2. Der Todesstrafe haften die meisten jener Eigen- schaften an, die ein zweckentsprechendes Strafmittel nicht besitzen soll. Sie paralysiert ihre abschreckende und sichernde Wirkung durch das Mitleid für den Hingerichteten, das sie in den Massen, durch das ästhetische. Mißbehagen, das sie in den Gebildeten wachruft; sie vernichtet eine Existenz, die vielleicht noch den Zwecken der Gemeinschaft hätte dienstbar gemacht werden können; sie steht ohne jede Vermittlung neben den übrigen Strafmitteln, von welchen es keinen Ueber- gang zu ihr giebt; sie zwingt zu absoluten Strafdrohungen und verwandelt das Begnadigungsrecht der Krone in ein Hinrichtungsrecht. Auch ist es falsch, daß ihre abschreckende und sichernde Wirkung auf anderem Wege nicht erreicht werden könnte. Aber heute, wo der Freiheitsstrafe diese abschreckende und sichernde Wirkung gänzlich abhanden ge- kommen ist, muß die Todesstrafe als unentbehrlich be- zeichnet werden. Die Reform des Gefängniswesens -- nicht im Sinne der heute tonangebenden Reformatoren -- wird auch die Frage der Todesstrafe zur befriedigenden Lösung bringen.
3. Die Vermögensstrafe ist teilbar und dehnbar, paßt sich den übrigen Strafmitteln leicht an, hält die Trieb- feder zu einer Reihe von Verbrechensarten nieder; gestattet aber keine irgendwie ins Gewicht fallenden Modifikationen des Strafvollzuges. Sie ist daher trefflich geeignet, eine zweite Rolle im Strafensysteme zu spielen, und besonders als Nebenstrafe von großem Werte; darf aber auch nicht zu mehr, als zur zweiten Rolle berufen werden.
4. Große Gefahren birgt die Ehrenstrafe. Auch in ihren mildesten Formen nimmt sie der gesunkenen ethischen Persönlichkeit den letzten Halt. Ausschluß jeder immer
Zweites Buch. II. Die Strafmittel.
2. Der Todesſtrafe haften die meiſten jener Eigen- ſchaften an, die ein zweckentſprechendes Strafmittel nicht beſitzen ſoll. Sie paralyſiert ihre abſchreckende und ſichernde Wirkung durch das Mitleid für den Hingerichteten, das ſie in den Maſſen, durch das äſthetiſche. Mißbehagen, das ſie in den Gebildeten wachruft; ſie vernichtet eine Exiſtenz, die vielleicht noch den Zwecken der Gemeinſchaft hätte dienſtbar gemacht werden können; ſie ſteht ohne jede Vermittlung neben den übrigen Strafmitteln, von welchen es keinen Ueber- gang zu ihr giebt; ſie zwingt zu abſoluten Strafdrohungen und verwandelt das Begnadigungsrecht der Krone in ein Hinrichtungsrecht. Auch iſt es falſch, daß ihre abſchreckende und ſichernde Wirkung auf anderem Wege nicht erreicht werden könnte. Aber heute, wo der Freiheitsſtrafe dieſe abſchreckende und ſichernde Wirkung gänzlich abhanden ge- kommen iſt, muß die Todesſtrafe als unentbehrlich be- zeichnet werden. Die Reform des Gefängnisweſens — nicht im Sinne der heute tonangebenden Reformatoren — wird auch die Frage der Todesſtrafe zur befriedigenden Löſung bringen.
3. Die Vermögensſtrafe iſt teilbar und dehnbar, paßt ſich den übrigen Strafmitteln leicht an, hält die Trieb- feder zu einer Reihe von Verbrechensarten nieder; geſtattet aber keine irgendwie ins Gewicht fallenden Modifikationen des Strafvollzuges. Sie iſt daher trefflich geeignet, eine zweite Rolle im Strafenſyſteme zu ſpielen, und beſonders als Nebenſtrafe von großem Werte; darf aber auch nicht zu mehr, als zur zweiten Rolle berufen werden.
4. Große Gefahren birgt die Ehrenſtrafe. Auch in ihren mildeſten Formen nimmt ſie der geſunkenen ethiſchen Perſönlichkeit den letzten Halt. Ausſchluß jeder immer
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0206"n="180"/><fwplace="top"type="header">Zweites Buch. <hirendition="#aq">II.</hi> Die Strafmittel.</fw><lb/><p>2. Der <hirendition="#g">Todesſtrafe</hi> haften die meiſten jener Eigen-<lb/>ſchaften an, die ein zweckentſprechendes Strafmittel <hirendition="#g">nicht</hi><lb/>
beſitzen ſoll. Sie paralyſiert ihre abſchreckende und ſichernde<lb/>
Wirkung durch das Mitleid für den Hingerichteten, das ſie<lb/>
in den Maſſen, durch das äſthetiſche. Mißbehagen, das ſie<lb/>
in den Gebildeten wachruft; ſie vernichtet eine Exiſtenz, die<lb/>
vielleicht noch den Zwecken der Gemeinſchaft hätte dienſtbar<lb/>
gemacht werden können; ſie ſteht ohne jede Vermittlung<lb/>
neben den übrigen Strafmitteln, von welchen es keinen Ueber-<lb/>
gang zu ihr giebt; ſie zwingt zu abſoluten Strafdrohungen<lb/>
und verwandelt das Begnadigungsrecht der Krone in ein<lb/>
Hinrichtungsrecht. Auch iſt es falſch, daß ihre abſchreckende<lb/>
und ſichernde Wirkung auf anderem Wege nicht erreicht<lb/>
werden könnte. Aber heute, wo der Freiheitsſtrafe dieſe<lb/>
abſchreckende und ſichernde Wirkung gänzlich abhanden ge-<lb/>
kommen iſt, muß die Todesſtrafe als <hirendition="#g">unentbehrlich</hi> be-<lb/>
zeichnet werden. Die Reform des Gefängnisweſens —<hirendition="#g">nicht</hi><lb/>
im Sinne der heute tonangebenden Reformatoren — wird<lb/>
auch die Frage der Todesſtrafe zur befriedigenden Löſung<lb/>
bringen.</p><lb/><p>3. Die <hirendition="#g">Vermögensſtrafe</hi> iſt teilbar und dehnbar,<lb/>
paßt ſich den übrigen Strafmitteln leicht an, hält die Trieb-<lb/>
feder zu einer Reihe von Verbrechensarten nieder; geſtattet<lb/>
aber keine irgendwie ins Gewicht fallenden Modifikationen<lb/>
des Strafvollzuges. Sie iſt daher trefflich geeignet, eine<lb/><hirendition="#g">zweite</hi> Rolle im Strafenſyſteme zu ſpielen, und beſonders<lb/>
als Nebenſtrafe von großem Werte; darf aber auch nicht<lb/>
zu <hirendition="#g">mehr</hi>, als zur zweiten Rolle berufen werden.</p><lb/><p>4. Große Gefahren birgt die <hirendition="#g">Ehrenſtrafe</hi>. Auch in<lb/>
ihren mildeſten Formen nimmt ſie der geſunkenen ethiſchen<lb/>
Perſönlichkeit den letzten Halt. Ausſchluß jeder immer<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[180/0206]
Zweites Buch. II. Die Strafmittel.
2. Der Todesſtrafe haften die meiſten jener Eigen-
ſchaften an, die ein zweckentſprechendes Strafmittel nicht
beſitzen ſoll. Sie paralyſiert ihre abſchreckende und ſichernde
Wirkung durch das Mitleid für den Hingerichteten, das ſie
in den Maſſen, durch das äſthetiſche. Mißbehagen, das ſie
in den Gebildeten wachruft; ſie vernichtet eine Exiſtenz, die
vielleicht noch den Zwecken der Gemeinſchaft hätte dienſtbar
gemacht werden können; ſie ſteht ohne jede Vermittlung
neben den übrigen Strafmitteln, von welchen es keinen Ueber-
gang zu ihr giebt; ſie zwingt zu abſoluten Strafdrohungen
und verwandelt das Begnadigungsrecht der Krone in ein
Hinrichtungsrecht. Auch iſt es falſch, daß ihre abſchreckende
und ſichernde Wirkung auf anderem Wege nicht erreicht
werden könnte. Aber heute, wo der Freiheitsſtrafe dieſe
abſchreckende und ſichernde Wirkung gänzlich abhanden ge-
kommen iſt, muß die Todesſtrafe als unentbehrlich be-
zeichnet werden. Die Reform des Gefängnisweſens — nicht
im Sinne der heute tonangebenden Reformatoren — wird
auch die Frage der Todesſtrafe zur befriedigenden Löſung
bringen.
3. Die Vermögensſtrafe iſt teilbar und dehnbar,
paßt ſich den übrigen Strafmitteln leicht an, hält die Trieb-
feder zu einer Reihe von Verbrechensarten nieder; geſtattet
aber keine irgendwie ins Gewicht fallenden Modifikationen
des Strafvollzuges. Sie iſt daher trefflich geeignet, eine
zweite Rolle im Strafenſyſteme zu ſpielen, und beſonders
als Nebenſtrafe von großem Werte; darf aber auch nicht
zu mehr, als zur zweiten Rolle berufen werden.
4. Große Gefahren birgt die Ehrenſtrafe. Auch in
ihren mildeſten Formen nimmt ſie der geſunkenen ethiſchen
Perſönlichkeit den letzten Halt. Ausſchluß jeder immer
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/206>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.