List, Friedrich: Das deutsche National-Transport-System in volks- und staatswirthschaftlicher Beziehung. Altona u. a., 1838.Weise Staatsregierungen haben daher in neuerer Zeit keinen Anstand genommen, zum Behuf der Vervollkommnung der Transportmittel enorme Summen zu verwenden und dieselben vermittelst Anleihen aufzubringen. England, das in jeder andern volks- und staatswirthschaftlichen Verbesserung den übrigen Staaten als Muster vorleuchtet, hatte jedoch in dieser Beziehung nur geringe Veranlassung, mit gutem Beispiel voranzugehen. England fand nämlich in dem Reichthume und Unternehmungsgeiste seiner Bürger und in der Größe des bereits bestehenden Transports zureichende Mittel, um die größten Unternehmungen dieser Art der Privat-Industrie überlassen zu können; es durfte, wie z. B. bei der Eisenbahn von Dublin nach Valencia, nur da mit den Staatskräften nachhelfen, wo der zu erwartende Gewinn nicht so groß war, als der zu erwartende Nutzen für das Gemeinwesen. In Frankreich dagegen fehlte einerseits der Reichthum und der Unternehmungsgeist der Privaten, anderseits ein großartiger Transport. Um hier große Canal-Unternehmungen durch Privatkräfte zu Stande zu bringen, hätte man warten müssen, bis sie nach und nach erstarkt wären; diese Erstarkung hätte sich aber ohne ein vollkommenes Transportsystem nur sehr langsam realisirt. Wäre also der Staat der Unzulänglichkeit der Privatkräfte nicht zu Hülfe gekommen, so hätte man Jahrhunderte auf die Vortheile desselben Verzicht leisten müssen. Der Staat handelte daher sehr weise, daß er die Herstellung der nöthigsten Canäle entweder auf eigene Rechnung unternahm oder die privaten durch Garantie von besonderen Vortheilen und Prämien dazu aufmunterte, und daß er zu diesem Behufe, mit Inbegriff aller Flußschifffahrtsverbesserungen, seine öffentliche Schuld um mehr als 1000 Millionen Franken vermehrte. Das französische Canalsystem ist indessen noch sehr unvollkommen, da die ganze Länge desselben nicht über 998 Lieues beträgt, während es im Vergleich mit Alt-England, das wir überall als Muster aufstellen müssen, ungefähr 4000 Lieues besitzen sollte. In Nordamerika fehlte es nicht an Unternehmungsgeist, aber mit den Kosten und der Ausdehnung der Verbesserungen, die sich allen einzelnen Staaten als nützlich und nothwendig darstellten, standen die Capitale der Privaten nicht im Verhältniß. Die zu erwartenden unermeßlichen Vortheile und der blühende Zustand seiner Finanzen bewogen den Staat von Neu-York zuerst, ein großes Werk dieser Art auf Rechnung des Gemeinwesens zu unternehmen. Der glückliche Erfolg dieses Unternehmens feuerte zunächst den Staat Pennsylvanien zur Nacheiferung an. Die Erfahrung von Neu-York hatte aber zu klar an den Tag gestellt, wie durch ein ganzes System der Nutzen jedes einzelnen Gliedes der Kette gesteigert werden müsse, als daß Pennsylvanien sich nicht hätte angespornt fühlen sollen, noch höher zu streben. Hier entstand also zuerst die Idee eines vollständigen Transportsystems auf Rechnung des Staats, in so weit die einzelnen Theile desselben nicht von Privatcompagnien übernommen werden würden, und mit solcher Weise Staatsregierungen haben daher in neuerer Zeit keinen Anstand genommen, zum Behuf der Vervollkommnung der Transportmittel enorme Summen zu verwenden und dieselben vermittelst Anleihen aufzubringen. England, das in jeder andern volks- und staatswirthschaftlichen Verbesserung den übrigen Staaten als Muster vorleuchtet, hatte jedoch in dieser Beziehung nur geringe Veranlassung, mit gutem Beispiel voranzugehen. England fand nämlich in dem Reichthume und Unternehmungsgeiste seiner Bürger und in der Größe des bereits bestehenden Transports zureichende Mittel, um die größten Unternehmungen dieser Art der Privat-Industrie überlassen zu können; es durfte, wie z. B. bei der Eisenbahn von Dublin nach Valencia, nur da mit den Staatskräften nachhelfen, wo der zu erwartende Gewinn nicht so groß war, als der zu erwartende Nutzen für das Gemeinwesen. In Frankreich dagegen fehlte einerseits der Reichthum und der Unternehmungsgeist der Privaten, anderseits ein großartiger Transport. Um hier große Canal-Unternehmungen durch Privatkräfte zu Stande zu bringen, hätte man warten müssen, bis sie nach und nach erstarkt wären; diese Erstarkung hätte sich aber ohne ein vollkommenes Transportsystem nur sehr langsam realisirt. Wäre also der Staat der Unzulänglichkeit der Privatkräfte nicht zu Hülfe gekommen, so hätte man Jahrhunderte auf die Vortheile desselben Verzicht leisten müssen. Der Staat handelte daher sehr weise, daß er die Herstellung der nöthigsten Canäle entweder auf eigene Rechnung unternahm oder die privaten durch Garantie von besonderen Vortheilen und Prämien dazu aufmunterte, und daß er zu diesem Behufe, mit Inbegriff aller Flußschifffahrtsverbesserungen, seine öffentliche Schuld um mehr als 1000 Millionen Franken vermehrte. Das französische Canalsystem ist indessen noch sehr unvollkommen, da die ganze Länge desselben nicht über 998 Lieues beträgt, während es im Vergleich mit Alt-England, das wir überall als Muster aufstellen müssen, ungefähr 4000 Lieues besitzen sollte. In Nordamerika fehlte es nicht an Unternehmungsgeist, aber mit den Kosten und der Ausdehnung der Verbesserungen, die sich allen einzelnen Staaten als nützlich und nothwendig darstellten, standen die Capitale der Privaten nicht im Verhältniß. Die zu erwartenden unermeßlichen Vortheile und der blühende Zustand seiner Finanzen bewogen den Staat von Neu-York zuerst, ein großes Werk dieser Art auf Rechnung des Gemeinwesens zu unternehmen. Der glückliche Erfolg dieses Unternehmens feuerte zunächst den Staat Pennsylvanien zur Nacheiferung an. Die Erfahrung von Neu-York hatte aber zu klar an den Tag gestellt, wie durch ein ganzes System der Nutzen jedes einzelnen Gliedes der Kette gesteigert werden müsse, als daß Pennsylvanien sich nicht hätte angespornt fühlen sollen, noch höher zu streben. 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Der Staat handelte daher sehr weise, daß er die Herstellung der nöthigsten Canäle entweder auf eigene Rechnung unternahm oder die privaten durch Garantie von besonderen Vortheilen und Prämien dazu aufmunterte, und daß er zu diesem Behufe, mit Inbegriff aller Flußschifffahrtsverbesserungen, seine öffentliche Schuld um mehr als 1000 Millionen Franken vermehrte. Das französische Canalsystem ist indessen noch sehr unvollkommen, da die ganze Länge desselben nicht über 998 Lieues beträgt, während es im Vergleich mit Alt-England, das wir überall als Muster aufstellen müssen, ungefähr 4000 Lieues besitzen sollte.</p> <p>In <hi rendition="#g">Nordamerika</hi> fehlte es nicht an Unternehmungsgeist, aber mit den Kosten und der Ausdehnung der Verbesserungen, die sich allen einzelnen Staaten als nützlich und nothwendig darstellten, standen die Capitale der Privaten nicht im Verhältniß. 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Weise Staatsregierungen haben daher in neuerer Zeit keinen Anstand genommen, zum Behuf der Vervollkommnung der Transportmittel enorme Summen zu verwenden und dieselben vermittelst Anleihen aufzubringen. England, das in jeder andern volks- und staatswirthschaftlichen Verbesserung den übrigen Staaten als Muster vorleuchtet, hatte jedoch in dieser Beziehung nur geringe Veranlassung, mit gutem Beispiel voranzugehen. England fand nämlich in dem Reichthume und Unternehmungsgeiste seiner Bürger und in der Größe des bereits bestehenden Transports zureichende Mittel, um die größten Unternehmungen dieser Art der Privat-Industrie überlassen zu können; es durfte, wie z. B. bei der Eisenbahn von Dublin nach Valencia, nur da mit den Staatskräften nachhelfen, wo der zu erwartende Gewinn nicht so groß war, als der zu erwartende Nutzen für das Gemeinwesen. In Frankreich dagegen fehlte einerseits der Reichthum und der Unternehmungsgeist der Privaten, anderseits ein großartiger Transport. Um hier große Canal-Unternehmungen durch Privatkräfte zu Stande zu bringen, hätte man warten müssen, bis sie nach und nach erstarkt wären; diese Erstarkung hätte sich aber ohne ein vollkommenes Transportsystem nur sehr langsam realisirt. Wäre also der Staat der Unzulänglichkeit der Privatkräfte nicht zu Hülfe gekommen, so hätte man Jahrhunderte auf die Vortheile desselben Verzicht leisten müssen. Der Staat handelte daher sehr weise, daß er die Herstellung der nöthigsten Canäle entweder auf eigene Rechnung unternahm oder die privaten durch Garantie von besonderen Vortheilen und Prämien dazu aufmunterte, und daß er zu diesem Behufe, mit Inbegriff aller Flußschifffahrtsverbesserungen, seine öffentliche Schuld um mehr als 1000 Millionen Franken vermehrte. Das französische Canalsystem ist indessen noch sehr unvollkommen, da die ganze Länge desselben nicht über 998 Lieues beträgt, während es im Vergleich mit Alt-England, das wir überall als Muster aufstellen müssen, ungefähr 4000 Lieues besitzen sollte.
In Nordamerika fehlte es nicht an Unternehmungsgeist, aber mit den Kosten und der Ausdehnung der Verbesserungen, die sich allen einzelnen Staaten als nützlich und nothwendig darstellten, standen die Capitale der Privaten nicht im Verhältniß. Die zu erwartenden unermeßlichen Vortheile und der blühende Zustand seiner Finanzen bewogen den Staat von Neu-York zuerst, ein großes Werk dieser Art auf Rechnung des Gemeinwesens zu unternehmen. Der glückliche Erfolg dieses Unternehmens feuerte zunächst den Staat Pennsylvanien zur Nacheiferung an. Die Erfahrung von Neu-York hatte aber zu klar an den Tag gestellt, wie durch ein ganzes System der Nutzen jedes einzelnen Gliedes der Kette gesteigert werden müsse, als daß Pennsylvanien sich nicht hätte angespornt fühlen sollen, noch höher zu streben. Hier entstand also zuerst die Idee eines vollständigen Transportsystems auf Rechnung des Staats, in so weit die einzelnen Theile desselben nicht von Privatcompagnien übernommen werden würden, und mit solcher
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