daß auch die aus diesen Einschränckungen entstehen- de Unvollkommenheit bald grösser, bald kleiner seyn müsse. Sie kan aber nimmer so groß seyn, daß man die Ursache, warum sie vorhanden, ausser der nothwendi- gen Einschränckung, in welcher die Creatur erschaf- fen worden, zu suchen nöthig habe.
III. Hiernechst deucht mich, daß es dem Hrn. Manzel, wenn ich ihm ja die Folge, wieder welche ich bißher gestritten habe, zugeben wolte, schwer, ja unmöglich fallen würde, eine vernünftige Ursache von dem Elende und der Unvollkommenheit des Menschen zu geben, er spricht: Was seinen Ursprung von einem höchst-vollkommenen Wesen hat, das muß selbst höchst vollkommen seyn. Allein, sage ich, der Mensch ist es nicht. Woher kömmt das? Hr. Manzel antwortet: Er hat seine Vollkommenheit durch einen Zufall verlohren. Diese Antwort kan ich nicht vor hinlänglich halten, so lange mir die Möglichkeit dieses Zufalles nicht gezeiget wird. Wenn der Hr. Prof. sich nicht anheischig gemacht hätte, den Stand der Unschuld aus der Vernunft zu beweisen, so könnte er sich nur auf die Schrift berufen, und sagen, der Verlust unserer ursprünglichen Voll- kommenheit müsse möglich seyn, weil wir ihn erlitten. Ab esse ad posse valet consequentia. Allein das darf er nicht thun. Was will er also machen? Die Ver- nunft sagt, daß der Mensch, wenn er höchst vollkom- men erschafen worden, auch höchst vollkommen blei- ben müssen. Denn sie findet weder in dem Men- schen, noch ausser demselben etwas, das eine solche Veränderung, als der Hr. Manzel geschehen zu seyn vorgiebt, hätte verursachen können. Nicht in dem
Men-
(o)
daß auch die aus dieſen Einſchraͤnckungen entſtehen- de Unvollkommenheit bald groͤſſer, bald kleiner ſeyn muͤſſe. Sie kan aber nimmer ſo groß ſeyn, daß man die Urſache, warum ſie vorhanden, auſſer der nothwendi- gen Einſchraͤnckung, in welcher die Creatur erſchaf- fen worden, zu ſuchen noͤthig habe.
III. Hiernechſt deucht mich, daß es dem Hrn. Manzel, wenn ich ihm ja die Folge, wieder welche ich bißher geſtritten habe, zugeben wolte, ſchwer, ja unmoͤglich fallen wuͤrde, eine vernuͤnftige Urſache von dem Elende und der Unvollkommenheit des Menſchen zu geben, er ſpricht: Was ſeinen Urſprung von einem hoͤchſt-vollkommenen Weſen hat, das muß ſelbſt hoͤchſt vollkommen ſeyn. Allein, ſage ich, der Menſch iſt es nicht. Woher koͤmmt das? Hr. Manzel antwortet: Er hat ſeine Vollkommenheit durch einen Zufall verlohren. Dieſe Antwort kan ich nicht vor hinlaͤnglich halten, ſo lange mir die Moͤglichkeit dieſes Zufalles nicht gezeiget wird. Wenn der Hr. Prof. ſich nicht anheiſchig gemacht haͤtte, den Stand der Unſchuld aus der Vernunft zu beweiſen, ſo koͤnnte er ſich nur auf die Schrift berufen, und ſagen, der Verluſt unſerer urſpruͤnglichen Voll- kommenheit muͤſſe moͤglich ſeyn, weil wir ihn erlitten. Ab eſſe ad poſſe valet conſequentia. Allein das darf er nicht thun. Was will er alſo machen? Die Ver- nunft ſagt, daß der Menſch, wenn er hoͤchſt vollkom- men erſchafen worden, auch hoͤchſt vollkommen blei- ben muͤſſen. Denn ſie findet weder in dem Men- ſchen, noch auſſer demſelben etwas, das eine ſolche Veraͤnderung, als der Hr. Manzel geſchehen zu ſeyn vorgiebt, haͤtte verurſachen koͤnnen. Nicht in dem
Men-
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daß auch die aus dieſen Einſchraͤnckungen entſtehen-
de Unvollkommenheit bald groͤſſer, bald kleiner ſeyn
muͤſſe. Sie kan aber nimmer ſo groß ſeyn, daß man die
Urſache, warum ſie vorhanden, auſſer der nothwendi-
gen Einſchraͤnckung, in welcher die Creatur erſchaf-
fen worden, zu ſuchen noͤthig habe.
III. Hiernechſt deucht mich, daß es dem Hrn.
Manzel, wenn ich ihm ja die Folge, wieder welche ich
bißher geſtritten habe, zugeben wolte, ſchwer, ja
unmoͤglich fallen wuͤrde, eine vernuͤnftige Urſache
von dem Elende und der Unvollkommenheit des
Menſchen zu geben, er ſpricht: Was ſeinen Urſprung
von einem hoͤchſt-vollkommenen Weſen hat, das
muß ſelbſt hoͤchſt vollkommen ſeyn. Allein, ſage ich,
der Menſch iſt es nicht. Woher koͤmmt das? Hr.
Manzel antwortet: Er hat ſeine Vollkommenheit
durch einen Zufall verlohren. Dieſe Antwort kan
ich nicht vor hinlaͤnglich halten, ſo lange mir die
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Wenn der Hr. Prof. ſich nicht anheiſchig gemacht
haͤtte, den Stand der Unſchuld aus der Vernunft zu
beweiſen, ſo koͤnnte er ſich nur auf die Schrift berufen,
und ſagen, der Verluſt unſerer urſpruͤnglichen Voll-
kommenheit muͤſſe moͤglich ſeyn, weil wir ihn erlitten.
Ab eſſe ad poſſe valet conſequentia. Allein das darf
er nicht thun. Was will er alſo machen? Die Ver-
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men erſchafen worden, auch hoͤchſt vollkommen blei-
ben muͤſſen. Denn ſie findet weder in dem Men-
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 637. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/729>, abgerufen am 22.11.2024.
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