verbindenden Handel, um unsere geistige Cultur, um uns selbst stehen?
§. 83. (Wenn die Erde eine andere, oder gar keine Rotation um ihre Axe hätte.) Nehmen wir auf einen Augenblick an, daß die Erde sich so um die Sonne bewegt, wie der Mond um die Erde geht, der ihr immer dieselbe Seite zuwendet, während die andere ewig von ihr abgekehrt bleibt, der also in derselben Zeit, in welcher er um die Erde geht, sich auch um seine eigene Axe dreht. Dann würde also auch die eine Hälfte unserer Erde nie das Licht der Sonne schauen und immerdar in finsterer Nacht begraben liegen. Wenn der Welttheil, den wir bewohnen, wenn Europa dieser unglücklichen Hemisphäre angehörte, wie ganz anders würde dann die Geschichte desselben, ja die des gesammten Men- schengeschlechtes aussehen, wenn überhaupt noch zur ewigen Fin- sterniß verwünschte Wesen -- eine Geschichte ihrer Thaten und Erfindungen haben können.
Oder wenn die Erde zwar eine jährliche Bewegung um die Sonne, aber keine tägliche um ihre eigene Axe hätte? -- Dann würden wohl alle Theile der Erde sich nach und nach der Sonne zuwenden, Tag und Nacht würden auf ihr wechseln, aber welch ein Tag und welche Nacht! -- Jeder dieser zwei Tagszeiten würde ein volles halbes Jahr währen und im Laufe des ganzen langen Sonnenjahres würde jeder Ort der Erde gleich unseren gegenwär- tigen Bewohnern der beiden Pole, sechs Monate die Sonne sehen und sechs andere in tiefer Nacht und in einer alles erstarrenden Kälte vertrauern. Ohne Zweifel würde auch eine solche Einrich- tung, so weit sie auch der vorhergehenden vorzuziehen seyn mag, auf die Befriedigung der ersten Bedürfnisse und auf alle Bequem- lichkeiten des Lebens, die uns jetzt so theuer und unentbehrlich scheinen, den ungünstigsten Einfluß äußern, und so oft die arge, halbjährige Nacht mit ihren schwarzen Schwingen sich über dem Lande niederließe, auf welche heillose Zeitvertreibe würden Manche von uns verfallen, bloß um sich vor der immer näher rückenden, tödtenden Langeweile zu schützen.
In dieser Anordnung würde die Ebene der Erdbahn die Ober- fläche der Erde immer in demjenigen Kreise schneiden, der jetzt
13 *
Jahreszeiten.
verbindenden Handel, um unſere geiſtige Cultur, um uns ſelbſt ſtehen?
§. 83. (Wenn die Erde eine andere, oder gar keine Rotation um ihre Axe hätte.) Nehmen wir auf einen Augenblick an, daß die Erde ſich ſo um die Sonne bewegt, wie der Mond um die Erde geht, der ihr immer dieſelbe Seite zuwendet, während die andere ewig von ihr abgekehrt bleibt, der alſo in derſelben Zeit, in welcher er um die Erde geht, ſich auch um ſeine eigene Axe dreht. Dann würde alſo auch die eine Hälfte unſerer Erde nie das Licht der Sonne ſchauen und immerdar in finſterer Nacht begraben liegen. Wenn der Welttheil, den wir bewohnen, wenn Europa dieſer unglücklichen Hemiſphäre angehörte, wie ganz anders würde dann die Geſchichte deſſelben, ja die des geſammten Men- ſchengeſchlechtes ausſehen, wenn überhaupt noch zur ewigen Fin- ſterniß verwünſchte Weſen — eine Geſchichte ihrer Thaten und Erfindungen haben können.
Oder wenn die Erde zwar eine jährliche Bewegung um die Sonne, aber keine tägliche um ihre eigene Axe hätte? — Dann würden wohl alle Theile der Erde ſich nach und nach der Sonne zuwenden, Tag und Nacht würden auf ihr wechſeln, aber welch ein Tag und welche Nacht! — Jeder dieſer zwei Tagszeiten würde ein volles halbes Jahr währen und im Laufe des ganzen langen Sonnenjahres würde jeder Ort der Erde gleich unſeren gegenwär- tigen Bewohnern der beiden Pole, ſechs Monate die Sonne ſehen und ſechs andere in tiefer Nacht und in einer alles erſtarrenden Kälte vertrauern. Ohne Zweifel würde auch eine ſolche Einrich- tung, ſo weit ſie auch der vorhergehenden vorzuziehen ſeyn mag, auf die Befriedigung der erſten Bedürfniſſe und auf alle Bequem- lichkeiten des Lebens, die uns jetzt ſo theuer und unentbehrlich ſcheinen, den ungünſtigſten Einfluß äußern, und ſo oft die arge, halbjährige Nacht mit ihren ſchwarzen Schwingen ſich über dem Lande niederließe, auf welche heilloſe Zeitvertreibe würden Manche von uns verfallen, bloß um ſich vor der immer näher rückenden, tödtenden Langeweile zu ſchützen.
In dieſer Anordnung würde die Ebene der Erdbahn die Ober- fläche der Erde immer in demjenigen Kreiſe ſchneiden, der jetzt
13 *
<TEI><text><body><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0207"n="195"/><fwplace="top"type="header">Jahreszeiten.</fw><lb/>
verbindenden Handel, um unſere geiſtige Cultur, um uns ſelbſt<lb/>ſtehen?</p><lb/><p>§. 83. (Wenn die Erde eine andere, oder gar keine Rotation<lb/>
um ihre Axe hätte.) Nehmen wir auf einen Augenblick an, daß<lb/>
die Erde ſich ſo um die Sonne bewegt, wie der Mond um die<lb/>
Erde geht, der ihr immer dieſelbe Seite zuwendet, während die<lb/>
andere ewig von ihr abgekehrt bleibt, der alſo in derſelben Zeit,<lb/>
in welcher er um die Erde geht, ſich auch um ſeine eigene Axe<lb/>
dreht. Dann würde alſo auch die eine Hälfte unſerer Erde nie<lb/>
das Licht der Sonne ſchauen und immerdar in finſterer Nacht<lb/>
begraben liegen. Wenn der Welttheil, den wir bewohnen, wenn<lb/>
Europa dieſer unglücklichen Hemiſphäre angehörte, wie ganz anders<lb/>
würde dann die Geſchichte deſſelben, ja die des geſammten Men-<lb/>ſchengeſchlechtes ausſehen, wenn überhaupt noch zur ewigen Fin-<lb/>ſterniß verwünſchte Weſen — eine Geſchichte ihrer Thaten und<lb/>
Erfindungen haben können.</p><lb/><p>Oder wenn die Erde zwar eine jährliche Bewegung um die<lb/>
Sonne, aber keine tägliche um ihre eigene Axe hätte? — Dann<lb/>
würden wohl alle Theile der Erde ſich nach und nach der Sonne<lb/>
zuwenden, Tag und Nacht würden auf ihr wechſeln, aber welch<lb/>
ein Tag und welche Nacht! — Jeder dieſer zwei Tagszeiten würde<lb/>
ein volles halbes Jahr währen und im Laufe des ganzen langen<lb/>
Sonnenjahres würde jeder Ort der Erde gleich unſeren gegenwär-<lb/>
tigen Bewohnern der beiden Pole, ſechs Monate die Sonne ſehen<lb/>
und ſechs andere in tiefer Nacht und in einer alles erſtarrenden<lb/>
Kälte vertrauern. Ohne Zweifel würde auch eine ſolche Einrich-<lb/>
tung, ſo weit ſie auch der vorhergehenden vorzuziehen ſeyn mag,<lb/>
auf die Befriedigung der erſten Bedürfniſſe und auf alle Bequem-<lb/>
lichkeiten des Lebens, die uns jetzt ſo theuer und unentbehrlich<lb/>ſcheinen, den ungünſtigſten Einfluß äußern, und ſo oft die arge,<lb/>
halbjährige Nacht mit ihren ſchwarzen Schwingen ſich über dem<lb/>
Lande niederließe, auf welche heilloſe Zeitvertreibe würden Manche<lb/>
von uns verfallen, bloß um ſich vor der immer näher rückenden,<lb/>
tödtenden Langeweile zu ſchützen.</p><lb/><p>In dieſer Anordnung würde die Ebene der Erdbahn die Ober-<lb/>
fläche der Erde immer in demjenigen Kreiſe ſchneiden, der jetzt<lb/><fwplace="bottom"type="sig">13 *</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[195/0207]
Jahreszeiten.
verbindenden Handel, um unſere geiſtige Cultur, um uns ſelbſt
ſtehen?
§. 83. (Wenn die Erde eine andere, oder gar keine Rotation
um ihre Axe hätte.) Nehmen wir auf einen Augenblick an, daß
die Erde ſich ſo um die Sonne bewegt, wie der Mond um die
Erde geht, der ihr immer dieſelbe Seite zuwendet, während die
andere ewig von ihr abgekehrt bleibt, der alſo in derſelben Zeit,
in welcher er um die Erde geht, ſich auch um ſeine eigene Axe
dreht. Dann würde alſo auch die eine Hälfte unſerer Erde nie
das Licht der Sonne ſchauen und immerdar in finſterer Nacht
begraben liegen. Wenn der Welttheil, den wir bewohnen, wenn
Europa dieſer unglücklichen Hemiſphäre angehörte, wie ganz anders
würde dann die Geſchichte deſſelben, ja die des geſammten Men-
ſchengeſchlechtes ausſehen, wenn überhaupt noch zur ewigen Fin-
ſterniß verwünſchte Weſen — eine Geſchichte ihrer Thaten und
Erfindungen haben können.
Oder wenn die Erde zwar eine jährliche Bewegung um die
Sonne, aber keine tägliche um ihre eigene Axe hätte? — Dann
würden wohl alle Theile der Erde ſich nach und nach der Sonne
zuwenden, Tag und Nacht würden auf ihr wechſeln, aber welch
ein Tag und welche Nacht! — Jeder dieſer zwei Tagszeiten würde
ein volles halbes Jahr währen und im Laufe des ganzen langen
Sonnenjahres würde jeder Ort der Erde gleich unſeren gegenwär-
tigen Bewohnern der beiden Pole, ſechs Monate die Sonne ſehen
und ſechs andere in tiefer Nacht und in einer alles erſtarrenden
Kälte vertrauern. Ohne Zweifel würde auch eine ſolche Einrich-
tung, ſo weit ſie auch der vorhergehenden vorzuziehen ſeyn mag,
auf die Befriedigung der erſten Bedürfniſſe und auf alle Bequem-
lichkeiten des Lebens, die uns jetzt ſo theuer und unentbehrlich
ſcheinen, den ungünſtigſten Einfluß äußern, und ſo oft die arge,
halbjährige Nacht mit ihren ſchwarzen Schwingen ſich über dem
Lande niederließe, auf welche heilloſe Zeitvertreibe würden Manche
von uns verfallen, bloß um ſich vor der immer näher rückenden,
tödtenden Langeweile zu ſchützen.
In dieſer Anordnung würde die Ebene der Erdbahn die Ober-
fläche der Erde immer in demjenigen Kreiſe ſchneiden, der jetzt
13 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/207>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.