stimmten Größen geben wird. Man nennt sie Bedingungs- gleichungen und sucht sie in der neuen Astronomie überall an- zuwenden, wo man einer vorzüglichen Schärfe in den Resultaten bedarf.
Wenn man nun aber auf diese Weise durch sechs vorzüglich gute Beobachtungen eines Planeten, mittels der sechs ihnen ent- sprechenden Bedingungsgleichungen, diejenigen Werthe der Elemente bestimmt hat, wodurch diese sechs Beobachtungen vollkommen genau dargestellt werden, wird man dann auch voraussetzen dürfen, daß die so bestimmten Elemente auch zugleich die wahren sind? -- Allerdings, vorausgesetzt, daß jene sechs Beobachtungen ganz ohne alle Fehler sind. Aber ist diese Voraussetzung auch erlaubt? Welches Mittel haben wir, uns zu überzeugen, daß alle jene Beobachtungen, daß auch nur eine derselben vollkommen genau und auch nicht um den kleinsten Theil einer Secunde fehlerhaft ist. Sind nicht alle unsere Beobachtungen und Experimente, ja alle menschlichen Unternehmungen unvollkommen und bloße An- näherungen zur Wahrheit, aber nicht die Wahrheit selbst? Ohne Zweifel würden wir, wenn wir jenen Rechnungen sechs andere, nach unserer Ueberzeugung eben so gute Beobachtungen zu Grunde gelegt hätten, auch wieder sechs andere Elemente gefunden haben, nur wenig von jenen verschiedene, wenn die Beobachtungen selbst in der That zu den verläßlichen gehören, aber doch immer ver- schiedene. Und welchem von beiden Resultaten soll man nun den Vorzug geben?
Man sieht, die Verlegenheit ist nicht gering, und die Frage selbst von der größten Wichtigkeit für die gesammte Astronomie sowohl, als auch für alle Naturwissenschaften, die sich in letzter Instanz, doch immer nur auf Beobachtungen, d. h. also auf mehr oder weniger fehlerhafte Voraussetzungen gründen. So lange daher diese Frage nicht beantwortet ist, bestehen alle unsere Be- stimmungen nur in einzelnen, von einander isolirten Versuchen, deren jeder ein anderes Resultat gibt. Da wir kein Mittel haben, unter allen diesen Resultaten das Beste zu erkennen, so würden, wie man sieht, alle unsere Bemühungen ein immerwäh- rendes Herumirren in einem Kreise seyn, in dessen Mittelpunkte
Venus.
ſtimmten Größen geben wird. Man nennt ſie Bedingungs- gleichungen und ſucht ſie in der neuen Aſtronomie überall an- zuwenden, wo man einer vorzüglichen Schärfe in den Reſultaten bedarf.
Wenn man nun aber auf dieſe Weiſe durch ſechs vorzüglich gute Beobachtungen eines Planeten, mittels der ſechs ihnen ent- ſprechenden Bedingungsgleichungen, diejenigen Werthe der Elemente beſtimmt hat, wodurch dieſe ſechs Beobachtungen vollkommen genau dargeſtellt werden, wird man dann auch vorausſetzen dürfen, daß die ſo beſtimmten Elemente auch zugleich die wahren ſind? — Allerdings, vorausgeſetzt, daß jene ſechs Beobachtungen ganz ohne alle Fehler ſind. Aber iſt dieſe Vorausſetzung auch erlaubt? Welches Mittel haben wir, uns zu überzeugen, daß alle jene Beobachtungen, daß auch nur eine derſelben vollkommen genau und auch nicht um den kleinſten Theil einer Secunde fehlerhaft iſt. Sind nicht alle unſere Beobachtungen und Experimente, ja alle menſchlichen Unternehmungen unvollkommen und bloße An- näherungen zur Wahrheit, aber nicht die Wahrheit ſelbſt? Ohne Zweifel würden wir, wenn wir jenen Rechnungen ſechs andere, nach unſerer Ueberzeugung eben ſo gute Beobachtungen zu Grunde gelegt hätten, auch wieder ſechs andere Elemente gefunden haben, nur wenig von jenen verſchiedene, wenn die Beobachtungen ſelbſt in der That zu den verläßlichen gehören, aber doch immer ver- ſchiedene. Und welchem von beiden Reſultaten ſoll man nun den Vorzug geben?
Man ſieht, die Verlegenheit iſt nicht gering, und die Frage ſelbſt von der größten Wichtigkeit für die geſammte Aſtronomie ſowohl, als auch für alle Naturwiſſenſchaften, die ſich in letzter Inſtanz, doch immer nur auf Beobachtungen, d. h. alſo auf mehr oder weniger fehlerhafte Vorausſetzungen gründen. So lange daher dieſe Frage nicht beantwortet iſt, beſtehen alle unſere Be- ſtimmungen nur in einzelnen, von einander iſolirten Verſuchen, deren jeder ein anderes Reſultat gibt. Da wir kein Mittel haben, unter allen dieſen Reſultaten das Beſte zu erkennen, ſo würden, wie man ſieht, alle unſere Bemühungen ein immerwäh- rendes Herumirren in einem Kreiſe ſeyn, in deſſen Mittelpunkte
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Venus.
ſtimmten Größen geben wird. Man nennt ſie Bedingungs-
gleichungen und ſucht ſie in der neuen Aſtronomie überall an-
zuwenden, wo man einer vorzüglichen Schärfe in den Reſultaten
bedarf.
Wenn man nun aber auf dieſe Weiſe durch ſechs vorzüglich
gute Beobachtungen eines Planeten, mittels der ſechs ihnen ent-
ſprechenden Bedingungsgleichungen, diejenigen Werthe der Elemente
beſtimmt hat, wodurch dieſe ſechs Beobachtungen vollkommen genau
dargeſtellt werden, wird man dann auch vorausſetzen dürfen, daß
die ſo beſtimmten Elemente auch zugleich die wahren ſind? —
Allerdings, vorausgeſetzt, daß jene ſechs Beobachtungen ganz ohne
alle Fehler ſind. Aber iſt dieſe Vorausſetzung auch erlaubt?
Welches Mittel haben wir, uns zu überzeugen, daß alle jene
Beobachtungen, daß auch nur eine derſelben vollkommen genau
und auch nicht um den kleinſten Theil einer Secunde fehlerhaft
iſt. Sind nicht alle unſere Beobachtungen und Experimente, ja
alle menſchlichen Unternehmungen unvollkommen und bloße An-
näherungen zur Wahrheit, aber nicht die Wahrheit ſelbſt? Ohne
Zweifel würden wir, wenn wir jenen Rechnungen ſechs andere,
nach unſerer Ueberzeugung eben ſo gute Beobachtungen zu Grunde
gelegt hätten, auch wieder ſechs andere Elemente gefunden haben,
nur wenig von jenen verſchiedene, wenn die Beobachtungen ſelbſt
in der That zu den verläßlichen gehören, aber doch immer ver-
ſchiedene. Und welchem von beiden Reſultaten ſoll man nun den
Vorzug geben?
Man ſieht, die Verlegenheit iſt nicht gering, und die Frage
ſelbſt von der größten Wichtigkeit für die geſammte Aſtronomie
ſowohl, als auch für alle Naturwiſſenſchaften, die ſich in letzter
Inſtanz, doch immer nur auf Beobachtungen, d. h. alſo auf mehr
oder weniger fehlerhafte Vorausſetzungen gründen. So lange
daher dieſe Frage nicht beantwortet iſt, beſtehen alle unſere Be-
ſtimmungen nur in einzelnen, von einander iſolirten Verſuchen,
deren jeder ein anderes Reſultat gibt. Da wir kein Mittel
haben, unter allen dieſen Reſultaten das Beſte zu erkennen, ſo
würden, wie man ſieht, alle unſere Bemühungen ein immerwäh-
rendes Herumirren in einem Kreiſe ſeyn, in deſſen Mittelpunkte
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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 2. Stuttgart, 1835, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem02_1835/116>, abgerufen am 23.11.2024.
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