Parallaxen u. Entfernungen d. Gestirne von d. Erde.
Anfange oder am Ende dieses 41 Millionen Meilen langen We- ges betrachten. Alle diese mit so viel Aufwand von Zeit und Mühe angestellten Beobachtungen glichen den Bemühungen einer Milbe, die den Gipfel eines entfernten Gebirges zuerst von dieser, und dann von der anderen Seite eines Hirsekorns betrachtet.
§. 69. (Die Entfernung der Fixsterne ist ungemein groß.) Und was soll man aus dem Mißlingen aller dieser Arbeiten schließen? Eins von beiden: entweder ist es nicht wahr, daß die Erde sich um die Sonne bewegt, und dann fallen jene nur geträumten Verän- derungen des gestirnten Himmels von selbst weg; oder aber, die Distanz dieser Fixsterne von uns ist so ungeheuer, daß selbst jene Entfernung von 41 Millionen Meilen nur wie ein unmerklicher Punkt gegen dieselbe verschwindet.
Das erste wird man nicht annehmen können, wenn man die Gründe, die in dem vorhergehenden Kapitel für die jährliche Be- wegung der Erde aufgestellt sind, auch nur mit einiger Aufmerk- samkeit erwägt.
Wenn jetzt in der 11ten Figur C den Mittelpunkt der Sonne und zugleich den Mittelpunkt des Kreises AA B bezeichnet, welchen die Erde jährlich um die Sonne zurücklegt, so wird ein Fixstern L, wenn er in der That so weit von der Erde, oder, was hier dasselbe ist, von der Sonne entfernt ist, daß der Halbmesser CA der Erdbahn gegen jene Entfernung nur als ein Punkt betrachtet werden muß, an demselben Orte des Himmels erscheinen, er mag von dem Mittelpunkte C der Sonne oder von dem A der Erde beobachtet werden, oder mit anderen Worten, der Winkel ACL, unter welchem einem Auge in dem Mittelpunkte des Sterns der Halbmesser AC der Erdbahn erscheint, wird kleiner als eine Se- cunde, also für unsere Sinne, der obigen Annahme gemäß, unmerk- lich seyn. Man kann diesen Winkel, analog mit der vorigen Be- zeichnung, die jährliche Parallaxe des Gestirns heißen, wäh- rend die bisher betrachtete, oder der scheinbare Winkel des Halb- messers der Erdbahn, zum Unterschiede von jenen, die tägliche Parallaxe des Gestirns genannt wird. Wir haben oben (§. 67) die tägliche Parallaxe des entferntesten unserer Planeten, des Ura- nus, gleich 0,47 Secunden gefunden, und diese ist allerdings so klein, daß sie auch mit unseren besten Instrumenten nicht mehr
Littrows Himmel u. s. Wunder. I. 11
Parallaxen u. Entfernungen d. Geſtirne von d. Erde.
Anfange oder am Ende dieſes 41 Millionen Meilen langen We- ges betrachten. Alle dieſe mit ſo viel Aufwand von Zeit und Mühe angeſtellten Beobachtungen glichen den Bemühungen einer Milbe, die den Gipfel eines entfernten Gebirges zuerſt von dieſer, und dann von der anderen Seite eines Hirſekorns betrachtet.
§. 69. (Die Entfernung der Fixſterne iſt ungemein groß.) Und was ſoll man aus dem Mißlingen aller dieſer Arbeiten ſchließen? Eins von beiden: entweder iſt es nicht wahr, daß die Erde ſich um die Sonne bewegt, und dann fallen jene nur geträumten Verän- derungen des geſtirnten Himmels von ſelbſt weg; oder aber, die Diſtanz dieſer Fixſterne von uns iſt ſo ungeheuer, daß ſelbſt jene Entfernung von 41 Millionen Meilen nur wie ein unmerklicher Punkt gegen dieſelbe verſchwindet.
Das erſte wird man nicht annehmen können, wenn man die Gründe, die in dem vorhergehenden Kapitel für die jährliche Be- wegung der Erde aufgeſtellt ſind, auch nur mit einiger Aufmerk- ſamkeit erwägt.
Wenn jetzt in der 11ten Figur C den Mittelpunkt der Sonne und zugleich den Mittelpunkt des Kreiſes AA B bezeichnet, welchen die Erde jährlich um die Sonne zurücklegt, ſo wird ein Fixſtern L, wenn er in der That ſo weit von der Erde, oder, was hier daſſelbe iſt, von der Sonne entfernt iſt, daß der Halbmeſſer CA der Erdbahn gegen jene Entfernung nur als ein Punkt betrachtet werden muß, an demſelben Orte des Himmels erſcheinen, er mag von dem Mittelpunkte C der Sonne oder von dem A der Erde beobachtet werden, oder mit anderen Worten, der Winkel ACL, unter welchem einem Auge in dem Mittelpunkte des Sterns der Halbmeſſer AC der Erdbahn erſcheint, wird kleiner als eine Se- cunde, alſo für unſere Sinne, der obigen Annahme gemäß, unmerk- lich ſeyn. Man kann dieſen Winkel, analog mit der vorigen Be- zeichnung, die jährliche Parallaxe des Geſtirns heißen, wäh- rend die bisher betrachtete, oder der ſcheinbare Winkel des Halb- meſſers der Erdbahn, zum Unterſchiede von jenen, die tägliche Parallaxe des Geſtirns genannt wird. Wir haben oben (§. 67) die tägliche Parallaxe des entfernteſten unſerer Planeten, des Ura- nus, gleich 0,47 Secunden gefunden, und dieſe iſt allerdings ſo klein, daß ſie auch mit unſeren beſten Inſtrumenten nicht mehr
Littrows Himmel u. ſ. Wunder. I. 11
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Parallaxen u. Entfernungen d. Geſtirne von d. Erde.
Anfange oder am Ende dieſes 41 Millionen Meilen langen We-
ges betrachten. Alle dieſe mit ſo viel Aufwand von Zeit und
Mühe angeſtellten Beobachtungen glichen den Bemühungen einer
Milbe, die den Gipfel eines entfernten Gebirges zuerſt von dieſer,
und dann von der anderen Seite eines Hirſekorns betrachtet.
§. 69. (Die Entfernung der Fixſterne iſt ungemein groß.) Und
was ſoll man aus dem Mißlingen aller dieſer Arbeiten ſchließen?
Eins von beiden: entweder iſt es nicht wahr, daß die Erde ſich
um die Sonne bewegt, und dann fallen jene nur geträumten Verän-
derungen des geſtirnten Himmels von ſelbſt weg; oder aber, die
Diſtanz dieſer Fixſterne von uns iſt ſo ungeheuer, daß ſelbſt jene
Entfernung von 41 Millionen Meilen nur wie ein unmerklicher
Punkt gegen dieſelbe verſchwindet.
Das erſte wird man nicht annehmen können, wenn man die
Gründe, die in dem vorhergehenden Kapitel für die jährliche Be-
wegung der Erde aufgeſtellt ſind, auch nur mit einiger Aufmerk-
ſamkeit erwägt.
Wenn jetzt in der 11ten Figur C den Mittelpunkt der Sonne
und zugleich den Mittelpunkt des Kreiſes AA B bezeichnet, welchen
die Erde jährlich um die Sonne zurücklegt, ſo wird ein Fixſtern
L, wenn er in der That ſo weit von der Erde, oder, was hier
daſſelbe iſt, von der Sonne entfernt iſt, daß der Halbmeſſer CA
der Erdbahn gegen jene Entfernung nur als ein Punkt betrachtet
werden muß, an demſelben Orte des Himmels erſcheinen, er mag
von dem Mittelpunkte C der Sonne oder von dem A der Erde
beobachtet werden, oder mit anderen Worten, der Winkel ACL,
unter welchem einem Auge in dem Mittelpunkte des Sterns der
Halbmeſſer AC der Erdbahn erſcheint, wird kleiner als eine Se-
cunde, alſo für unſere Sinne, der obigen Annahme gemäß, unmerk-
lich ſeyn. Man kann dieſen Winkel, analog mit der vorigen Be-
zeichnung, die jährliche Parallaxe des Geſtirns heißen, wäh-
rend die bisher betrachtete, oder der ſcheinbare Winkel des Halb-
meſſers der Erdbahn, zum Unterſchiede von jenen, die tägliche
Parallaxe des Geſtirns genannt wird. Wir haben oben (§. 67)
die tägliche Parallaxe des entfernteſten unſerer Planeten, des Ura-
nus, gleich 0,47 Secunden gefunden, und dieſe iſt allerdings ſo
klein, daß ſie auch mit unſeren beſten Inſtrumenten nicht mehr
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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/173>, abgerufen am 16.02.2025.
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