Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 2. Die Quellen des Völkerrechts.
§ 24 III). Doch führt die Entwicklung dazu, Handlungen der Höf-
lichkeit allmählich zu Rechtspflichten zu gestalten (so bei der Rechts-
hilfe, insbesondere der Auslieferung).

Die thatsächliche Rechtsübung tritt uns entgegen:

a) In dem friedlichen und kriegerischen Verkehr der Staaten,
insbesondere auch in dem Inhalt der zwischen den einzelnen
Staaten geschlossenen Verträge, auch wenn diese nicht, wie
in den berühmten "drei Washingtoner Regeln" des englisch-
amerikanischen Alabama-Vertrages vom 8. Mai 1871, all-
gemeine, für das künftige Verhalten der Staaten bindende
Normen enthalten;
b) in den Entscheidungen der internationalen Gerichte (ins-
besondere der Schiedsgerichte);
c) in der nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung, insoweit
deren inhaltliche Übereinstimmung in den verschiedenen Staaten
die Gemeinsamkeit der Rechtsüberzeugung erkennen lässt.
(Die "Parallelgesetzgebung der Staaten" nach Stoerk.)
Beispiele: Das italienische Garantiegesetz vom 13. Mai 1871

über die Rechtsstellung des Papstes (unten § 6 I); §§ 18--21
des deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes (unten §§ 14, 15); die
Auslieferungsgesetze verschiedener Staaten.

2. Die ausdrückliche Rechtsatzung finden wir:

a) In den Beschlüssen der internationalen Konferenzen und Kon-
gresse (Pariser Kongress 1856, Berliner Kongress 1878);
b) in den Verträgen zwischen verschiedenen Staatengruppen,
durch welche allgemeine Rechtsregeln aufgestellt werden (so
die Wiener Kongressakte vom 9. Juni 1815 über die inter-
nationalen Ströme (unten § 27); die Genfer Konvention von
1864 (unten §§ 27, 41 II);
c) in den sog. Unionen (Staatenvereinen oder internationalen Ver-
waltungsgemeinschaften), durch welche bleibende Interessen-
gemeinschaften gebildet werden (die Unionen zum Schutz
der Urheberrechte u. s. w. (unten § 17);

§ 2. Die Quellen des Völkerrechts.
§ 24 III). Doch führt die Entwicklung dazu, Handlungen der Höf-
lichkeit allmählich zu Rechtspflichten zu gestalten (so bei der Rechts-
hilfe, insbesondere der Auslieferung).

Die thatsächliche Rechtsübung tritt uns entgegen:

a) In dem friedlichen und kriegerischen Verkehr der Staaten,
insbesondere auch in dem Inhalt der zwischen den einzelnen
Staaten geschlossenen Verträge, auch wenn diese nicht, wie
in den berühmten „drei Washingtoner Regeln“ des englisch-
amerikanischen Alabama-Vertrages vom 8. Mai 1871, all-
gemeine, für das künftige Verhalten der Staaten bindende
Normen enthalten;
b) in den Entscheidungen der internationalen Gerichte (ins-
besondere der Schiedsgerichte);
c) in der nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung, insoweit
deren inhaltliche Übereinstimmung in den verschiedenen Staaten
die Gemeinsamkeit der Rechtsüberzeugung erkennen läſst.
(Die „Parallelgesetzgebung der Staaten“ nach Stoerk.)
Beispiele: Das italienische Garantiegesetz vom 13. Mai 1871

über die Rechtsstellung des Papstes (unten § 6 I); §§ 18—21
des deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes (unten §§ 14, 15); die
Auslieferungsgesetze verschiedener Staaten.

2. Die ausdrückliche Rechtsatzung finden wir:

a) In den Beschlüssen der internationalen Konferenzen und Kon-
gresse (Pariser Kongreſs 1856, Berliner Kongreſs 1878);
b) in den Verträgen zwischen verschiedenen Staatengruppen,
durch welche allgemeine Rechtsregeln aufgestellt werden (so
die Wiener Kongreſsakte vom 9. Juni 1815 über die inter-
nationalen Ströme (unten § 27); die Genfer Konvention von
1864 (unten §§ 27, 41 II);
c) in den sog. Unionen (Staatenvereinen oder internationalen Ver-
waltungsgemeinschaften), durch welche bleibende Interessen-
gemeinschaften gebildet werden (die Unionen zum Schutz
der Urheberrechte u. s. w. (unten § 17);

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0029" n="7"/><fw place="top" type="header">§ 2. Die Quellen des Völkerrechts.</fw><lb/>
§ 24 III). Doch führt die Entwicklung dazu, Handlungen der Höf-<lb/>
lichkeit allmählich zu Rechtspflichten zu gestalten (so bei der Rechts-<lb/>
hilfe, insbesondere der Auslieferung).</p><lb/>
            <p>Die thatsächliche Rechtsübung tritt uns entgegen:</p><lb/>
            <list>
              <item>a) In dem friedlichen und kriegerischen Verkehr der Staaten,<lb/>
insbesondere auch in dem Inhalt der zwischen den einzelnen<lb/>
Staaten geschlossenen Verträge, auch wenn diese nicht, wie<lb/>
in den berühmten &#x201E;drei Washingtoner Regeln&#x201C; des englisch-<lb/>
amerikanischen Alabama-Vertrages vom 8. Mai 1871, all-<lb/>
gemeine, für das künftige Verhalten der Staaten bindende<lb/>
Normen enthalten;</item><lb/>
              <item>b) in den Entscheidungen der internationalen Gerichte (ins-<lb/>
besondere der Schiedsgerichte);</item><lb/>
              <item>c) in der nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung, insoweit<lb/>
deren inhaltliche Übereinstimmung in den verschiedenen Staaten<lb/>
die Gemeinsamkeit der Rechtsüberzeugung erkennen lä&#x017F;st.<lb/>
(Die &#x201E;Parallelgesetzgebung der Staaten&#x201C; nach <hi rendition="#g">Stoerk</hi>.)<lb/>
Beispiele: Das italienische Garantiegesetz vom 13. Mai 1871</item>
            </list><lb/>
            <p>über die Rechtsstellung des Papstes (unten § 6 I); §§ 18&#x2014;21<lb/>
des deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes (unten §§ 14, 15); die<lb/>
Auslieferungsgesetze verschiedener Staaten.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#b">2. Die ausdrückliche Rechtsatzung</hi> finden wir:</p><lb/>
            <list>
              <item>a) In den Beschlüssen der internationalen Konferenzen und Kon-<lb/>
gresse (Pariser Kongre&#x017F;s 1856, Berliner Kongre&#x017F;s 1878);</item><lb/>
              <item>b) in den Verträgen zwischen verschiedenen Staatengruppen,<lb/>
durch welche allgemeine Rechtsregeln aufgestellt werden (so<lb/>
die Wiener Kongre&#x017F;sakte vom 9. Juni 1815 über die inter-<lb/>
nationalen Ströme (unten § 27); die Genfer Konvention von<lb/>
1864 (unten §§ 27, 41 II);</item><lb/>
              <item>c) in den sog. Unionen (Staatenvereinen oder internationalen Ver-<lb/>
waltungsgemeinschaften), durch welche bleibende Interessen-<lb/>
gemeinschaften gebildet werden (die Unionen zum Schutz<lb/>
der Urheberrechte u. s. w. (unten § 17);</item>
            </list><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0029] § 2. Die Quellen des Völkerrechts. § 24 III). Doch führt die Entwicklung dazu, Handlungen der Höf- lichkeit allmählich zu Rechtspflichten zu gestalten (so bei der Rechts- hilfe, insbesondere der Auslieferung). Die thatsächliche Rechtsübung tritt uns entgegen: a) In dem friedlichen und kriegerischen Verkehr der Staaten, insbesondere auch in dem Inhalt der zwischen den einzelnen Staaten geschlossenen Verträge, auch wenn diese nicht, wie in den berühmten „drei Washingtoner Regeln“ des englisch- amerikanischen Alabama-Vertrages vom 8. Mai 1871, all- gemeine, für das künftige Verhalten der Staaten bindende Normen enthalten; b) in den Entscheidungen der internationalen Gerichte (ins- besondere der Schiedsgerichte); c) in der nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung, insoweit deren inhaltliche Übereinstimmung in den verschiedenen Staaten die Gemeinsamkeit der Rechtsüberzeugung erkennen läſst. (Die „Parallelgesetzgebung der Staaten“ nach Stoerk.) Beispiele: Das italienische Garantiegesetz vom 13. Mai 1871 über die Rechtsstellung des Papstes (unten § 6 I); §§ 18—21 des deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes (unten §§ 14, 15); die Auslieferungsgesetze verschiedener Staaten. 2. Die ausdrückliche Rechtsatzung finden wir: a) In den Beschlüssen der internationalen Konferenzen und Kon- gresse (Pariser Kongreſs 1856, Berliner Kongreſs 1878); b) in den Verträgen zwischen verschiedenen Staatengruppen, durch welche allgemeine Rechtsregeln aufgestellt werden (so die Wiener Kongreſsakte vom 9. Juni 1815 über die inter- nationalen Ströme (unten § 27); die Genfer Konvention von 1864 (unten §§ 27, 41 II); c) in den sog. Unionen (Staatenvereinen oder internationalen Ver- waltungsgemeinschaften), durch welche bleibende Interessen- gemeinschaften gebildet werden (die Unionen zum Schutz der Urheberrechte u. s. w. (unten § 17);

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/29
Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/29>, abgerufen am 03.12.2024.