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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Die Untreue. §. 71.
springende Ansprüche. Sie gehört darum zweifelsohne
zu den Delikten gegen das Vermögen, wenn wir dieses
als die Gesammtheit der dinglichen und persönlichen An-
sprüche auffassen. Daß die in Frage stehenden Ansprüche
der Abschätzung in Geld nicht immer zugänglich sind, ist kein
Grund gegen die Richtigkeit der systematischen Stellung, die
wir hier der Untreue gegeben haben.

Aber nicht alle obligatorischen Ansprüche sind der Ver-
letzung durch Untreue fähig, sondern nur jene, welche auf
gewissenhafte Geschäftsführung oder überhaupt
auf gewissenhafte Wahrnehmung fremder Inter-
essen gehen
.

Somit gewinnen wir den Begriff: Untreue ist die Ver-
letzung der aus Verträgen oder vertragsähnlichen
Verhältnissen entspringenden Pflicht zur Wahr-
nehmung anvertrauter fremder Interessen
.

II. Das Gesetz bestraft die Untreue in folgenden Fällen.

1. Untreue im engeren Sinne (StGB. §. 266). Ge-
fängnis mit fakultativer Aberkennung der bürgerlichen Ehren-
rechte trifft:

a) Vormünder, Kuratoren, Güterpfleger, Sequester, Massen-
verwalter, Vollstrecker letztwilliger Verfügungen und Ver-
walter von Stiftungen, wenn sie absichtlich (Absicht
gleich Vorsatz,2 nicht gleich Motiv; oben §. 28 III) zum
Nachteile der ihnen anvertrauten Personen oder Sachen
handeln.
b) Bevollmächtigte, welche über Forderungen oder andere
Vermögensstücke des Auftraggebers absichtlich zum Nach-
teile desselben verfügen.
2 [Spaltenumbruch] Vgl. RGR. 28. Januar
1880, E I 172, R I 287;[Spaltenumbruch] 23. März 1880, E I 329;
2. Juli 1880, R II 155.

Die Untreue. §. 71.
ſpringende Anſprüche. Sie gehört darum zweifelsohne
zu den Delikten gegen das Vermögen, wenn wir dieſes
als die Geſammtheit der dinglichen und perſönlichen An-
ſprüche auffaſſen. Daß die in Frage ſtehenden Anſprüche
der Abſchätzung in Geld nicht immer zugänglich ſind, iſt kein
Grund gegen die Richtigkeit der ſyſtematiſchen Stellung, die
wir hier der Untreue gegeben haben.

Aber nicht alle obligatoriſchen Anſprüche ſind der Ver-
letzung durch Untreue fähig, ſondern nur jene, welche auf
gewiſſenhafte Geſchäftsführung oder überhaupt
auf gewiſſenhafte Wahrnehmung fremder Inter-
eſſen gehen
.

Somit gewinnen wir den Begriff: Untreue iſt die Ver-
letzung der aus Verträgen oder vertragsähnlichen
Verhältniſſen entſpringenden Pflicht zur Wahr-
nehmung anvertrauter fremder Intereſſen
.

II. Das Geſetz beſtraft die Untreue in folgenden Fällen.

1. Untreue im engeren Sinne (StGB. §. 266). Ge-
fängnis mit fakultativer Aberkennung der bürgerlichen Ehren-
rechte trifft:

a) Vormünder, Kuratoren, Güterpfleger, Sequeſter, Maſſen-
verwalter, Vollſtrecker letztwilliger Verfügungen und Ver-
walter von Stiftungen, wenn ſie abſichtlich (Abſicht
gleich Vorſatz,2 nicht gleich Motiv; oben §. 28 III) zum
Nachteile der ihnen anvertrauten Perſonen oder Sachen
handeln.
b) Bevollmächtigte, welche über Forderungen oder andere
Vermögensſtücke des Auftraggebers abſichtlich zum Nach-
teile deſſelben verfügen.
2 [Spaltenumbruch] Vgl. RGR. 28. Januar
1880, E I 172, R I 287;[Spaltenumbruch] 23. März 1880, E I 329;
2. Juli 1880, R II 155.
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[285/0311] Die Untreue. §. 71. ſpringende Anſprüche. Sie gehört darum zweifelsohne zu den Delikten gegen das Vermögen, wenn wir dieſes als die Geſammtheit der dinglichen und perſönlichen An- ſprüche auffaſſen. Daß die in Frage ſtehenden Anſprüche der Abſchätzung in Geld nicht immer zugänglich ſind, iſt kein Grund gegen die Richtigkeit der ſyſtematiſchen Stellung, die wir hier der Untreue gegeben haben. Aber nicht alle obligatoriſchen Anſprüche ſind der Ver- letzung durch Untreue fähig, ſondern nur jene, welche auf gewiſſenhafte Geſchäftsführung oder überhaupt auf gewiſſenhafte Wahrnehmung fremder Inter- eſſen gehen. Somit gewinnen wir den Begriff: Untreue iſt die Ver- letzung der aus Verträgen oder vertragsähnlichen Verhältniſſen entſpringenden Pflicht zur Wahr- nehmung anvertrauter fremder Intereſſen. II. Das Geſetz beſtraft die Untreue in folgenden Fällen. 1. Untreue im engeren Sinne (StGB. §. 266). Ge- fängnis mit fakultativer Aberkennung der bürgerlichen Ehren- rechte trifft: a) Vormünder, Kuratoren, Güterpfleger, Sequeſter, Maſſen- verwalter, Vollſtrecker letztwilliger Verfügungen und Ver- walter von Stiftungen, wenn ſie abſichtlich (Abſicht gleich Vorſatz, 2 nicht gleich Motiv; oben §. 28 III) zum Nachteile der ihnen anvertrauten Perſonen oder Sachen handeln. b) Bevollmächtigte, welche über Forderungen oder andere Vermögensſtücke des Auftraggebers abſichtlich zum Nach- teile deſſelben verfügen. 2 Vgl. RGR. 28. Januar 1880, E I 172, R I 287; 23. März 1880, E I 329; 2. Juli 1880, R II 155.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/311>, abgerufen am 24.11.2024.