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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

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gebeuget habe, so schreite ich zum Haupt-Wercke und
folge dem Hrn. Prof. Manzel auf dem Fusse nach.

Seine Absicht ist, aus der Vernunft zu beweisen,
daß die Menschen nicht in dem Zustande leben, in
welchem sie von GOtt erschaffen sind. Er setzet zu
dem Ende (§. 20.) zum Grunde, "daß GOtt, als das"
allervollkommenste Wesen nichts als vollkomme-"
ne, ja höchst vollkommene Dinge erschafen können:"
und auch, wie aus allen Dingen um, neben, unter"
und über uns zu sehen, nichts, als was höchst voll-"
kommen, erschafen habe. Da nun der Mensch aber"
unter allen erschaffenen Dingen allein in dem größ-"
sten Elende und in der erbärmlichsten Unvollkom-"
menheit lebet, meint er berechtiget zu seyn, daraus zu"
folgern, daß der Mensch seine erste Vollkommenheit"
durch einen gewaltsamen Zufall (casu violento)"
verlohren habe."

Ew. Hochwohlgeb. sehen, daß ich dieses erste Ar-
gument des Hrn. Prof. Manzels so kräftig vortra-
ge, als es mir möglich; ob ich mich gleich an seine
Worte und die Art seines Vortrages nicht binde.
Damit Sie nun die Nichtigkeit desselben desto besser
begreifen mögen, will ich einige Anmerckungen
darüber machen.

I. Die erste soll diese seyn: Daß es noch eine gros-
se Frage ist, ob aus der Vollkommenheit GOttes fol-
ge, daß GOtt nur vollkommene Dinge erschafen
könne. Jch glaube es nicht. Denn, wenn GOtt et-
was schafet, so macht er keine Götter; sondern Creatu-
ren Jch dencke nicht, daß der Hr. Prof. dieses leugnen
wird. Er muß also auch gestehen, daß einer Creatur
nothwendig etwas fehlen muß, von dem, das in der

Gott-

(o)
gebeuget habe, ſo ſchreite ich zum Haupt-Wercke und
folge dem Hrn. Prof. Manzel auf dem Fuſſe nach.

Seine Abſicht iſt, aus der Vernunft zu beweiſen,
daß die Menſchen nicht in dem Zuſtande leben, in
welchem ſie von GOtt erſchaffen ſind. Er ſetzet zu
dem Ende (§. 20.) zum Grunde, „daß GOtt, als das„
allervollkommenſte Weſen nichts als vollkomme-„
ne, ja hoͤchſt vollkommene Dinge erſchafen koͤnnen:„
und auch, wie aus allen Dingen um, neben, unter„
und uͤber uns zu ſehen, nichts, als was hoͤchſt voll-„
kommen, erſchafen habe. Da nun der Menſch aber„
unter allen erſchaffenen Dingen allein in dem groͤß-„
ſten Elende und in der erbaͤrmlichſten Unvollkom-„
menheit lebet, meint er berechtiget zu ſeyn, daraus zu„
folgern, daß der Menſch ſeine erſte Vollkommenheit„
durch einen gewaltſamen Zufall (caſu violento)„
verlohren habe.‟

Ew. Hochwohlgeb. ſehen, daß ich dieſes erſte Ar-
gument des Hrn. Prof. Manzels ſo kraͤftig vortra-
ge, als es mir moͤglich; ob ich mich gleich an ſeine
Worte und die Art ſeines Vortrages nicht binde.
Damit Sie nun die Nichtigkeit deſſelben deſto beſſer
begreifen moͤgen, will ich einige Anmerckungen
daruͤber machen.

I. Die erſte ſoll dieſe ſeyn: Daß es noch eine groſ-
ſe Frage iſt, ob aus der Vollkommenheit GOttes fol-
ge, daß GOtt nur vollkommene Dinge erſchafen
koͤnne. Jch glaube es nicht. Denn, wenn GOtt et-
was ſchafet, ſo macht er keine Goͤtter; ſondern Creatu-
ren Jch dencke nicht, daß der Hr. Prof. dieſes leugnen
wird. Er muß alſo auch geſtehen, daß einer Creatur
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[635/0727] (o) gebeuget habe, ſo ſchreite ich zum Haupt-Wercke und folge dem Hrn. Prof. Manzel auf dem Fuſſe nach. Seine Abſicht iſt, aus der Vernunft zu beweiſen, daß die Menſchen nicht in dem Zuſtande leben, in welchem ſie von GOtt erſchaffen ſind. Er ſetzet zu dem Ende (§. 20.) zum Grunde, „daß GOtt, als das„ allervollkommenſte Weſen nichts als vollkomme-„ ne, ja hoͤchſt vollkommene Dinge erſchafen koͤnnen:„ und auch, wie aus allen Dingen um, neben, unter„ und uͤber uns zu ſehen, nichts, als was hoͤchſt voll-„ kommen, erſchafen habe. Da nun der Menſch aber„ unter allen erſchaffenen Dingen allein in dem groͤß-„ ſten Elende und in der erbaͤrmlichſten Unvollkom-„ menheit lebet, meint er berechtiget zu ſeyn, daraus zu„ folgern, daß der Menſch ſeine erſte Vollkommenheit„ durch einen gewaltſamen Zufall (caſu violento)„ verlohren habe.‟ Ew. Hochwohlgeb. ſehen, daß ich dieſes erſte Ar- gument des Hrn. Prof. Manzels ſo kraͤftig vortra- ge, als es mir moͤglich; ob ich mich gleich an ſeine Worte und die Art ſeines Vortrages nicht binde. Damit Sie nun die Nichtigkeit deſſelben deſto beſſer begreifen moͤgen, will ich einige Anmerckungen daruͤber machen. I. Die erſte ſoll dieſe ſeyn: Daß es noch eine groſ- ſe Frage iſt, ob aus der Vollkommenheit GOttes fol- ge, daß GOtt nur vollkommene Dinge erſchafen koͤnne. Jch glaube es nicht. Denn, wenn GOtt et- was ſchafet, ſo macht er keine Goͤtter; ſondern Creatu- ren Jch dencke nicht, daß der Hr. Prof. dieſes leugnen wird. Er muß alſo auch geſtehen, daß einer Creatur nothwendig etwas fehlen muß, von dem, das in der Gott-

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Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 635. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/727>, abgerufen am 22.11.2024.