sen. "Der Mensch spricht er, ist die vortreflichste "Creatur: Er ist aber ietzo das elendeste unter allen "Thieren. Es ist nicht zu glauben, daß dieses von "GOtt also verordnet sey: Folglich muß sich etwas "begeben haben, wodurch der Mensch die ihm aner- "schafene Vortreflichkeit verlohren, und sich den "Zorn seines Schöpfers zugezogen hat.
Jch dencke nicht, daß ich diesem Schlusse etwas von seiner Kraft benommen, ob ich gleich die Worte des Hrn. Prof. nicht behalten habe. Allein, wie sehr ich mich auch bemühet habe, etwas darinne anzu- trefen, das mich bewegen könnte, meine Gedancken zu ändern, so habe ich doch nichts bündiges darinne finden können: Jch bekenne, es läuft wieder die Ver- nunft, daß GOtt dasjenige Geschöpfe, welches das vortreflichste unter allen seyn sollen, zu dem aller größ- sten Elende solte verdammet haben. Aber wer hat uns dann gesagt, daß wir nothwendig das allervor- treflichste Geschöpfe haben seyn sollen? Dieser Satz, auf welchen der Hr. Prof. seinen gantzen Beweiß gründet, hätte verdienet, erwiesen zu werden. So lan- ge das nicht geschiehet, halte ich mich berechtiget, die Einbildung von unserer Vortreflichkeit vor eine Frucht unsers Hochmuths, und folglich vor ein Zei- chen unserer Unvollkommenheit anzusehen.
Die Vernunft saget uns, daß GOtt alle seine Geschöpfe gleich werth halte, und vor sie alle so ge- sorget habe, daß sie, nach dem Maaß einer Creatur, alle glücklich seyn können. Jch finde in dem Menschen nichts, das mich bewegen könnte, zu glauben, GOtt müsse in Ansehung seiner eine Ausnahme machen. Ja, da ich sehe, daß der Mensch, wie der Hr. Man-
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ſen. „Der Menſch ſpricht er, iſt die vortreflichſte „Creatur: Er iſt aber ietzo das elendeſte unter allen „Thieren. Es iſt nicht zu glauben, daß dieſes von „GOtt alſo verordnet ſey: Folglich muß ſich etwas „begeben haben, wodurch der Menſch die ihm aner- „ſchafene Vortreflichkeit verlohren, und ſich den „Zorn ſeines Schoͤpfers zugezogen hat.
Jch dencke nicht, daß ich dieſem Schluſſe etwas von ſeiner Kraft benommen, ob ich gleich die Worte des Hrn. Prof. nicht behalten habe. Allein, wie ſehr ich mich auch bemuͤhet habe, etwas darinne anzu- trefen, das mich bewegen koͤnnte, meine Gedancken zu aͤndern, ſo habe ich doch nichts buͤndiges darinne finden koͤnnen: Jch bekenne, es laͤuft wieder die Ver- nunft, daß GOtt dasjenige Geſchoͤpfe, welches das vortreflichſte unter allen ſeyn ſollen, zu dem aller groͤß- ſten Elende ſolte verdammet haben. Aber wer hat uns dann geſagt, daß wir nothwendig das allervor- treflichſte Geſchoͤpfe haben ſeyn ſollen? Dieſer Satz, auf welchen der Hr. Prof. ſeinen gantzen Beweiß gruͤndet, haͤtte verdienet, erwieſen zu werden. So lan- ge das nicht geſchiehet, halte ich mich berechtiget, die Einbildung von unſerer Vortreflichkeit vor eine Frucht unſers Hochmuths, und folglich vor ein Zei- chen unſerer Unvollkommenheit anzuſehen.
Die Vernunft ſaget uns, daß GOtt alle ſeine Geſchoͤpfe gleich werth halte, und vor ſie alle ſo ge- ſorget habe, daß ſie, nach dem Maaß einer Creatur, alle gluͤcklich ſeyn koͤnnen. Jch finde in dem Menſchen nichts, das mich bewegen koͤnnte, zu glauben, GOtt muͤſſe in Anſehung ſeiner eine Ausnahme machen. Ja, da ich ſehe, daß der Menſch, wie der Hr. Man-
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ſen. „Der Menſch ſpricht er, iſt die vortreflichſte
„Creatur: Er iſt aber ietzo das elendeſte unter allen
„Thieren. Es iſt nicht zu glauben, daß dieſes von
„GOtt alſo verordnet ſey: Folglich muß ſich etwas
„begeben haben, wodurch der Menſch die ihm aner-
„ſchafene Vortreflichkeit verlohren, und ſich den
„Zorn ſeines Schoͤpfers zugezogen hat.
Jch dencke nicht, daß ich dieſem Schluſſe etwas
von ſeiner Kraft benommen, ob ich gleich die Worte
des Hrn. Prof. nicht behalten habe. Allein, wie ſehr
ich mich auch bemuͤhet habe, etwas darinne anzu-
trefen, das mich bewegen koͤnnte, meine Gedancken
zu aͤndern, ſo habe ich doch nichts buͤndiges darinne
finden koͤnnen: Jch bekenne, es laͤuft wieder die Ver-
nunft, daß GOtt dasjenige Geſchoͤpfe, welches das
vortreflichſte unter allen ſeyn ſollen, zu dem aller groͤß-
ſten Elende ſolte verdammet haben. Aber wer hat
uns dann geſagt, daß wir nothwendig das allervor-
treflichſte Geſchoͤpfe haben ſeyn ſollen? Dieſer Satz,
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gruͤndet, haͤtte verdienet, erwieſen zu werden. So lan-
ge das nicht geſchiehet, halte ich mich berechtiget, die
Einbildung von unſerer Vortreflichkeit vor eine
Frucht unſers Hochmuths, und folglich vor ein Zei-
chen unſerer Unvollkommenheit anzuſehen.
Die Vernunft ſaget uns, daß GOtt alle ſeine
Geſchoͤpfe gleich werth halte, und vor ſie alle ſo ge-
ſorget habe, daß ſie, nach dem Maaß einer Creatur,
alle gluͤcklich ſeyn koͤnnen. Jch finde in dem Menſchen
nichts, das mich bewegen koͤnnte, zu glauben, GOtt
muͤſſe in Anſehung ſeiner eine Ausnahme machen.
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 662. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/754>, abgerufen am 21.11.2024.
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