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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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Einleitung.
religiös-ethischen Anschauung schuf, doch nicht ausreichend für die
Entstehung des Völkerrechts, so lange die römisch-deutschen Kaiser
und im Wettbewerb mit ihnen die römisch-katholische Kirche nach
der Herrschaft über die gesamte Christenheit strebten. Es hat lediglich
geschichtliches Interesse, den ersten Anfängen eines Völkerrechts in
jenen Jahrhunderten des Altertums und des Mittelalters nachzuspüren.

2. Das Völkerrecht konnte daher erst entstehen, als sich mit
dem Ausgang des Mittelalters die grossen und selbständigen christ-
lichen Staatswesen Europas (Österreich, Spanien, Frankreich, Eng-
land, der skandinavische Norden) bildeten und entwickelten. Die
Entdeckung der überseeischen Welt schuf zugleich eine bis dahin
ungeahnte Fülle gemeinsamer Interessen, während das Vordringen
der türkischen Herrschaft (1453 Eroberung von Byzanz) in den
europäischen Staaten trotz aller Eifersucht das Gefühl der Zusammen-
gehörigkeit stärkte.

3. In diese Zeit fällt die Entstehung und die erste Blütezeit
der völkerrechtlichen Wissenschaft.

Schon die Postglossatoren hatten einzelne Fragen des Völker-
rechts (neben der dem internationalen Privatrecht angehörigen Lehre
von der Statutenkollision) behandelt. Ihnen folgten die kirchen-
rechtlichen Schriftsteller, die sich mit besonderer Vorliebe der Be-
sprechung des Kriegsrechts widmeten. Die Handelsbeziehungen zu
den Ländern des fernen Ostens veranlassten verschiedene Aufzeich-
nungen des Seegewohnheitsrechts, unter welchen das Consolato
del mar
(aus dem Ende des 13. Jahrhunderts stammend) als der
angesehenste coutumier die weiteste Verbreitung fand. Unter den
Schriftstellern des 16. Jahrhunderts verdienen, nach da Vittoria
(+ 1546) und Belli (+ 1575), Albericus Gentilis (+ 1602, Haupt-
werk: De jure belli libri tres 1598) und der spanische Theologe
Suarez hervorgehoben zu werden.

Vgl. Thamm, Alb. Gentilis und seine Bedeutung für das Völkerrecht.
Würzb. Diss. 1896.

Aber der Einfluss der wissenschaftlichen Litteratur des Völker-
rechts auf den thatsächlichen Staatenverkehr knüpft doch eigentlich

Einleitung.
religiös-ethischen Anschauung schuf, doch nicht ausreichend für die
Entstehung des Völkerrechts, so lange die römisch-deutschen Kaiser
und im Wettbewerb mit ihnen die römisch-katholische Kirche nach
der Herrschaft über die gesamte Christenheit strebten. Es hat lediglich
geschichtliches Interesse, den ersten Anfängen eines Völkerrechts in
jenen Jahrhunderten des Altertums und des Mittelalters nachzuspüren.

2. Das Völkerrecht konnte daher erst entstehen, als sich mit
dem Ausgang des Mittelalters die groſsen und selbständigen christ-
lichen Staatswesen Europas (Österreich, Spanien, Frankreich, Eng-
land, der skandinavische Norden) bildeten und entwickelten. Die
Entdeckung der überseeischen Welt schuf zugleich eine bis dahin
ungeahnte Fülle gemeinsamer Interessen, während das Vordringen
der türkischen Herrschaft (1453 Eroberung von Byzanz) in den
europäischen Staaten trotz aller Eifersucht das Gefühl der Zusammen-
gehörigkeit stärkte.

3. In diese Zeit fällt die Entstehung und die erste Blütezeit
der völkerrechtlichen Wissenschaft.

Schon die Postglossatoren hatten einzelne Fragen des Völker-
rechts (neben der dem internationalen Privatrecht angehörigen Lehre
von der Statutenkollision) behandelt. Ihnen folgten die kirchen-
rechtlichen Schriftsteller, die sich mit besonderer Vorliebe der Be-
sprechung des Kriegsrechts widmeten. Die Handelsbeziehungen zu
den Ländern des fernen Ostens veranlaſsten verschiedene Aufzeich-
nungen des Seegewohnheitsrechts, unter welchen das Consolato
del mar
(aus dem Ende des 13. Jahrhunderts stammend) als der
angesehenste coutumier die weiteste Verbreitung fand. Unter den
Schriftstellern des 16. Jahrhunderts verdienen, nach da Vittoria
(† 1546) und Belli († 1575), Albericus Gentilis († 1602, Haupt-
werk: De jure belli libri tres 1598) und der spanische Theologe
Suarez hervorgehoben zu werden.

Vgl. Thamm, Alb. Gentilis und seine Bedeutung für das Völkerrecht.
Würzb. Diss. 1896.

Aber der Einfluſs der wissenschaftlichen Litteratur des Völker-
rechts auf den thatsächlichen Staatenverkehr knüpft doch eigentlich

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[10/0032] Einleitung. religiös-ethischen Anschauung schuf, doch nicht ausreichend für die Entstehung des Völkerrechts, so lange die römisch-deutschen Kaiser und im Wettbewerb mit ihnen die römisch-katholische Kirche nach der Herrschaft über die gesamte Christenheit strebten. Es hat lediglich geschichtliches Interesse, den ersten Anfängen eines Völkerrechts in jenen Jahrhunderten des Altertums und des Mittelalters nachzuspüren. 2. Das Völkerrecht konnte daher erst entstehen, als sich mit dem Ausgang des Mittelalters die groſsen und selbständigen christ- lichen Staatswesen Europas (Österreich, Spanien, Frankreich, Eng- land, der skandinavische Norden) bildeten und entwickelten. Die Entdeckung der überseeischen Welt schuf zugleich eine bis dahin ungeahnte Fülle gemeinsamer Interessen, während das Vordringen der türkischen Herrschaft (1453 Eroberung von Byzanz) in den europäischen Staaten trotz aller Eifersucht das Gefühl der Zusammen- gehörigkeit stärkte. 3. In diese Zeit fällt die Entstehung und die erste Blütezeit der völkerrechtlichen Wissenschaft. Schon die Postglossatoren hatten einzelne Fragen des Völker- rechts (neben der dem internationalen Privatrecht angehörigen Lehre von der Statutenkollision) behandelt. Ihnen folgten die kirchen- rechtlichen Schriftsteller, die sich mit besonderer Vorliebe der Be- sprechung des Kriegsrechts widmeten. Die Handelsbeziehungen zu den Ländern des fernen Ostens veranlaſsten verschiedene Aufzeich- nungen des Seegewohnheitsrechts, unter welchen das Consolato del mar (aus dem Ende des 13. Jahrhunderts stammend) als der angesehenste coutumier die weiteste Verbreitung fand. Unter den Schriftstellern des 16. Jahrhunderts verdienen, nach da Vittoria († 1546) und Belli († 1575), Albericus Gentilis († 1602, Haupt- werk: De jure belli libri tres 1598) und der spanische Theologe Suarez hervorgehoben zu werden. Vgl. Thamm, Alb. Gentilis und seine Bedeutung für das Völkerrecht. Würzb. Diss. 1896. Aber der Einfluſs der wissenschaftlichen Litteratur des Völker- rechts auf den thatsächlichen Staatenverkehr knüpft doch eigentlich

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/32>, abgerufen am 21.11.2024.