Er war zu dumm dazu, und ein weit närrischer Ge- schöpfe, als jener Phantaste von Argos.
"Qui se credebat miros audire tragoedos. Von diesem sagt doch Horatz noch, daß er sich, bey aller seiner Thorheit, vor Schaden in acht neh- men können.
"Posset qui rupem & puteum vitare paten- tem (32).
Wem diese Vergleichung nicht gefällt, der muß von dem ersten Menschen menschlich reden. Man erweiset ihm wenig Ehre, wann man ihm alle Empfindung von Lust und Schmertzen abspricht: Dieses muß man aber thun so bald man saget, er habe in dem Beyschlaf nicht das geringste Vergnügen geschmecket. Denn ich sehe nicht, was dieses Vergnügen besonders an sich habe, das uns bewegen könnte, dasselbe als eine, dem ersten Menschen unanständige, Sache zu ver- dammen.
Jch weiß wohl, daß diese Lust uns zu thörigten und schädlichen Thaten verleiten kan, und daß es daher nö- thig ist, sich derselben mäßig, und mit Vernunft zu be- dienen, darum aber wird die Empfindung derselben, an sich, nicht böse. Nur das ist eine Thorheit, wenn wir uns durch ihre Süßigkeit verführen lassen entwe- der die Gesetze zu übertreten, oder, durch einen unmäßi- gen Genuß derselben unserer Gesundheit zu schaden. Die gesunde Vernunft lehret einen ieden, daß die Lust, welche mit dem Wercke der Zeugung verbun- den ist, nicht das Haupt-Werck sey, auf welches wir in Verrichtung desselben allein zu sehen haben. Es ist leicht zu erkennen, daß die Fortpflantzung unsers Geschlechts die Ursache sey, warum der
Bey-
(32) Horat. Lib. II. Ep. 2.
(o)
Er war zu dumm dazu, und ein weit naͤrriſcher Ge- ſchoͤpfe, als jener Phantaſte von Argos.
„Qui ſe credebat miros audire tragœdos. Von dieſem ſagt doch Horatz noch, daß er ſich, bey aller ſeiner Thorheit, vor Schaden in acht neh- men koͤnnen.
„Poſſet qui rupem & puteum vitare paten- tem (32).
Wem dieſe Vergleichung nicht gefaͤllt, der muß von dem erſten Menſchen menſchlich reden. Man erweiſet ihm wenig Ehꝛe, wann man ihm alle Empfindung von Luſt und Schmertzen abſpricht: Dieſes muß man aber thun ſo bald man ſaget, er habe in dem Beyſchlaf nicht das geringſte Vergnuͤgen geſchmecket. Denn ich ſehe nicht, was dieſes Vergnuͤgen beſonders an ſich habe, das uns bewegen koͤnnte, daſſelbe als eine, dem erſten Menſchen unanſtaͤndige, Sache zu ver- dammen.
Jch weiß wohl, daß dieſe Luſt uns zu thoͤrigten und ſchaͤdlichen Thaten verleiten kan, und daß es daher noͤ- thig iſt, ſich derſelben maͤßig, und mit Vernunft zu be- dienen, darum aber wird die Empfindung derſelben, an ſich, nicht boͤſe. Nur das iſt eine Thorheit, wenn wir uns durch ihre Suͤßigkeit verfuͤhren laſſen entwe- der die Geſetze zu uͤbertreten, oder, durch einen unmaͤßi- gen Genuß derſelben unſerer Geſundheit zu ſchaden. Die geſunde Vernunft lehret einen ieden, daß die Luſt, welche mit dem Wercke der Zeugung verbun- den iſt, nicht das Haupt-Werck ſey, auf welches wir in Verrichtung deſſelben allein zu ſehen haben. Es iſt leicht zu erkennen, daß die Fortpflantzung unſers Geſchlechts die Urſache ſey, warum der
Bey-
(32) Horat. Lib. II. Ep. 2.
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(o)
Er war zu dumm dazu, und ein weit naͤrriſcher Ge-
ſchoͤpfe, als jener Phantaſte von Argos.
„Qui ſe credebat miros audire tragœdos.
Von dieſem ſagt doch Horatz noch, daß er ſich,
bey aller ſeiner Thorheit, vor Schaden in acht neh-
men koͤnnen.
„Poſſet qui rupem & puteum vitare paten-
tem (32).
Wem dieſe Vergleichung nicht gefaͤllt, der muß von
dem erſten Menſchen menſchlich reden. Man erweiſet
ihm wenig Ehꝛe, wann man ihm alle Empfindung von
Luſt und Schmertzen abſpricht: Dieſes muß man aber
thun ſo bald man ſaget, er habe in dem Beyſchlaf
nicht das geringſte Vergnuͤgen geſchmecket. Denn
ich ſehe nicht, was dieſes Vergnuͤgen beſonders an ſich
habe, das uns bewegen koͤnnte, daſſelbe als eine,
dem erſten Menſchen unanſtaͤndige, Sache zu ver-
dammen.
Jch weiß wohl, daß dieſe Luſt uns zu thoͤrigten und
ſchaͤdlichen Thaten verleiten kan, und daß es daher noͤ-
thig iſt, ſich derſelben maͤßig, und mit Vernunft zu be-
dienen, darum aber wird die Empfindung derſelben,
an ſich, nicht boͤſe. Nur das iſt eine Thorheit, wenn
wir uns durch ihre Suͤßigkeit verfuͤhren laſſen entwe-
der die Geſetze zu uͤbertreten, oder, durch einen unmaͤßi-
gen Genuß derſelben unſerer Geſundheit zu ſchaden.
Die geſunde Vernunft lehret einen ieden, daß die
Luſt, welche mit dem Wercke der Zeugung verbun-
den iſt, nicht das Haupt-Werck ſey, auf welches
wir in Verrichtung deſſelben allein zu ſehen haben.
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 751. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/843>, abgerufen am 22.11.2024.
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