Die strafrechtlichen Nebengesetze heranzuziehen, ist für ein noch so kurz gefaßtes Lehrbuch des Reichsstrafrechtes einfach unerläßlich. Freilich stehe ich mit dieser Ansicht ziemlich allein da; aber ich halte ihre Richtigkeit für so unbestreitbar, daß ich ihre Begründung mit Beruhigung dem unausbleib- lichen Entwickelungsgang unserer Wissenschaft überlasse.
Die Entscheidungen des Reichsgerichtes sind bis in die letzten Tage des Druckes eingehend berücksichtigt worden. Nicht nur deßhalb, weil diese Rücksichtnahme die praktische Brauchbarkeit des Buches erhöht; sondern darum, weil der innere Wert der Reichsgerichts-Entscheidungen es verlangt. Der höchste deutsche Gerichtshof hat gethan, was die meisten seiner partikulären Vorgänger zu thun sich scheuten: er ist herangetreten, so oft Gelegenheit sich bot, an die von den Theoretikern aufgeworfenen Fragen; er hat Stellung ge- nommen zu ihnen und ihre Lösung versucht. Und das ist ein Verdienst, das nicht hoch genug angeschlagen werden kann. Dabei bleibt der Theorie das Recht der Kritik; ich habe dem Reichsgericht gegenüber oft von demselben Gebrauch gemacht, und wollte gerade deßhalb die eben ausgesprochene Bemerkung nicht unterdrücken.
Noch manche Eigentümlichkeit des "Lehrbuchs", das in den wichtigsten Fragen statt der Begründung Resultate geben muß, würde der Rechtfertigung bedürfen.
Der Raum eines Vorwortes gestattet es nicht. Möge das Wohlwollen der Leser die Kürze und Lückenhaftigkeit der Darstellung erläutern und ergänzen.
Gießen, November 1880.
Liszt.
Vorwort.
Die ſtrafrechtlichen Nebengeſetze heranzuziehen, iſt für ein noch ſo kurz gefaßtes Lehrbuch des Reichsſtrafrechtes einfach unerläßlich. Freilich ſtehe ich mit dieſer Anſicht ziemlich allein da; aber ich halte ihre Richtigkeit für ſo unbeſtreitbar, daß ich ihre Begründung mit Beruhigung dem unausbleib- lichen Entwickelungsgang unſerer Wiſſenſchaft überlaſſe.
Die Entſcheidungen des Reichsgerichtes ſind bis in die letzten Tage des Druckes eingehend berückſichtigt worden. Nicht nur deßhalb, weil dieſe Rückſichtnahme die praktiſche Brauchbarkeit des Buches erhöht; ſondern darum, weil der innere Wert der Reichsgerichts-Entſcheidungen es verlangt. Der höchſte deutſche Gerichtshof hat gethan, was die meiſten ſeiner partikulären Vorgänger zu thun ſich ſcheuten: er iſt herangetreten, ſo oft Gelegenheit ſich bot, an die von den Theoretikern aufgeworfenen Fragen; er hat Stellung ge- nommen zu ihnen und ihre Löſung verſucht. Und das iſt ein Verdienſt, das nicht hoch genug angeſchlagen werden kann. Dabei bleibt der Theorie das Recht der Kritik; ich habe dem Reichsgericht gegenüber oft von demſelben Gebrauch gemacht, und wollte gerade deßhalb die eben ausgeſprochene Bemerkung nicht unterdrücken.
Noch manche Eigentümlichkeit des „Lehrbuchs“, das in den wichtigſten Fragen ſtatt der Begründung Reſultate geben muß, würde der Rechtfertigung bedürfen.
Der Raum eines Vorwortes geſtattet es nicht. Möge das Wohlwollen der Leſer die Kürze und Lückenhaftigkeit der Darſtellung erläutern und ergänzen.
Gießen, November 1880.
Liszt.
<TEI><text><front><divn="1"><pbfacs="#f0010"n="VI"/><fwplace="top"type="header">Vorwort.</fw><lb/><p>Die ſtrafrechtlichen Nebengeſetze heranzuziehen, iſt für<lb/>
ein noch ſo kurz gefaßtes Lehrbuch des Reichsſtrafrechtes<lb/>
einfach unerläßlich. Freilich ſtehe ich mit dieſer Anſicht ziemlich<lb/>
allein da; aber ich halte ihre Richtigkeit für ſo unbeſtreitbar,<lb/>
daß ich ihre Begründung mit Beruhigung dem unausbleib-<lb/>
lichen Entwickelungsgang unſerer Wiſſenſchaft überlaſſe.</p><lb/><p>Die Entſcheidungen des Reichsgerichtes ſind bis in die<lb/>
letzten Tage des Druckes eingehend berückſichtigt worden.<lb/>
Nicht nur deßhalb, weil dieſe Rückſichtnahme die praktiſche<lb/>
Brauchbarkeit des Buches erhöht; ſondern darum, weil der<lb/>
innere Wert der Reichsgerichts-Entſcheidungen es verlangt.<lb/>
Der höchſte deutſche Gerichtshof hat gethan, was die meiſten<lb/>ſeiner partikulären Vorgänger zu thun ſich ſcheuten: er iſt<lb/>
herangetreten, ſo oft Gelegenheit ſich bot, an die von den<lb/>
Theoretikern aufgeworfenen Fragen; er hat Stellung ge-<lb/>
nommen zu ihnen und ihre Löſung verſucht. Und das iſt<lb/>
ein Verdienſt, das nicht hoch genug angeſchlagen werden kann.<lb/>
Dabei bleibt der Theorie das Recht der Kritik; ich habe<lb/>
dem Reichsgericht gegenüber oft von demſelben Gebrauch<lb/>
gemacht, und wollte gerade deßhalb die eben ausgeſprochene<lb/>
Bemerkung nicht unterdrücken.</p><lb/><p>Noch manche Eigentümlichkeit des „Lehrbuchs“, das<lb/>
in den wichtigſten Fragen ſtatt der Begründung Reſultate<lb/>
geben muß, würde der Rechtfertigung bedürfen.</p><lb/><p>Der Raum eines Vorwortes geſtattet es nicht. Möge<lb/>
das Wohlwollen der Leſer die Kürze und Lückenhaftigkeit der<lb/>
Darſtellung erläutern und ergänzen.</p><lb/><p><hirendition="#g">Gießen</hi>, November 1880.</p><lb/><p><hirendition="#et">Liszt.</hi></p></div><lb/></front></text></TEI>
[VI/0010]
Vorwort.
Die ſtrafrechtlichen Nebengeſetze heranzuziehen, iſt für
ein noch ſo kurz gefaßtes Lehrbuch des Reichsſtrafrechtes
einfach unerläßlich. Freilich ſtehe ich mit dieſer Anſicht ziemlich
allein da; aber ich halte ihre Richtigkeit für ſo unbeſtreitbar,
daß ich ihre Begründung mit Beruhigung dem unausbleib-
lichen Entwickelungsgang unſerer Wiſſenſchaft überlaſſe.
Die Entſcheidungen des Reichsgerichtes ſind bis in die
letzten Tage des Druckes eingehend berückſichtigt worden.
Nicht nur deßhalb, weil dieſe Rückſichtnahme die praktiſche
Brauchbarkeit des Buches erhöht; ſondern darum, weil der
innere Wert der Reichsgerichts-Entſcheidungen es verlangt.
Der höchſte deutſche Gerichtshof hat gethan, was die meiſten
ſeiner partikulären Vorgänger zu thun ſich ſcheuten: er iſt
herangetreten, ſo oft Gelegenheit ſich bot, an die von den
Theoretikern aufgeworfenen Fragen; er hat Stellung ge-
nommen zu ihnen und ihre Löſung verſucht. Und das iſt
ein Verdienſt, das nicht hoch genug angeſchlagen werden kann.
Dabei bleibt der Theorie das Recht der Kritik; ich habe
dem Reichsgericht gegenüber oft von demſelben Gebrauch
gemacht, und wollte gerade deßhalb die eben ausgeſprochene
Bemerkung nicht unterdrücken.
Noch manche Eigentümlichkeit des „Lehrbuchs“, das
in den wichtigſten Fragen ſtatt der Begründung Reſultate
geben muß, würde der Rechtfertigung bedürfen.
Der Raum eines Vorwortes geſtattet es nicht. Möge
das Wohlwollen der Leſer die Kürze und Lückenhaftigkeit der
Darſtellung erläutern und ergänzen.
Gießen, November 1880.
Liszt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. VI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/10>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.