gebeuget habe, so schreite ich zum Haupt-Wercke und folge dem Hrn. Prof. Manzel auf dem Fusse nach.
Seine Absicht ist, aus der Vernunft zu beweisen, daß die Menschen nicht in dem Zustande leben, in welchem sie von GOtt erschaffen sind. Er setzet zu dem Ende (§. 20.) zum Grunde, "daß GOtt, als das" allervollkommenste Wesen nichts als vollkomme-" ne, ja höchst vollkommene Dinge erschafen können:" und auch, wie aus allen Dingen um, neben, unter" und über uns zu sehen, nichts, als was höchst voll-" kommen, erschafen habe. Da nun der Mensch aber" unter allen erschaffenen Dingen allein in dem größ-" sten Elende und in der erbärmlichsten Unvollkom-" menheit lebet, meint er berechtiget zu seyn, daraus zu" folgern, daß der Mensch seine erste Vollkommenheit" durch einen gewaltsamen Zufall (casu violento)" verlohren habe."
Ew. Hochwohlgeb. sehen, daß ich dieses erste Ar- gument des Hrn. Prof. Manzels so kräftig vortra- ge, als es mir möglich; ob ich mich gleich an seine Worte und die Art seines Vortrages nicht binde. Damit Sie nun die Nichtigkeit desselben desto besser begreifen mögen, will ich einige Anmerckungen darüber machen.
I. Die erste soll diese seyn: Daß es noch eine gros- se Frage ist, ob aus der Vollkommenheit GOttes fol- ge, daß GOtt nur vollkommene Dinge erschafen könne. Jch glaube es nicht. Denn, wenn GOtt et- was schafet, so macht er keine Götter; sondern Creatu- ren Jch dencke nicht, daß der Hr. Prof. dieses leugnen wird. Er muß also auch gestehen, daß einer Creatur nothwendig etwas fehlen muß, von dem, das in der
Gott-
(o)
gebeuget habe, ſo ſchreite ich zum Haupt-Wercke und folge dem Hrn. Prof. Manzel auf dem Fuſſe nach.
Seine Abſicht iſt, aus der Vernunft zu beweiſen, daß die Menſchen nicht in dem Zuſtande leben, in welchem ſie von GOtt erſchaffen ſind. Er ſetzet zu dem Ende (§. 20.) zum Grunde, „daß GOtt, als das„ allervollkommenſte Weſen nichts als vollkomme-„ ne, ja hoͤchſt vollkommene Dinge erſchafen koͤnnen:„ und auch, wie aus allen Dingen um, neben, unter„ und uͤber uns zu ſehen, nichts, als was hoͤchſt voll-„ kommen, erſchafen habe. Da nun der Menſch aber„ unter allen erſchaffenen Dingen allein in dem groͤß-„ ſten Elende und in der erbaͤrmlichſten Unvollkom-„ menheit lebet, meint er berechtiget zu ſeyn, daraus zu„ folgern, daß der Menſch ſeine erſte Vollkommenheit„ durch einen gewaltſamen Zufall (caſu violento)„ verlohren habe.‟
Ew. Hochwohlgeb. ſehen, daß ich dieſes erſte Ar- gument des Hrn. Prof. Manzels ſo kraͤftig vortra- ge, als es mir moͤglich; ob ich mich gleich an ſeine Worte und die Art ſeines Vortrages nicht binde. Damit Sie nun die Nichtigkeit deſſelben deſto beſſer begreifen moͤgen, will ich einige Anmerckungen daruͤber machen.
I. Die erſte ſoll dieſe ſeyn: Daß es noch eine groſ- ſe Frage iſt, ob aus der Vollkommenheit GOttes fol- ge, daß GOtt nur vollkommene Dinge erſchafen koͤnne. Jch glaube es nicht. Denn, wenn GOtt et- was ſchafet, ſo macht er keine Goͤtter; ſondern Creatu- ren Jch dencke nicht, daß der Hr. Prof. dieſes leugnen wird. Er muß alſo auch geſtehen, daß einer Creatur nothwendig etwas fehlen muß, von dem, das in der
Gott-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0727"n="635"/><fwplace="top"type="header">(<hirendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>
gebeuget habe, ſo ſchreite ich zum Haupt-Wercke und<lb/>
folge dem Hrn. Prof. Manzel auf dem Fuſſe nach.</p><lb/><p>Seine Abſicht iſt, aus der Vernunft zu beweiſen,<lb/>
daß die Menſchen nicht in dem Zuſtande leben, in<lb/>
welchem ſie von GOtt erſchaffen ſind. Er ſetzet zu<lb/>
dem Ende (§. 20.) zum Grunde, „daß GOtt, als das„<lb/>
allervollkommenſte Weſen nichts als vollkomme-„<lb/>
ne, ja hoͤchſt vollkommene Dinge erſchafen koͤnnen:„<lb/>
und auch, wie aus allen Dingen um, neben, unter„<lb/>
und uͤber uns zu ſehen, nichts, als was hoͤchſt voll-„<lb/>
kommen, erſchafen habe. Da nun der Menſch aber„<lb/>
unter allen erſchaffenen Dingen allein in dem groͤß-„<lb/>ſten Elende und in der erbaͤrmlichſten Unvollkom-„<lb/>
menheit lebet, meint er berechtiget zu ſeyn, daraus zu„<lb/>
folgern, daß der Menſch ſeine erſte Vollkommenheit„<lb/>
durch einen gewaltſamen Zufall (<hirendition="#aq">caſu violento</hi>)„<lb/>
verlohren habe.‟</p><lb/><p>Ew. Hochwohlgeb. ſehen, daß ich dieſes erſte Ar-<lb/>
gument des Hrn. Prof. Manzels ſo kraͤftig vortra-<lb/>
ge, als es mir moͤglich; ob ich mich gleich an ſeine<lb/>
Worte und die Art ſeines Vortrages nicht binde.<lb/>
Damit Sie nun die Nichtigkeit deſſelben deſto beſſer<lb/>
begreifen moͤgen, will ich einige Anmerckungen<lb/>
daruͤber machen.</p><lb/><p><hirendition="#aq">I.</hi> Die erſte ſoll dieſe ſeyn: Daß es noch eine groſ-<lb/>ſe Frage iſt, ob aus der Vollkommenheit GOttes fol-<lb/>
ge, daß GOtt nur vollkommene Dinge erſchafen<lb/>
koͤnne. Jch glaube es nicht. Denn, wenn GOtt et-<lb/>
was ſchafet, ſo macht er keine Goͤtter; ſondern Creatu-<lb/>
ren Jch dencke nicht, daß der Hr. Prof. dieſes leugnen<lb/>
wird. Er muß alſo auch geſtehen, daß einer Creatur<lb/>
nothwendig etwas fehlen muß, von dem, das in der<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Gott-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[635/0727]
(o)
gebeuget habe, ſo ſchreite ich zum Haupt-Wercke und
folge dem Hrn. Prof. Manzel auf dem Fuſſe nach.
Seine Abſicht iſt, aus der Vernunft zu beweiſen,
daß die Menſchen nicht in dem Zuſtande leben, in
welchem ſie von GOtt erſchaffen ſind. Er ſetzet zu
dem Ende (§. 20.) zum Grunde, „daß GOtt, als das„
allervollkommenſte Weſen nichts als vollkomme-„
ne, ja hoͤchſt vollkommene Dinge erſchafen koͤnnen:„
und auch, wie aus allen Dingen um, neben, unter„
und uͤber uns zu ſehen, nichts, als was hoͤchſt voll-„
kommen, erſchafen habe. Da nun der Menſch aber„
unter allen erſchaffenen Dingen allein in dem groͤß-„
ſten Elende und in der erbaͤrmlichſten Unvollkom-„
menheit lebet, meint er berechtiget zu ſeyn, daraus zu„
folgern, daß der Menſch ſeine erſte Vollkommenheit„
durch einen gewaltſamen Zufall (caſu violento)„
verlohren habe.‟
Ew. Hochwohlgeb. ſehen, daß ich dieſes erſte Ar-
gument des Hrn. Prof. Manzels ſo kraͤftig vortra-
ge, als es mir moͤglich; ob ich mich gleich an ſeine
Worte und die Art ſeines Vortrages nicht binde.
Damit Sie nun die Nichtigkeit deſſelben deſto beſſer
begreifen moͤgen, will ich einige Anmerckungen
daruͤber machen.
I. Die erſte ſoll dieſe ſeyn: Daß es noch eine groſ-
ſe Frage iſt, ob aus der Vollkommenheit GOttes fol-
ge, daß GOtt nur vollkommene Dinge erſchafen
koͤnne. Jch glaube es nicht. Denn, wenn GOtt et-
was ſchafet, ſo macht er keine Goͤtter; ſondern Creatu-
ren Jch dencke nicht, daß der Hr. Prof. dieſes leugnen
wird. Er muß alſo auch geſtehen, daß einer Creatur
nothwendig etwas fehlen muß, von dem, das in der
Gott-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 635. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/727>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.