Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.Die sogenannten Unterlassungsdelikte. §. 21. dern ein Andershandeln.3 Man kann nie sagen: er hatunterlassen, sondern immer nur: er hat dies oder jenes unterlassen. Damit ist der Charakter der Unterlassungen als positiver Handlungen, die wie alle anderen kausal sein können, nachgewiesen. Und nur die eine Frage erhebt sich: warum bezeichnen wir als Juristen gerade ein gewisses Andershandeln nach seiner negativen Seite? Die Antwort lantet: weil wir gerade ein bestimmtes Thun erwartet haben. Zu dieser Erwartung sind wir aber nur dann be- rechtigt, wenn der zu Beurteilende zu jenem bestimmten Thun verpflichtet war. Somit lautet die Frage: Wann tritt die Verpflichtung zu einem bestimmten posi- tiven Thun ein? Die Existenz dieser Pflicht macht die "Unterlassung" nicht erst kausal, sondern strafbar, macht sie nicht erst zur Handlung, sondern berechtigt uns, das Anders- handeln nur von seiner negativen Seite ins Auge zu fassen. 1. Bei den durch Strafdrohung sanktionirten Geboten 2. Bei den negativen pönalisirten Imperativen, den Ver- 3 [Spaltenumbruch]
Vgl. Luden Abhandlgn. II S. 221; v. Bar Kausal- zusammenhang S. 97. Zu dem- selben Resultate gelangt übrigens[Spaltenumbruch] Binding selbst (Normen II S. 447 ff.) bezüglich der sogen. echten Unterlassungsdelikte. von Liszt, Strafrecht. 6
Die ſogenannten Unterlaſſungsdelikte. §. 21. dern ein Andershandeln.3 Man kann nie ſagen: er hatunterlaſſen, ſondern immer nur: er hat dies oder jenes unterlaſſen. Damit iſt der Charakter der Unterlaſſungen als poſitiver Handlungen, die wie alle anderen kauſal ſein können, nachgewieſen. Und nur die eine Frage erhebt ſich: warum bezeichnen wir als Juriſten gerade ein gewiſſes Andershandeln nach ſeiner negativen Seite? Die Antwort lantet: weil wir gerade ein beſtimmtes Thun erwartet haben. Zu dieſer Erwartung ſind wir aber nur dann be- rechtigt, wenn der zu Beurteilende zu jenem beſtimmten Thun verpflichtet war. Somit lautet die Frage: Wann tritt die Verpflichtung zu einem beſtimmten poſi- tiven Thun ein? Die Exiſtenz dieſer Pflicht macht die „Unterlaſſung“ nicht erſt kauſal, ſondern ſtrafbar, macht ſie nicht erſt zur Handlung, ſondern berechtigt uns, das Anders- handeln nur von ſeiner negativen Seite ins Auge zu faſſen. 1. Bei den durch Strafdrohung ſanktionirten Geboten 2. Bei den negativen pönaliſirten Imperativen, den Ver- 3 [Spaltenumbruch]
Vgl. Luden Abhandlgn. II S. 221; v. Bar Kauſal- zuſammenhang S. 97. Zu dem- ſelben Reſultate gelangt übrigens[Spaltenumbruch] Binding ſelbſt (Normen II S. 447 ff.) bezüglich der ſogen. echten Unterlaſſungsdelikte. von Liszt, Strafrecht. 6
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Die ſogenannten Unterlaſſungsdelikte. §. 21.
dern ein Andershandeln. 3 Man kann nie ſagen: er hat
unterlaſſen, ſondern immer nur: er hat dies oder jenes
unterlaſſen. Damit iſt der Charakter der Unterlaſſungen
als poſitiver Handlungen, die wie alle anderen kauſal
ſein können, nachgewieſen. Und nur die eine Frage erhebt
ſich: warum bezeichnen wir als Juriſten gerade ein gewiſſes
Andershandeln nach ſeiner negativen Seite? Die Antwort
lantet: weil wir gerade ein beſtimmtes Thun erwartet
haben. Zu dieſer Erwartung ſind wir aber nur dann be-
rechtigt, wenn der zu Beurteilende zu jenem beſtimmten
Thun verpflichtet war. Somit lautet die Frage: Wann
tritt die Verpflichtung zu einem beſtimmten poſi-
tiven Thun ein? Die Exiſtenz dieſer Pflicht macht die
„Unterlaſſung“ nicht erſt kauſal, ſondern ſtrafbar, macht ſie
nicht erſt zur Handlung, ſondern berechtigt uns, das Anders-
handeln nur von ſeiner negativen Seite ins Auge zu faſſen.
1. Bei den durch Strafdrohung ſanktionirten Geboten
des Rechts entſteht die Pflicht, eine beſtimmte Handlung vor-
zunehmen, unmittelbar durch die Gebote ſelbſt. Man
nennt die Uebertretungen dieſer Gebote echte Unterlaſſungs-
oder Omiſſivdelikte.
2. Bei den negativen pönaliſirten Imperativen, den Ver-
boten, muß dagegen die Pflicht zu einem beſtimmten kon-
kreten Thun anderweitig begründet ſein. Nur durch dieſen
Umſtand, nicht aber in ſeiner inneren Struktur unterſcheidet
ſich das ſog. unechte Unterlaſſungsdelikt, das delictum per
3
Vgl. Luden Abhandlgn.
II S. 221; v. Bar Kauſal-
zuſammenhang S. 97. Zu dem-
ſelben Reſultate gelangt übrigens
Binding ſelbſt (Normen II
S. 447 ff.) bezüglich der ſogen.
echten Unterlaſſungsdelikte.
von Liszt, Strafrecht. 6
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