauptſaͤchlich das Ver-
gnuͤgen deſſelben zum Endzweck gehabt ha-
be; ſo muß es ihm nicht ſauer ankommen,
zu glauben, daß die Thiere im Stande der
Unſchuld von Natur abgerichtet geweſen;
Und dieſes um ſo viel mehr, weil ſonſt nicht
abzuſehen iſt, wie es moͤglich geweſen, daß
ſie, wie er davor haͤlt, dem Menſchen, auf
ſeinen Winck, und auf ſein Wort, willi-
gen Gehorſahm geleiſtet.
Dieſer willige Geſorſahm ſetzet eine Ge-
ſchicklichkeit voraus, welche heutiges Ta-
ges
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 602. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/694>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.