Parallaxen u. Entfernungen d. Gestirne von d. Erde.
an einander zu rücken, je weiter sie von uns, wenn wir diese Allee betreten, entfernt sind. Diese Erfahrungen sind zu bekannt, als daß wir uns hier länger dabei aufhalten sollten.
Dasselbe, was hier von den Bäumen einer Gegend gesagt wurde, muß nun auch von den Sternen des Himmels gelten, wenn sie anders nicht etwa so weit von uns entfernt sind, daß alle Veränderungen unseres Ortes, daß alle Wege, die wir auf oder auch mit der Erde machen können, gegen diejenigen Ab- stände, welche uns von den Gestirnen trennen, für nichts zu achten seyn sollten, wo wir dann die Verrückung dieser Gestirne eben so wenig bemerken würden, als wir z. B. die Verrückung eines mehrere Meilen von uns entfernten Berges bemerken, wenn wir ihn aus einem oder aus dem andern Fenster unserer Stube betrachten. In der That haben wir auch bereits (§. 57) gesehen, daß sich diese Veränderung bei den Planeten zeige, und wir haben eben daraus eine beinahe an völlige Ueberzeugung gränzende Wahrscheinlichkeit der Bewegung der Erde abgeleitet. Allein sollte sich diese Bewegung nicht eben so gut auch an den Fixsternen zeigen?
§. 61. (Tägliche Parallaxe der Gestirne). Sey C (Fig. 11) der Mittelpunkt der Erde, dessen höchsten Punkt A der Beobach- ter einnimmt, der den Mond L eben aufgehen sieht, so daß also die Gerade L A den Horizont des Beobachters bezeichnet und da- her der Winkel L A C ein rechter Winkel ist. Verlängert man die Gesichtslinie A L des Beobachters bis an die hier als unend- lich weit vorausgesetzte Sphäre des Himmels, so wird der Beob- achter A den Mond L bei dem Stern a erblicken, während ein Auge im Mittelpunkte C der Erde den Mond in der Geraden C L oder bei dem Stern c sehen würde. Der Winkel, welchen diese beiden Linien A a und C c in dem Punkte L bilden, heißt die Horizontalparallaxe des Mondes, und da, unserer Voraus- setzung gemäß, die Linie L a gegen L A als unendlich groß ange- nommen wird, so kann man den Mittelpunkt des Kreisbogens a c eben so gut in L als in C, oder auch in A annehmen, so daß also dieser Bogen a c als das Maß jenes Winkels a L c = A L C angesehen werden darf, oder daß man sagen kann, die Horizontalparallaxe des Mondes sey der Bogen a c, an dessen
Parallaxen u. Entfernungen d. Geſtirne von d. Erde.
an einander zu rücken, je weiter ſie von uns, wenn wir dieſe Allee betreten, entfernt ſind. Dieſe Erfahrungen ſind zu bekannt, als daß wir uns hier länger dabei aufhalten ſollten.
Daſſelbe, was hier von den Bäumen einer Gegend geſagt wurde, muß nun auch von den Sternen des Himmels gelten, wenn ſie anders nicht etwa ſo weit von uns entfernt ſind, daß alle Veränderungen unſeres Ortes, daß alle Wege, die wir auf oder auch mit der Erde machen können, gegen diejenigen Ab- ſtände, welche uns von den Geſtirnen trennen, für nichts zu achten ſeyn ſollten, wo wir dann die Verrückung dieſer Geſtirne eben ſo wenig bemerken würden, als wir z. B. die Verrückung eines mehrere Meilen von uns entfernten Berges bemerken, wenn wir ihn aus einem oder aus dem andern Fenſter unſerer Stube betrachten. In der That haben wir auch bereits (§. 57) geſehen, daß ſich dieſe Veränderung bei den Planeten zeige, und wir haben eben daraus eine beinahe an völlige Ueberzeugung gränzende Wahrſcheinlichkeit der Bewegung der Erde abgeleitet. Allein ſollte ſich dieſe Bewegung nicht eben ſo gut auch an den Fixſternen zeigen?
§. 61. (Tägliche Parallaxe der Geſtirne). Sey C (Fig. 11) der Mittelpunkt der Erde, deſſen höchſten Punkt A der Beobach- ter einnimmt, der den Mond L eben aufgehen ſieht, ſo daß alſo die Gerade L A den Horizont des Beobachters bezeichnet und da- her der Winkel L A C ein rechter Winkel iſt. Verlängert man die Geſichtslinie A L des Beobachters bis an die hier als unend- lich weit vorausgeſetzte Sphäre des Himmels, ſo wird der Beob- achter A den Mond L bei dem Stern a erblicken, während ein Auge im Mittelpunkte C der Erde den Mond in der Geraden C L oder bei dem Stern c ſehen würde. Der Winkel, welchen dieſe beiden Linien A a und C c in dem Punkte L bilden, heißt die Horizontalparallaxe des Mondes, und da, unſerer Voraus- ſetzung gemäß, die Linie L a gegen L A als unendlich groß ange- nommen wird, ſo kann man den Mittelpunkt des Kreisbogens a c eben ſo gut in L als in C, oder auch in A annehmen, ſo daß alſo dieſer Bogen a c als das Maß jenes Winkels a L c = A L C angeſehen werden darf, oder daß man ſagen kann, die Horizontalparallaxe des Mondes ſey der Bogen a c, an deſſen
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Parallaxen u. Entfernungen d. Geſtirne von d. Erde.
an einander zu rücken, je weiter ſie von uns, wenn wir dieſe Allee
betreten, entfernt ſind. Dieſe Erfahrungen ſind zu bekannt, als
daß wir uns hier länger dabei aufhalten ſollten.
Daſſelbe, was hier von den Bäumen einer Gegend geſagt
wurde, muß nun auch von den Sternen des Himmels gelten,
wenn ſie anders nicht etwa ſo weit von uns entfernt ſind, daß
alle Veränderungen unſeres Ortes, daß alle Wege, die wir auf
oder auch mit der Erde machen können, gegen diejenigen Ab-
ſtände, welche uns von den Geſtirnen trennen, für nichts zu
achten ſeyn ſollten, wo wir dann die Verrückung dieſer Geſtirne
eben ſo wenig bemerken würden, als wir z. B. die Verrückung
eines mehrere Meilen von uns entfernten Berges bemerken,
wenn wir ihn aus einem oder aus dem andern Fenſter unſerer
Stube betrachten. In der That haben wir auch bereits (§. 57)
geſehen, daß ſich dieſe Veränderung bei den Planeten zeige, und
wir haben eben daraus eine beinahe an völlige Ueberzeugung
gränzende Wahrſcheinlichkeit der Bewegung der Erde abgeleitet.
Allein ſollte ſich dieſe Bewegung nicht eben ſo gut auch an den
Fixſternen zeigen?
§. 61. (Tägliche Parallaxe der Geſtirne). Sey C (Fig. 11)
der Mittelpunkt der Erde, deſſen höchſten Punkt A der Beobach-
ter einnimmt, der den Mond L eben aufgehen ſieht, ſo daß alſo
die Gerade L A den Horizont des Beobachters bezeichnet und da-
her der Winkel L A C ein rechter Winkel iſt. Verlängert man
die Geſichtslinie A L des Beobachters bis an die hier als unend-
lich weit vorausgeſetzte Sphäre des Himmels, ſo wird der Beob-
achter A den Mond L bei dem Stern a erblicken, während ein
Auge im Mittelpunkte C der Erde den Mond in der Geraden
C L oder bei dem Stern c ſehen würde. Der Winkel, welchen
dieſe beiden Linien A a und C c in dem Punkte L bilden, heißt die
Horizontalparallaxe des Mondes, und da, unſerer Voraus-
ſetzung gemäß, die Linie L a gegen L A als unendlich groß ange-
nommen wird, ſo kann man den Mittelpunkt des Kreisbogens
a c eben ſo gut in L als in C, oder auch in A annehmen, ſo
daß alſo dieſer Bogen a c als das Maß jenes Winkels a L c =
A L C angeſehen werden darf, oder daß man ſagen kann, die
Horizontalparallaxe des Mondes ſey der Bogen a c, an deſſen
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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/154>, abgerufen am 16.07.2024.
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