I. Buch. Die Rechtssubjekte und ihre allgem. Rechtsstellung.
Erwerb von Hoheitsrechten durch Private ist, soweit nicht Staatengründung in Frage steht, logisch unmöglich. Die gegen- teilige Ansicht, heute oft genug vertreten (Litteratur bei Ull- mann 193), beruht auf einer unrichtigen Auffassung der schein- baren Cessionsverträge.
4. Erwerb wie Abtretung können bestehenden Verpflichtungen zuwiderlaufen und erscheinen insoweit als völkerrechtswidrig.
In diesem Falle ist es Sache der in ihren Rechten bedrohten oder verletzten Mächte, gegen die Gebietsveränderung Einspruch zu erheben und so ihre Rechte zu wahren (unten § 20 II). Das Stillschweigen trotz erfolgter Verständigung wäre als Zustimmung, mithin als Verzicht, aufzufassen.
So würde die Erwerbung des Kongostaates durch Belgien, die in dem sogenannten Testament des Königs der Belgier vom 2. August 1889 und dem Vertrag Belgiens mit dem Kongostaat vom 3. Juli 1890 vorgesehen ist (vgl. auch den nicht ratifizierten belgisch-kongolesischen Vertrag vom 9. Januar 1895 in N. R. G. 2. Ser. XXI 693), den Verpflichtungen zuwiderlaufen, die Belgien als dauernd neutralisierter Staat den Garantiemächten gegenüber auf sich genommen hat, und daher ohne deren Zustimmung rechtswidrig sein (oben § 6 III).
Das Gleiche gilt aber auch von der Ausübung des französi- schen Vorkaufsrechtes auf den Kongostaat (gestützt auf die Verträge Frankreichs mit der Kongogesellschaft vom 23. April 1884 und mit Belgien vom 5. Februar 1895), das zwar von Belgien, nicht aber von den übrigen Staaten anerkannt worden ist.
R. G. II 545.
Rivier I 173.
Fauchille, R. G. II 400.
Und gegen den Vertrag zwischen Grossbritannien und dem Kongostaat vom 12. Mai 1894 haben Frankreich, Deutschland und die Türkei Einspruch erhoben.
Deutschland hat insbesondere gegen den Artikel 3 des Ver- trages, durch welchen der Kongostaat einen 25 km breiten Land-
I. Buch. Die Rechtssubjekte und ihre allgem. Rechtsstellung.
Erwerb von Hoheitsrechten durch Private ist, soweit nicht Staatengründung in Frage steht, logisch unmöglich. Die gegen- teilige Ansicht, heute oft genug vertreten (Litteratur bei Ull- mann 193), beruht auf einer unrichtigen Auffassung der schein- baren Cessionsverträge.
4. Erwerb wie Abtretung können bestehenden Verpflichtungen zuwiderlaufen und erscheinen insoweit als völkerrechtswidrig.
In diesem Falle ist es Sache der in ihren Rechten bedrohten oder verletzten Mächte, gegen die Gebietsveränderung Einspruch zu erheben und so ihre Rechte zu wahren (unten § 20 II). Das Stillschweigen trotz erfolgter Verständigung wäre als Zustimmung, mithin als Verzicht, aufzufassen.
So würde die Erwerbung des Kongostaates durch Belgien, die in dem sogenannten Testament des Königs der Belgier vom 2. August 1889 und dem Vertrag Belgiens mit dem Kongostaat vom 3. Juli 1890 vorgesehen ist (vgl. auch den nicht ratifizierten belgisch-kongolesischen Vertrag vom 9. Januar 1895 in N. R. G. 2. Ser. XXI 693), den Verpflichtungen zuwiderlaufen, die Belgien als dauernd neutralisierter Staat den Garantiemächten gegenüber auf sich genommen hat, und daher ohne deren Zustimmung rechtswidrig sein (oben § 6 III).
Das Gleiche gilt aber auch von der Ausübung des französi- schen Vorkaufsrechtes auf den Kongostaat (gestützt auf die Verträge Frankreichs mit der Kongogesellschaft vom 23. April 1884 und mit Belgien vom 5. Februar 1895), das zwar von Belgien, nicht aber von den übrigen Staaten anerkannt worden ist.
R. G. II 545.
Rivier I 173.
Fauchille, R. G. II 400.
Und gegen den Vertrag zwischen Groſsbritannien und dem Kongostaat vom 12. Mai 1894 haben Frankreich, Deutschland und die Türkei Einspruch erhoben.
Deutschland hat insbesondere gegen den Artikel 3 des Ver- trages, durch welchen der Kongostaat einen 25 km breiten Land-
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I. Buch. Die Rechtssubjekte und ihre allgem. Rechtsstellung.
Erwerb von Hoheitsrechten durch Private ist, soweit nicht
Staatengründung in Frage steht, logisch unmöglich. Die gegen-
teilige Ansicht, heute oft genug vertreten (Litteratur bei Ull-
mann 193), beruht auf einer unrichtigen Auffassung der schein-
baren Cessionsverträge.
4. Erwerb wie Abtretung können bestehenden Verpflichtungen
zuwiderlaufen und erscheinen insoweit als völkerrechtswidrig.
In diesem Falle ist es Sache der in ihren Rechten bedrohten
oder verletzten Mächte, gegen die Gebietsveränderung Einspruch
zu erheben und so ihre Rechte zu wahren (unten § 20 II). Das
Stillschweigen trotz erfolgter Verständigung wäre als Zustimmung,
mithin als Verzicht, aufzufassen.
So würde die Erwerbung des Kongostaates durch Belgien,
die in dem sogenannten Testament des Königs der Belgier vom
2. August 1889 und dem Vertrag Belgiens mit dem Kongostaat
vom 3. Juli 1890 vorgesehen ist (vgl. auch den nicht ratifizierten
belgisch-kongolesischen Vertrag vom 9. Januar 1895 in N. R. G.
2. Ser. XXI 693), den Verpflichtungen zuwiderlaufen, die Belgien als
dauernd neutralisierter Staat den Garantiemächten gegenüber auf
sich genommen hat, und daher ohne deren Zustimmung rechtswidrig
sein (oben § 6 III).
Das Gleiche gilt aber auch von der Ausübung des französi-
schen Vorkaufsrechtes auf den Kongostaat (gestützt auf die Verträge
Frankreichs mit der Kongogesellschaft vom 23. April 1884 und mit
Belgien vom 5. Februar 1895), das zwar von Belgien, nicht aber
von den übrigen Staaten anerkannt worden ist.
R. G. II 545.
Rivier I 173.
Fauchille, R. G. II 400.
Und gegen den Vertrag zwischen Groſsbritannien und dem
Kongostaat vom 12. Mai 1894 haben Frankreich, Deutschland und
die Türkei Einspruch erhoben.
Deutschland hat insbesondere gegen den Artikel 3 des Ver-
trages, durch welchen der Kongostaat einen 25 km breiten Land-
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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/78>, abgerufen am 16.02.2025.
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