Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.Erstes Buch. VIII. Verbrechens-Einheit u. -Mehrheit. schöpfend berücksichtigt. In Ermangelung besonderer gesetz-licher Anordnung bleibt uns hier ein einziger Ausweg: wir wenden jenen Verbrechensthatbestand an, dessen Strafe durch ihre größere Schwere uns die Be- rücksichtigung des konkreten Falles, wenn auch nicht vollständig, so doch annäherungsweise ge- stattet. So ist die Notzucht an der eigenen Tochter, die sowohl unter §. 173, als unter §. 177 StGB. fallen würde, nach dem letzteren Paragraphen zu bestrafen. Diese subsidiäre Aushülfsregel und nicht mehr spricht §. 73 StGB. aus: Wenn eine und dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze ver- letzt, so kommt nur dasjenige Gesetz, welches die schwerste Strafe, und bei ungleichen Strafarten dasjenige Gesetz, welches die schwerste Strafart androht, zur Anwendung. Man spricht in diesen Fällen von "idealer Konkurrenz Hier wie dort paßt dieselbe eine Handlung unter mehrere Erſtes Buch. VIII. Verbrechens-Einheit u. -Mehrheit. ſchöpfend berückſichtigt. In Ermangelung beſonderer geſetz-licher Anordnung bleibt uns hier ein einziger Ausweg: wir wenden jenen Verbrechensthatbeſtand an, deſſen Strafe durch ihre größere Schwere uns die Be- rückſichtigung des konkreten Falles, wenn auch nicht vollſtändig, ſo doch annäherungsweiſe ge- ſtattet. So iſt die Notzucht an der eigenen Tochter, die ſowohl unter §. 173, als unter §. 177 StGB. fallen würde, nach dem letzteren Paragraphen zu beſtrafen. Dieſe ſubſidiäre Aushülfsregel und nicht mehr ſpricht §. 73 StGB. aus: Wenn eine und dieſelbe Handlung mehrere Strafgeſetze ver- letzt, ſo kommt nur dasjenige Geſetz, welches die ſchwerſte Strafe, und bei ungleichen Strafarten dasjenige Geſetz, welches die ſchwerſte Strafart androht, zur Anwendung. Man ſpricht in dieſen Fällen von „idealer Konkurrenz Hier wie dort paßt dieſelbe eine Handlung unter mehrere <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0192" n="166"/><fw place="top" type="header">Erſtes Buch. <hi rendition="#aq">VIII.</hi> Verbrechens-Einheit u. -Mehrheit.</fw><lb/> ſchöpfend berückſichtigt. In Ermangelung beſonderer geſetz-<lb/> licher Anordnung bleibt uns hier ein einziger Ausweg: <hi rendition="#g">wir<lb/> wenden jenen Verbrechensthatbeſtand an, deſſen<lb/> Strafe durch ihre größere Schwere uns die Be-<lb/> rückſichtigung des konkreten Falles, wenn auch<lb/> nicht vollſtändig, ſo doch annäherungsweiſe ge-<lb/> ſtattet</hi>. So iſt die Notzucht an der eigenen Tochter, die<lb/> ſowohl unter §. 173, als unter §. 177 StGB. fallen würde,<lb/> nach dem letzteren Paragraphen zu beſtrafen. Dieſe ſubſidiäre<lb/> Aushülfsregel und nicht mehr ſpricht §. 73 StGB. aus:<lb/> Wenn eine und dieſelbe Handlung mehrere Strafgeſetze ver-<lb/> letzt, ſo kommt nur dasjenige Geſetz, welches die ſchwerſte<lb/> Strafe, und bei ungleichen Strafarten dasjenige Geſetz,<lb/> welches die ſchwerſte Strafart androht, zur Anwendung.</p><lb/> <p>Man ſpricht in dieſen Fällen von „idealer <hi rendition="#g">Konkurrenz<lb/> der Verbrechen</hi>“, in den unter <hi rendition="#aq">II</hi> erörterten Fällen da-<lb/> gegen von „<hi rendition="#g">Geſetzeskonkurrenz</hi>“. Es iſt gegen dieſen<lb/> Sprachgebrauch ſo lange nichts einzuwenden, als es ſich eben<lb/> nur um eine Auseinanderhaltung der beiden Gruppen, nicht<lb/> aber um die Betonung eines — in Wahrheit gar nicht<lb/> exiſtierenden — <hi rendition="#g">begrifflichen</hi> Gegenſatzes zwiſchen ihnen<lb/> handelt.</p><lb/> <p>Hier wie dort paßt dieſelbe eine Handlung unter mehrere<lb/> Strafgeſetze, und hier wie dort können wir nur eines von<lb/> ihnen zur Anwendung bringen. Der Unterſchied liegt nur<lb/> darin, daß wir dort (<hi rendition="#aq">ad II</hi>) im Geſetze einen ſicheren An-<lb/> haltspunkt zu ſachgemäßer Entſcheidung haben, während hier<lb/> jeder andere Anhaltspunkt als der rein äußerliche: Schwere<lb/> der angedrohten Strafe, fehlt. Für den Richter ergiebt ſich<lb/> in dem letzteren Falle die Notwendigkeit, urteilsmäßig feſt-<lb/> zuſtellen — eventuell durch Befragung der Geſchworenen —<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [166/0192]
Erſtes Buch. VIII. Verbrechens-Einheit u. -Mehrheit.
ſchöpfend berückſichtigt. In Ermangelung beſonderer geſetz-
licher Anordnung bleibt uns hier ein einziger Ausweg: wir
wenden jenen Verbrechensthatbeſtand an, deſſen
Strafe durch ihre größere Schwere uns die Be-
rückſichtigung des konkreten Falles, wenn auch
nicht vollſtändig, ſo doch annäherungsweiſe ge-
ſtattet. So iſt die Notzucht an der eigenen Tochter, die
ſowohl unter §. 173, als unter §. 177 StGB. fallen würde,
nach dem letzteren Paragraphen zu beſtrafen. Dieſe ſubſidiäre
Aushülfsregel und nicht mehr ſpricht §. 73 StGB. aus:
Wenn eine und dieſelbe Handlung mehrere Strafgeſetze ver-
letzt, ſo kommt nur dasjenige Geſetz, welches die ſchwerſte
Strafe, und bei ungleichen Strafarten dasjenige Geſetz,
welches die ſchwerſte Strafart androht, zur Anwendung.
Man ſpricht in dieſen Fällen von „idealer Konkurrenz
der Verbrechen“, in den unter II erörterten Fällen da-
gegen von „Geſetzeskonkurrenz“. Es iſt gegen dieſen
Sprachgebrauch ſo lange nichts einzuwenden, als es ſich eben
nur um eine Auseinanderhaltung der beiden Gruppen, nicht
aber um die Betonung eines — in Wahrheit gar nicht
exiſtierenden — begrifflichen Gegenſatzes zwiſchen ihnen
handelt.
Hier wie dort paßt dieſelbe eine Handlung unter mehrere
Strafgeſetze, und hier wie dort können wir nur eines von
ihnen zur Anwendung bringen. Der Unterſchied liegt nur
darin, daß wir dort (ad II) im Geſetze einen ſicheren An-
haltspunkt zu ſachgemäßer Entſcheidung haben, während hier
jeder andere Anhaltspunkt als der rein äußerliche: Schwere
der angedrohten Strafe, fehlt. Für den Richter ergiebt ſich
in dem letzteren Falle die Notwendigkeit, urteilsmäßig feſt-
zuſtellen — eventuell durch Befragung der Geſchworenen —
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